Gleichzeitig stehen langfristige Ziele, wie die Umsetzung
der Nachhaltigkeitszielen bis 2020, die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens
bis 2050 und der Umbau des Wirtschaftssystems für die nächsten 50 Jahre, an.
Um ein langristiges Denken anzuregen, braucht es eine Neuorientierung.
Dazu drei Vorschläge:
Zunächst müssen wir den wirtschaftlichen Bezugsrahmen ändern.
75 Jahre lang stand das Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Zentrum und die
Volkswirtschaften dienten als Werkzeug zur Mobilisierung der Produktion für den
Krieg. Gegenwärtig aber ist die Maximierung von nachhatligem Wohlstand das Ziel
und es braucht alternative Messgrössen.
Eine Gruppe von Ökonomen aus der Privatwirtschaft,
Hochschulen und internationalen Einrichtungen, (u.a. Diane Coyle und Mariana
Mazzucato) haben das „Wealth Project“ (Wohlstandsprojekt),
aufbauend auf Weltbank-Ansätzen, entwickelt.
Kurzfristig könnte das Medianeinkommen pro Kopf verwendet
werden, um die Alltagswirklichkeit der Menschen besser abzubilden.
Anspruchsvoller ist das „Naturkapital“, welches u. a. die Ökosysteme,
Fischbestände und Mineralvorkommen bewertet. Auch das Humankapital sollte berücksichtigt
werden.
Junge Protestkundgeber wie Greta Thunberg führen uns vor
Augen, dass eine kohlenstofffreie Wirtschaft und die Forderungen nach
gerechteren Wirtschaftssystemen zentrale Entscheidungskriterien sein müssen.
Andernfalls wird sich der Aufstand gegen die „Eliten“
und die Polarisierung von Gesellschaft und Politik intensivieren.
Ein Weg dazu ist die Einführung unabhängiger Trackingtools
wie der „Climate Action Tracker“, welcher Fortschritte einzelner Länder in der
Umsetzung des Klimmaabkommens misst. Regierungen und internationale
Organisationen könnten diese als Scorecard verwenden und auf internationalen
Tagungen die besten Verfahren besprechen.
Weiter sollten die Menschen, die derzeit ihre Stimme dem
Protest leihen, in konstruktiverer Weise eingebunden werden, beispielsweise
durch eine breit zugängliche Plattform für jedes nachhaltige Entwicklungsziel.
Im Forum Arbeiten wir zur Zeit an diesem Projekt, das mit Schwerpunkt Ozeane in
Davos Vorgestellt wird. Auf diese Weise könnten alle eine positive Rolle
spielen und ihre Ideen, Fähigkeiten und konstruktiven Maßnahmen einbringen.
Die Arbeit an den SDG hindert die Staaten nicht, ihrem Land
Vorrang einzuräumen. Gesundheit und Wohlbefinden, Bildung,
Geschlechtergleichstellung, angemessene Arbeit, Verringerung der Ungleichheiten
sowie starke Institutionen sind SDG-Aufgaben, die jedes Land einzeln in Angriff
zu nehmen hat. Ein erneuerter Akzent auf eigenstaatliches Handeln kann in
diesem Fall helfen, einen neuen Ausgleich zwischen globalen Zielen und
maximaler einzelstaatlicher Eigenständigkeit zu schaffen.
Drittens ist es an der Zeit zu erkennen, wie sich die Rolle
der Unternehmen in den letzten 50 Jahren geändert hat. Als Milton Friedman 1970
für die „Shareholder Primacy“ plädierte, waren sich
die Unternehmen entweder ihrer breiten gesellschaftlichen Auswirkungen nicht
bewusst, oder sie waren zu klein, um das wirtschaftliche und gesellschaftliche
Gleichgewicht zu ändern. Aufgrund ihrer weltweiten Lieferketten, ihrer enormen
Größe oder der technologischen Vorherrschaft kann eine solche enge Sichtweise
heute nicht aufrechterhalten werden.
Wir sind in das Zeitalter des „Stakeholder-Kapitalismus“
eingetreten, wie die jüngste Erklärung des Business Roundtable zum Thema (oder
auch das seit den 70er Jahren geltende Leitbild des Weltwirtschaftsforums zum
Thema) zeigt. Unternehmensmaßstäbe müssen sich ändern, indem ergänzend zu den
Bilanzen eine allgemein anerkannte „Scorecard für Umwelt, Soziales und
Governance“ in die Jahresberichte aufgenommen werden.
Eine solche Scorecard wird derzeit vom International Business Council entwickelt, einer vom CEO der Bank of America, Brian Moynihan,
geleiteten Gruppe entwickelt. Diese u.a. von den vier größten Wirtschaftsprüfungsunternehmen
(KPMG, EY, Deloitte und PwC) unterstützt, welche zuvor an ähnlichenen
Initiativen gearbeitet und auf dieser Erfahrung aufbauen. Wenn alle zustimmen,
sollte ihre Scorecard nicht nur Wirklichkeit werden, sondern auch ein führender
Indikator für die Unternehmensleistung sein.
Die Einführung dieser drei Indikatoren wäre ein wichtiger
Schritt zur Bewältigung der größten langfristigen Herausforderungen weltweit.
Darüber hinaus wäre es ein Weg zur Entschärfung gegenwärtiger und zur
Vermeidung zukünftiger Wirtschaftskrisen. Und es würde der aufgebrachten Weltöffentlichkeit
zeigen, dass sich die Personen an der Spitze tatsächlich für den Wohlstand
aller und nicht nur für ihren eigenen Wohlstand einsetzen. Ich lade alle
Interessensvertreter der weltweiten Wirtschaft ein, an diesen Bemühungen
teilzunehmen. Auf diese Weise können wir das Zeitalter des kurzfristigen
Denkens beenden.
Klaus Schwab ist Gründer und Executive Chairman des
Weltwirtschaftsforums.
Copyright: Project Syndicate
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