Die Notenbanken werden die kurzfristigen Zinsen sehr niedrig
halten und sich einer Diskussion über mögliche Straffungen gegenübersehen. Das
könnte weitere Steigerungstendenzen bei langfristigen Anleiherenditen auslösen.
Werte von 2 ½ Prozent für 10-jährige Staatsanleihen in den USA und 0,5 für
entsprechende Bundesanleihen sind bei starker Konjunktur und höheren
Inflationserwartungen nicht unrealistisch. Bei solchen Werten würden die
Realzinsen insbesondere in der Eurozone negativ bleiben und weiterhin hohe
Bewertungen und langfristig positive Entwicklungen von Risikoaktiva
rechtfertigen.
Höhere Inflation wird ein Thema bleiben
In den kommenden Monaten ist mit deutlich höheren
Inflationsraten zu rechnen. In den USA dürften die Verbraucherpreise schon
aufgrund des Preisrückgangs im Vorjahr im zweiten Quartal um rund 3 % steigen,
in der EWU könnte das am Jahresende der Fall sein. Im Durchschnitt der Jahre
2021 und 2022 dürften die Inflationsziele der Notenbanken von rund 2 % erreicht
oder leicht überschritten werden. Ursächlich für den stärkeren Preisauftrieb
sind auf der Angebotsseite steigende Öl- und Energiepreise, zunehmende
Transportkosten und Angebotsengpässe insbesondere bei Elektronikprodukten sowie
auf der Nachfrageseite eine hohe aufgestaute Nachfrage durch Einschränkungen
beim Dienstleistungskonsum und die zeitweise Schließung des Einzelhandels. An
den Finanzmärkten haben diese Entwicklungen bereits zu steigenden Inflationserwartungen
und Kapitalmarktrenditen geführt.
Die Notenbanken haben die Inflationsthematik bislang
deutlich relativiert. Sie betonen die nach wie vor vorhandenen wirtschaftlichen
Unsicherheiten durch die Pandemie, weisen auf inflationsdämpfende Effekte der
Arbeitslosigkeit hin und sehen vor allem starke Einmaleffekte (wie Ölpreise
oder Angebotsengpässe) am Werke, die die Inflation nur vorübergehend erhöhen
werden. Nach den Projektionen der EZB wird die Inflationsrate in 2021 kurz die
2 % Marke touchieren, dann aber im Durchschnitt der Jahre 2021 bis 2023 eher
bei 1,3 %, also unter gängigen Prognosen und den Markterwartungen liegen. Und selbst
wenn sich die Inflation auf über zwei Prozent erhöhen würde, sei das zu
tolerieren, weil die Inflationsziele symmetrisch seien und eine längere Unterschreitung
der Inflationsziele durch eine Phase der Überschreitung kompensiert werden
sollte. Vor diesem Hintergrund sind weder bei der US-Notenbank geschweige denn
bei der EZB Anzeichen eines Kurswechsels aufgrund der etwas höheren
Geldentwertung zu erkennen.
Entsprechend erwarten auch die Anleger an den Finanzmärkten eine
weiterhin sehr expansive Politik. Allerdings wird bereits im ersten Halbjahr
2023 mit der ersten Zinsanhebung der US Notenbank gerechnet, während die Mitglieder
des Offenmarktausschusses der Notenbank Zinsanhebungen mehrheitlich erst in 2024 als angemessen ansehen. In der
EWU liegen die Zinserwartungen noch deutlich niedriger. Es werden zwar höhere
Kurzfristzinsen als zu Jahresbeginn erwartet, sie liegen dennoch für weitere 5
Jahre im negativen Bereich.
Langfristige Kapitalmarktrenditen dürften tendenziell
weiter steigen
Die Zinserwartungen können sich allerdings sehr rasch
ändern, sie sind immer nur Momentaufnahmen. Seit Jahresbeginn sind nicht nur
die erwarteten Kurzfristzinsen, sondern auch die längerfristigen
Kapitalmarktrenditen gestiegen (Schaubild 1). Sollte es im Laufe des Jahres
2021 und 2022, was sehr wahrscheinlich ist, zu einer kräftigen Konjunkturerholung
mit deutlichen Preiseffekten kommen, wird eine Debatte über die Ausrichtung der
Geldpolitik und mögliche „Ausstiegsszenarien“ aus großdimensionierten
Anleihekaufprogramme und anderen unkonventionellen Maßnahmen kaum vermeidbar
sein. Anleger sollten sich also darauf einstellen, dass Steigerungstendenzen
bei längerfristiger Anleiherenditen vorerst anhalten werden.
Schaubild
1
Viele fragen sich, ob die Notenbanken intervenieren werden,
um gegen den Renditeanstieg vorzugehen. Derzeit ist das nicht abzusehen. Die US
Notenbank sieht den Renditeanstieg am langen Ende des Marktes als eine normale
Begleiterscheinung eines kräftigen wirtschaftlichen Wachstums und höherer
Inflationserwartungen an. In der derzeitigen Lage der US Wirtschaft wären auch höhere
Renditen als die derzeitigen 1,7% für zehnjährige Staatsanleihen ganz und gar
nichts Ungewöhnliches. Expansive Maßnahmen der Fed wären daher aktuell schwer
zu begründen. Allenfalls könnte eine Art „Operation twist“ erfolgen, bei der
sich die Kaufaktivitäten der Notenbank stärker auf die langfristige Wertpapiere
konzentrieren, während am kurzen Ende des Kapitalmarktes Papiere abgegeben
werden. Für die Liquiditätsversorgung wäre das insgesamt neutral.
Anders als die Fed hat die EZB anfänglich auf den Anstieg
der Kapitalmarktrenditen in der EWU mit einer Beschleunigung der Anleihekäufe
im Rahmen der laufenden Programme reagiert. Angesichts der vergleichsweise
schwachen und vielfach noch im lockdown
befindlichen europäischen Wirtschaft waren
Renditesteigerungen unerwünscht. In dem weithin erwarteten Konjunkturaufschwung
wird sich allerdings die Frage stellen, ob das derzeitige Renditeniveau, das im
Falle zehnjähriger deutscher Staatsanleihen bei rund -0,3 % liegt, der Lage
angemessen ist. Auch die EZB dürfte einen gewissen Renditeanstieg am langen
Ende des Marktes tolerieren, soweit er „gute“ Gründe hat, also auf höhere
Inflationserwartungen und eine kräftige Konjunkturerholung zurückgeht. Ein Anstieg der zehnjährigen
Bundesanleiherendite auf etwa 0,5% im Laufe der nächsten Quartale wäre mit
derzeitigen Konjunktur- und Inflationsprognosen für Deutschland durchaus
plausibel.
Der bisherige Renditeanstieg in der EWU hat keine
nachhaltigen Bewertungskorrekturen an den Aktienmärkten oder anderen
Risikokapitalmärkten bewirkt (Schaubild 2). Auch eine weitere Normalisierung
der Kapitalmarktrenditen dürfte keine nachhaltigen Verwerfungen mit sich
bringen solange der Renditeanstieg nicht die Inflationsentwicklung weit
übertrifft. Allerdings wird der Ausstieg aus der „Nullzinswelt“ Unsicherheit
und Volatilität mit sich bringen. Auch sektorale Effekte sind wahrscheinlich.
Wachstumswerte, deren Bewertungen häufig auf weit in der Zukunft liegenden
Gewinnsteigerungen beruhen, haben Abschläge hinnehmen müssen, die erwarteten
Gewinne mit einem höheren Satz abgezinst werden müssen. Finanzwerte, die von
steigenden Zinsen profitieren, könnte zulegen. Eine solche Rotation könnte sich
in dem beschriebenen Szenario noch etwas fortsetzen.
Schaubild 2
Konjunkturelle Überhitzung nicht ausgeschlossen
Welche alternativen Szenarien gibt es? Weitere
Lockerungen der Politik der Zentralbanken in den USA und der EWU sind derzeit
kaum wahrscheinlich. Sie wären allenfalls bei einem Rückfall in eine Rezession
angezeigt, die aufgrund der fortschreitenden Impfkampagnen in den Jahren 2021
und 2022 allerdings nicht eintreten dürfte. Eine Rezession würde wohl eineneue unbeherrschbare Welle der Pandemie
voraussetzen. Dann würden die Zentralbanken auf sich verschlechternde Finanzierungsbedingungen und
nachlassenden Inflationsdruck reagieren.
Eine höhere Wahrscheinlichkeit als das Rezessionsszenario ist
dem Szenario einer konjunkturellen Überhitzung beizumessen, das mit stärkeren
Inflationstendenzen einhergeht. Treiber einer solchen Entwicklung könnten eine
übermäßig expansive Finanz- und Geldpolitik und unerwartet starke Nachholeffekte
beim privaten Konsum sein. In Bezug auf die Finanzpolitik in den USA haben
selbst regierungsfreundliche Ökonomen Bedenken geäußert, dass die Impulse der Konjunktur-
und Infrastrukturprogramme der Biden-Regierung die Produktionskapazitäten
kurzfristig überfordern und zu Preisniveausteigerungen Anlass geben könnten. Ein
Teil des Nachfrageanstiegs in den USA wird darüber hinaus auf die EWU (und
andere Länder) ausstrahlen und deren Leistungsbilanzüberschüsse gegenüber den
USA vergrößern. Das würde die hiesigen Fiskalprogramme und den EU Aufbauplan
(„Next Generation EU Covid-19-Aufbauplan“) in ihrer Wirkung verstärken.
In
einem Boom mit nachfrageinduzierten Inflationstendenzen würden die
längerfristigen Anleiherenditen deutlich steigen. Renditen von 4 % in den USA und
2 % in der EWU wären in einem Konjunkturboom nicht unplausibel. Die
Zentralbanken kämen in diesem Szenario in ein Dilemma. Gegen den
Renditeanstieg, der die Staatsfinanzierung verteuert und Verwerfungen an den Finanzmärkten
hervorrufen kann, wären eher expansive Maßnahmen (z.B Anleihekäufe) angezeigt,
während die Inflationsbeschleunigung eher kontraktive Maßnahmen (z.B.
Liquiditätsverknappung) erforderlich machen würde. Voraussichtlich würde sich
nach einem inflationären Boom eine Stabilisierungsrezession (also ein
Boom-Bust-Zyklus) ergeben, die die Inflation über die Zeit wieder verlangsamt. Die
Geldpolitik hat es in der Hand, ein solches Überhitzungsszenario zu vermeiden. Ob
es gelingt, wird sich zeigen. Als Risikoszenario ist es für Anleger jedenfalls
nicht zu negieren.
Diesen Beitrag teilen: