Artikel 9 – die Krux für Immobilienportfolios
Offenlegungs- und Taxonomieverordnung werden häufig zusammen genannt. Doch der Einklang der beiden Verordnungen ist längst nicht so eindeutig. Ein Automatismus besteht nicht. Stattdessen deutet vieles darauf hin, dass reine Taxonomiekonformität für Artikel 9 zukünftig nicht ausreichen dürfte13.02.2023 | 12:20 Uhr von «Hannah Helmke»
Oftmals werden die EU-Offenlegungs- und die EU-Taxonomieverordnung in einem Atemzug genannt. Die gängige Lesart dabei: Die Offenlegungsverordnung schreibt vor, welche Informationen veröffentlicht und welche Angaben nachgewiesen werden müssen, damit ein Anlageprodukt als „nachhaltig“ in verschiedenen Stufen – Artikel 8 oder 9 der Offenlegungsverordnung – vertrieben werden darf. Und was unter „Nachhaltigkeit“ für einzelne Assetklassen genau zu verstehen ist, wird wiederum durch die EU-Taxonomieverordnung geregelt.
Große Unsicherheit
Diese Lesart ist per se nicht ganz falsch, aber der dabei implizierte Automatismus ist auch nicht ganz richtig. Noch steht nicht einmal fest, ob Konformität mit der Taxonomieverordnung zwingend notwendig ist, um ein Finanzprodukt als nachhaltig (Artikel 8) oder gar als Impact-Produkt (Artikel 9) zu titulieren. Es sind auch alternative Wege möglich. Doch selbst wenn die Erfüllung der Taxonomie-Anforderungen zur notwendigen Bedingung wird, um als „dunkelgrün“ im Sinne von Artikel 9 zu gelten, eine hinreichende Bedingung wird sie absehbar nicht darstellen.
Gerade im Bereich der Immobilienfonds ist die Unsicherheit, was die Anforderungen für Artikel 9 angeht, besonders groß. Zahlreiche Bestandshalterfonds haben inzwischen den Artikel-8-Status erhalten. Sie haben sich also sowohl zur Erfüllung bestimmter Nachhaltigkeitskriterien verpflichtet als auch dazu, dies regelmäßig zu überprüfen und transparent darüber zu berichten. Das ist eine erfreuliche Entwicklung. Sie zeigt, dass sich große Teile der Branche ihrer Verantwortung bewusst sind und dass Nachhaltigkeit von immer mehr Investoren vorausgesetzt wird.
Fonds mit Seltenheitswert
Sucht man hingegen nach Artikel-9-Immobilienfonds, wird die Auswahl schon wesentlich dünner. Artikel 9 bedeutet, dass gleichberechtigt neben den Renditen auch ein klar definiertes und messbares Nachhaltigkeitsziel aktiv verfolgt wird – man spricht dabei auch von Impact-Investing. Erneuerbare-Energien-Fonds erreichen diesen Status, auch einige Aktien- oder PrivateEquity-Fonds. Im Bereich der Immobilienfonds jedoch haben Artikel-9-Produkte noch immer Seltenheitswert.
Dabei fallen einem durchaus Impact-Ziele für Immobilien ein, zum Beispiel energetische Sanierungen. An Ideen und Bedarf mangelt es sicher nicht. Das Problem scheint vielmehr zu sein, dass sich nur wenige Fondsmanager aus der regulatorischen Deckung wagen. Viele wollen das Thema zwar angehen und sich als Artikel-9-Immobilienfonds-Pioniere positionieren, doch gleichzeitig fürchten sie derzeit kaum etwas mehr, als an den Greenwashing-Pranger gestellt zu werden. Also lautet die Devise: Rechtssicherheit um jeden Preis. Eine Pioniertat mit der Gefahr, später vielleicht zurückrudern zu müssen, traut sich (fast) niemand zu.
Umstrittene Taxonomie
Ein großes Fragezeichen bezüglich Taxonomieverordnung besteht bei Immobilienfonds. Die Taxonomie trat erst ein Dreivierteljahr nach der Offenlegungsverordnung und auch nur teilweise in Kraft. Sie war bis zuletzt umstritten, man erinnere sich an die Atom- und Gasdiskussion im vergangenen Winter. Sie wird sukzessive umgesetzt, eine „soziale Taxonomie“ zum Beispiel ist erst noch im Entstehen. Und ihre konkreten Anwendungen auf bestimmte Assetklassen werden ebenfalls nur schrittweise über begleitende Technische Regulierungsstandards (RTS) definiert.
Obwohl noch keine einschlägige Aufsichts- und Rechtsprechungspraxis existiert, hat sich dennoch bereits die Meinung im Markt verbreitet, dass die Taxonomie-Anforderungen erfüllt sein müssen, um einen Immobilienfonds als Artikel-9-Produkt zu deklarieren. Weitere Details dazu, wie gerade die Assetklasse Immobilien zu behandeln ist, stehen noch aus. Die meisten Fondsmanager setzen deshalb vorsichtshalber auf Abwarten – auch wenn manche gern schon loslegen würden.
Diese Zurückhaltung muss nicht sein, wenn man den Blick auf die Intention von Artikel 9 richtet. Denn sofern es um die Nachhaltigkeitsdimension Emissionsreduktion geht, nennt die Offenlegungsverordnung wiederholt ausdrücklich das Ziel, an dem es sich zu orientieren gilt: das Pariser Klimaschutzabkommen von 2015.
Die Regelung im Wortlaut
In Artikel 9, Absatz 3 heißt es: „Wird mit einem Finanzprodukt eine Reduzierung der CO₂-Emissionen angestrebt […] [und gibt] es keinen EU-Referenzwert für Investitionen in eine klimafreundlichere Wirtschaft oder keinen EU-Referenzwert für auf das Übereinkommen von Paris abgestimmte Investitionen […], so enthalten die […] vorzulegenden Informationen […] detaillierte Erläuterungen dazu, wie zur Verwirk lichung der langfristigen Erderwärmungsziele des Übereinkommens von Paris sichergestellt wird, dass kontinuierliche Anstrengungen zur Verwirklichung des Ziels einer Reduzierung der CO₂-Emissionen unternommen werden.“
Mit den beiden angesprochenen „EU-Referenzwerten“ sind die „Climate Transition Benchmark“ (CTB) sowie die „Paris Aligned Benchmark“ (PAB) gemeint. Beide treffen auf die Assetklasse Immobilien allerdings nicht zu. Somit verlangt Artikel 9 für ein Bestandsportfolio „detaillierte Erläuterungen, wie zur Verwirklichung der langfristigen Erderwärmungsziele des Übereinkommens von Paris“ beigetragen wird. Dieses Paris-Ziel ist die Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 oder zumindest deutlich unter zwei Grad Celsius bis zum Jahr 2100. Und die EU-Taxonomie ist, zumindest bisher, noch nicht nachweislich vereinbar mit diesem Ziel.
Es ist somit durchaus möglich, dass die Taxonomie zum notwendigen Kriterium für Artikel 9 wird. Doch hinreichend kann sie wenigstens in ihrer aktuellen Fassung noch nicht sein. Besteht das anvisierte Nachhaltigkeitsziel in einem aktiven Beitrag zum Klimaschutz, so ist man nur dann auch langfristig auf der sicheren Seite, wenn neben der Taxonomie auch die Paris-Konformität nachgewiesen werden kann. Und wer das tut, muss sich auch nicht gezwungen sehen, noch auf weitere Regulierungsschritte zu warten. Es ist kaum vorstellbar, dass diese dem Anspruch des Paris-Ziels zuwiderlaufen würden.
Die Lösung für Immobilienmanager
Die Krux liegt nun also darin, eine Methodik zu finden, mit der sich der Beitrag zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels nachvollziehbar messen, transparent kommunizieren und kontinuierlich steuern lässt. Dafür kommt „Temperature Alignment“ in Frage: eine Methodik, die, vereinfacht gesagt, die ab heute bis 2100 ausgestoßenen Emissionen eines Bestandsobjekts in Grad Celsius Klimawirkung „umrechnet“. Um diese Umrechnung vorzunehmen, werden die von der EU geförderten CRREM-Dekarbonisierungspfade („Carbon Risk Real Estate Monitor“) herangezogen, die auf den Emissionsbudgets des Weltklimarats IPCC fußen.
So kann für jedes Bestandsgebäude berechnet werden, wie weit es von seinem jeweils dem Standort und Nutzungstyp entsprechenden Klimazielpfad abweicht und wie sich dies etwa durch Sanierungsmaßnahmen verbessern ließe. Es ist damit möglich, Modernisierungspläne zu erstellen, die nachweislich in die 1,5-Grad-Konformität führen.
Für Bestandshalter und Fondsmanager lässt sich damit wissenschaftlich fundiert und transparent feststellen, ob es sich um ein 3,5-, ein 2,0- oder ein Paris-konformes 1,5-Grad-Immobilienportfolio handelt – und somit die Voraussetzungen für Artikel 9, Absatz 3 der Offenlegungsverordnung erfüllt sind.