Die Energiesparte wird abgespalten, am Montag wird die Aktie von Siemens Energy erstmals gehandelt. Was Aktionäre des DAX-Konzerns erwartet.
28.09.2020 | 08:30 Uhr von «Stephan Bauer»
Sein Draht zum Kapitalmarkt war immer eine Stärke von Joe Kaeser. Als Finanzchef des Industriekonzerns Siemens warf er seinem damaligen Chef Peter Löscher im Dialog mit Investoren gern das eine oder andere Stück Holz zwischen die Füße. Als Siemens-Chef, auch als scheidendem, bereitet Kaeser der Chat mit den Jungs aus London und New York immer noch Freude - vor allem, wenn es etwas zu verkaufen gibt.
Die Abspaltung der Energiesparte erschaffe eine neue Siemens, "ein transparentes und deutlich risikoärmeres Unternehmen", wirbt der Niederbayer für den letzten Schritt des von ihm angestoßenen Konzernumbaus. Vor sechs Jahren hatte Kaeser den Siemens-Umbau mit seiner "Vision 2020" eingeläutet. Kommenden Montag wird der Strategieplan samt seiner Weiterentwicklung "Vision 2020+" mit der Börsenerstnotiz der selbstständigen Tochter Siemens Energy umgesetzt.
Schluss machen mit den immer wieder auftauchenden Baustellen, mit den jahrzehntelangen sprichwörtlichen Siemens-Pannen wollte Kaeser. Aber nicht nur das. Die Rendite des Geschäfts soll steigen, die Aktie für internationale Investoren attraktiver werden. So entstand die Idee, aus einem zeitweise ausufernden Konglomerat ein fokussiertes Industrieunternehmen mit selbstständig handelnden Töchtern etwa in der Medizin- und Energietechnik zu bauen.
Wenn Siemens-Aktionäre am Montag die Papiere von Siemens Energy (SE) in ihren Depots sehen - für jeweils zwei Siemens-Stücke erhalten sie ein Papier der SE eingebucht - ist Kaesers Werk mit dem bis dato größten Spin-off der deutschen Wirtschaftsgeschichte vollbracht. Zugleich stellt sich die knapp 30 Milliarden Euro Umsatz schwere SE, zuvor Kern des 172 Jahre alten Traditionskonzerns, dem rauen Wind des Marktes. Siemens hält zunächst 45 Prozent, davon knapp zehn Prozent im Pensionsfonds. Dadurch wird Siemens im Umsatz erheblich schrumpfen, von gut 85 Milliarden Euro Umsatz 2019 auf etwa 57 Milliarden im Geschäftsjahr zum Ende September.
Aber wie entwickelt sich die Energiesparte und wie werthaltig wird die neue Aktie? SE startet als Restrukturierungsstory. In den Jahren vor der Energiewende waren Gasturbinen der größte Gewinnbringer des Konzerns - das ist vorbei, heute dominiert die dezentrale Energieerzeugung. Aus der Zeit gefallen ist auch das Geschäftsmodell des 2014 im Ölpreishoch übernommenen US-Öl- und Gasausrüsters Dresser-Rand. Sodann stecken große Teile der Energieübertragungssparte sowie ein 67-prozentiger Anteil am Windkraftkonzern Siemens Gamesa in SE.
Aus diesen Puzzlestücken muss der neue Chef Christian Bruch ein schlagkräftiges Unternehmen formen. Der Prozesstechniker, vormals bei Linde, hat Erfahrung als Sanierer. SE-Chefaufseher Joe Kaeser will ihm mit aufmerksamer Kontrolle zur Seite stehen. Den potenziellen DAX-Kandidaten verkauft Bruch bei Investoren als Vollsortimenter der Energietechnik, schließlich bietet SE vom konventionellen Kraftwerk über regenerative Energien, Elektrolyseanlagen zur Wasserstoffgewinnung bis zur Stromübertragung und Servicediensten vieles aus einer Hand.
Doch nicht nur die fossil geprägten Technologien stehen unter Druck. Auch bei der Windkrafttochter Siemens Gamesa läuft es nicht rund. Bei landgestützten Windturbinen hakten zuletzt immer wieder Projekte, die Kosten schossen in die Höhe. Nur die Offshore- Windkraft dreht flüssig, hier sind die Spanier weltweit führend.
Wertsteigernd für SE wirkt sicher die höhere Transparenz durch die Börsennotiz. "Bislang gingen Bereiche wie die Energieübertragungstechnik fast unter, das ändert sich jetzt", sagt Ingo Schachel, Analyst der Commerzbank. Klar ist aber, dass der Börsenaspirant profitabler werden muss. Bis 2023 will Bruch ohne Restrukturierungskosten 6,5 bis 8,5 Prozent operative Marge erzielen. Zum Vergleich: 2019 waren es rechnerisch gut vier Prozent. In den ersten neun Monaten 2020 schrieb SE netto 1,5 Milliarden Euro Verlust. "Unsere Performance muss besser werden", verspricht Bruch. Deutlich über eine Milliarde Euro muss der Chef dafür einsparen. Das wird ein Knackpunkt: "Um langfristig erfolgreich zu sein, sollten die Renditeziele in zwei bis drei Jahren auch erreicht werden", sagt Analyst Schachel.
Siemens selbst eröffnet der Spin-off die Chance, künftig am Kapitalmarkt deutlich höher bewertet zu werden. Schließlich ist der neue Konzern mit den Bereichen Digitale Industrie (DI), Smarte Infrastruktur (SI) und Verkehrstechnik nicht nur kleiner, sondern auch feiner. Kaesers Kalkül: Je klarer hochprofitable und wachstumsstarke Segmente wie die technologisch führende Digitalisierungssparte DI hervortreten und je höher der Umsatzanteil ist, desto eher schlagen auch deren höhere Bewertungsfaktoren durch. "Der Spin-off sollte den Beginn einer Neubewertung des Konzerns einläuten", ist Gael de-Bray, Londoner Analyst der Deutschen Bank, überzeugt.
Dass das keine Theorie bleibt, sondern Praxis werden könnte, dafür spricht nicht nur die zuletzt schon gute Entwicklung des Siemens-Kurses. Die Kerngeschäfte überzeugten in den zurückliegenden Corona-Quartalen. DI, in der die Softwarekompetenz für Industriedigitalisierung gebündelt ist, verzeichnete trotz scharfer Wirtschaftskrise eine hohe Nachfrage, der Umsatz schrumpfte weitaus weniger als bei der Konkurrenz. Ähnlich das Bild bei der Smarten Infrastruktur. Das Geschäft mit Gebäudetechnik oder Verteilnetzen nahm Rivalen wie Schneider Electric oder Johnson Controls Marktanteile ab. Die Verkehrstechnik schaffte sogar ein kleines Umsatzplus, während Wettbewerber wie Alstom oder Bombardier stark schrumpften. "Sie gewinnen Marktanteile, und das geht nicht zulasten der Marge", lobt Analyst de-Bray.
Mit anziehender Konjunktur könnten sich die Umrisse eines Wachstumswertes klarer abzeichnen. Organisch traut Andreas Willi, Analyst der US-Bank JP Morgan, den Münchnern vier bis fünf Prozent Umsatzplus pro Jahr zu, auch Margen und Cashflow sieht er im Aufwind. Es ist eine Großchance für den designierten Vorstandschef Roland Busch. Nach dem Umbau wird der Techniker an der Aufstellung der Kerngeschäfte feilen. "Busch ist der richtige Mann, um die neue Siemens technologisch weiter voranzutreiben", sagt Analyst Schachel. Auch wenn er erst mit Kaesers Abschied zur Hauptversammlung Anfang Februar offiziell Chef wird - am 1. Oktober fällt Buschs Startschuss.
Siemens-Aktionären wird die Aktie von Siemens Energy (SE) im Verhältnis 2 : 1 ins Depot gebucht. Wer beispielsweise 20 Aktien hält, bekommt zehn Papiere der SE. Ein Manko: Viele Fonds und ETFs, die auf den DAX zielen, müssen verkaufen. Siemens will diesen "Flowback" kursschonend auch mit Banken steuern. Die Mutter hält zunächst 45 Prozent an SE, will den Anteil aber abbauen, auch das erzeugt Kursdruck. Chancen ergeben sich aus einer erfolgreichen Umsetzung der Margenziele. Die Commerzbank geht von einem fairen Wert je Aktie von 33 Euro aus.
Das Beste bleibt im Kerngeschäft: Die hochprofitable Sparte DI lieferte in den ersten neun Monaten trotz Corona eine Marge von rund 18 Prozent. Die Bereiche SI und die Verkehrstechnik kamen auf rund sieben und knapp neun Prozent, bei allen Sparten ist mehr drin. Gelingt es dem designierten Chef Roland Busch, das Wachstumspotenzial zu heben, dürften sich die Bewertungsfaktoren weiter nach oben verschieben. Das Gewinnplus 2021 wird auf über 20 Prozent geschätzt. Attraktive Dividendenrendite.
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