Am 21. April 2021 hat die EU-Kommission ihre Pläne für die Einbeziehung von Nachhaltigkeits-Faktoren in die Anlageberatung und die Finanzportfolioverwaltung vorgestellt. Rechtsanwalt Dr. Christian Waigel blickt skeptisch auf den Entwurf.
04.05.2021 | 07:30 Uhr
Herr Dr. Waigel, den Plänen Europäischen Kommission zufolge sollen Anlageberater und Vermögensverwalter demnächst eine obligatorische Bewertung der Nachhaltigkeits-Präferenzen ihrer Kunden durchführen. Was kommt damit auf die Finanzbranche zu?
Christian Waigel: Zunächst müssen Finanzberater ihre Geeignetheitsprüfung anpassen. Denn hier sollen die Nachhaltigkeitspräferenzen der Kunden eingetragen werden. Außerdem sollen Kunden jeweils einen Bericht erhalten, in dem ihnen erklärt wird, wie ihre Nachhaltigkeitspräferenzen in die Produkt-Empfehlungen der Berater einfließen.
Das klingt aus Sicht der EU-Kommission, die das Thema Nachhaltigkeit in der Anlageberatung verankern will, nachvollziehbar. Gibt es Punkte, die Sie kritisch sehen?
Christian Waigel: Durchaus. Wenn Wertpapiere nicht den Nachhaltigkeitspräferenzen eines Kunden entsprechen, dürfen sie im Rahmen der Anlageberatung nicht empfohlen werden und im Rahmen der Finanzportfolioverwaltung nicht für den Kunden eingesetzt werden. Es ist aber nicht klar, ob dies nur gilt, wenn ein Kunde bestimmte Wertpapiere zeichnen wollte und diese nicht seinen Nachhaltigkeitspräferenzen entsprechen oder ob generell eine Begründung erforderlich ist. Das lässt die geplante Verordnung offen.
Was ist, wenn ein Kunde unbedingt in Produkte investieren möchte, die außerhalb seiner Nachhaltigkeitspräferenzen liegen?
Christian Waigel: Kunden können im Nachhinein ihre Nachhaltigkeitspräferenzen anpassen. Das muss der Berater dann inklusive einer schlüssigen Begründung des Kunden aufzeichnen. Präferenzen und Empfehlungen müssen also immer kompatibel zueinander sein.
Das hört sich nach Mehrarbeit für die Berater an…
Christian Waigel: So ist es. Die Anlageberatung wird deutlich aufwändiger. Die Kundenabfrage durch WpHG- und Analyse-Bögen sowie die Geeignetheitsprüfung sind komplexe Vorgänge. Es beginnt mit dem komplizierteren Onboarding-Prozess für Kunden. Später müssen die Präferenzen dann immer wieder überprüft und auch gegebenenfalls im Gespräch mit dem Kunden angepasst und neu dokumentiert werden. Eine „opt-out“-Möglichkeit für die Nachhaltigkeitsthemen, die die Offenlegungsverordnung im März 2021 noch gewährt hatte, ist damit faktisch vom Tisch. Eine vereinfachte Lösung, die es ermöglicht hätte, nur dann etwas ändern zu müssen, wenn der Kunde von sich aus aktiv Nachhaltigkeit nachfragt, gibt es nicht mehr.
Wen betreffen die Änderungen?
Christian Waigel: Alle Anlageberater und Vermögensverwalter werden sich mit den neuen Anforderungen auseinandersetzen müssen. Und natürlich auch alle Kunden.
Betrifft die Neuregelung, wenn sie in der vorliegenden Form kommt, auch Bestandskunden?
Christian Waigel: Zunächst ist es nicht erforderlich, mit dem Inkrafttreten alle Bestandskunden erfassen zu müssen. Die geplante Verordnung räumt hier die Möglichkeit ein, die Nachhaltigkeitspräferenzen jeweils erst bei der nächsten regelmäßigen Aktualisierung der WpHG-Bögen in Erfahrung zu bringen. Mittelfristig müssen aber auch Bestandskunden den Nachhaltigkeitsprozess durchlaufen. Ziel ist eine lückenlose Erfassung der Nachhaltigkeitspräferenzen aller Kunden.
Wann soll die Verordnung umgesetzt werden?
Christian Waigel: Die Ergänzung zur Delegierten Verordnung 2017/565 soll ein Jahr nach Veröffentlichung bereits in Kraft treten. Mitte 2022 wird es wohl soweit sein. Es bleibt für die Umsetzung also nur wenig Zeit. Gleichzeitig kommt die Anwendung der Verordnung eigentlich zu früh. Denn um die Nachhaltigkeitspräferenzen von Kunden tatsächlich berücksichtigen zu können, braucht es eine genaue Definition, welche Finanzinstrumente welchen Standards entsprechen. Das wird in der EU-Taxonomie-Verordnung geregelt. Die Umsetzungsakte kommen teilweise erst im Herbst 2022. Vielleicht auch später. Gerade hat die Kommission erklärt, bei der Frage der Atomkraft gebe es noch keine Einigung. Dieser Umstand wird in Bezug auf die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitspräferenzen für eine gewisse Zeit Rechtsunsicherheiten mit sich bringen. Das ist schade.
Herr Dr. Waigel, vielen Dank für dieses Gespräch.
Diesen Beitrag teilen: