„Da beißt sich eine gute Absicht mit der Realität“

Zu unflexibel und zu wenig aus Kundensicht gedacht sei die momentane ESG-Regulierung, monieren Steffen Kunkel von der Bethmann Bank und Daniel Wild von J. Safra Sarasin im ESG-Round-Table. Beide zeigen sich dennoch sehr optimistisch, was neue nachhaltige Themen und Trends betrifft.

08.12.2023 | 07:15 Uhr von «Peter Gewalt»

TiAM: Lassen Sie uns unsere Runde mit der Frage beginnen, welchen ESG-Ansatz Ihr Haus genau verfolgt.

Steffen Kunkel: Im Grunde verfolgen wir bei der Bethmann Bank drei Ansätze – ESG Improver, ESG Leader und Impact. Die Namen machen die Abstufungen von Nachhaltigkeit deutlich. Bei ESG-Improvern arbeiten wir im Wesentlichen mit Ausschlüssen, um das investierbare Universum von Unternehmen und Staaten zu ermitteln. Bei den ESG-Leadern werden die Ausschlüsse weiter verfeinert, und am Ende kommt ein Kriterienkatalog mit zehn DIN-A4-Seiten Umfang heraus. Dadurch wird das Universum weiter fokussiert und mit einem Best-in-Class-Ansatz kombiniert. Bei Impact ist es schließlich so, dass alle Kriterien der ESG-Leader gelten, diese aber auf einzelne Sustainable Development Goals einzahlen müssen, also tatsächlich einen Impact generieren müssen.

Daniel Wild: Der Nachhaltigkeitsansatz von J. Safra Sarasin beruht erstens darauf, bestimmte Titel aus ethischen Gründen bei der Auswahl ganz auszuschließen. Zweitens gibt es den sehr wichtigen Teil der finanziellen Materialität, die wir anhand der sogenannten Sustainability-­Matrix messen. Bei diesem zweidimensionalen Bewertungsverfahren gibt es sowohl eine vergleichende Bewertung von Branchen anhand ausgewählter Umwelt- und Sozialkriterien als auch eine vergleichende Umwelt- und Sozialbewertung der Unternehmen innerhalb einer Branche. Und letztlich gibt es noch Strategien, die mithilfe von Impact-Maßnahmen zu den nachhaltigen Entwicklungszielen der Vereinten Nationen beitragen sollen.

TiAM: Was haben Sie an Ihrem Ansatz zuletzt verändert, in welchen Bereichen waren Sie aktiv?

Wild: J. Safra Sarasin setzt bereits seit über 30 Jahren nachhaltige Anlagekonzepte um, dennoch entwickeln wir unseren Ansatz ständig weiter. Neu war dieses Jahr unsere Auseinandersetzung mit dem Thema Biodiversität. Da haben wir ein Modell mithilfe von verschiedenen externen Datenquellen entwickelt, mit dem wir die Abhängigkeit von Unternehmen von der Biodiversität, aber auch die Auswirkung der Unternehmenstätigkeit auf die Bio­diversität aufzeigen können. Die zweite große Neuerung ist die fundamentale Überarbeitung unseres ESG-Ratings für Länder, sodass es jetzt auch die Einkommensabhängigkeit des Ratings aufzeigt. Zuvor hat die Nachhaltigkeitsleistung eines Landes sehr stark mit dem jeweiligen Bruttoinlandsprodukt korreliert. Auch hier haben wir ein entsprechendes Modell entwickelt, das in seiner Art ziemlich einzigartig auf dem Markt ist.

TiAM: Und wo war die Bethmann Bank besonders aktiv?

Kunkel: Im vergangenen Jahr haben wir uns noch intensiver mit unseren Kunden über die unterschiedlichen Nachhaltigkeitssysteme und -ansätze ausgetauscht. Dazu gehörte auch eine stärkere Hinterfragung der Beziehung zwischen Bank und Kunde. Dessen Frage sollte lauten: Bin ich im richtigen Produkt investiert, ist mir das wirklich wichtig, was ich mir an Zielsetzungen und Restriktionen auferlegt habe? Zweitens haben wir unsere Engagementaktivitäten weiter ausgebaut, auch personell. Und drittens haben wir uns als Haus eine eigene Klimapolitik zum Ziel gesetzt, die auch Einfluss auf Portfoliomanagement und Portfoliokonstruktion nimmt. So sind wir und unsere Muttergesellschaft ABN Amro im letzten Jahr der sogenannten Net Zero Banking Alliance beigetreten. Das verpflichtet uns, bis ins Jahr 2030 die CO₂-Emissionen unserer Bank, aber auch in unseren Kredit- und Anlageportfolios auf netto null herunterzufahren.

TiAM: Wie sieht die Klima-Strategie von J. Safra Sarasin aus, insbesondere aus Engagement Perspektive?

Wild: Wir haben uns mit einem ambitionierten Ziel der Net Zero Asset Manager Initiative (NZAM) angeschlossen. Um bis 2035 die angestrebte Klimaneutralität des gesamten direkt verwalteten Vermögens zu erreichen, starten wir für Strategien unter dem Klimaversprechen mit einer CO₂-Intensität von 30 Prozent unter der Benchmark und streben eine jährliche Reduktion der Treibhausgasemissionen von sieben Prozent zwischen 2020 und 2030 an. Zur Unterstützung der Transition wenden wir Engagement an, wobei wir uns für den direkten Dialog auf Unternehmen fokussieren, an denen wir eine gewichtige Beteiligung besitzen und einen guten Zugang zum Management haben. Ergänzend nutzen wir auch kollaborative Engagement-Plattformen wie die PRI-Plattform oder im Nahrungsmittelbereich die FAIRR-Initiative, um unseren Einfluss geltend zu machen.

TiAM: In der Fondsbranche wird viel und heftig über die mangelnde Datenqualität der Firmen diskutiert. Wie lautet Ihre Einschätzung?

Kunkel: Die Datensituation ist sicher nicht einfach. Es war auch nicht hilfreich, dass wir aufgrund der Offenlegungsverordnung schnell berichten müssen, auf der anderen Seite aber die Vorschriften zur ESG-Unternehmensberichterstattung erst in den nächsten Jahren vollständig umgesetzt werden. Wir agieren momentan somit in einer imperfekten Welt. ­Daher ist Transparenz für uns sehr wichtig, damit die Kunden sehen, wie wir agieren.

Wild: Ich stimme zu, dass wir bessere Daten benötigen. Aber man muss aufpassen, dass man sich nicht hinter dem Argument der fehlenden Daten versteckt, wenn die Richtung der benötigten Handlungen, wie beispielsweise Dekarbonisierung, eigentlich klar ist. Wir verwenden verschiedene Anbieter für den Bezug von Rohdaten, da deren Nachhaltigkeitsratings oft sehr stark differieren. Letztlich analysieren und interpretieren wir die Rohdaten immer selbst, um unsere Sichtweise auf Nachhaltigkeit einzubringen.

TiAM: Die Finanzbranche wurde durch eine Reihe von Greenwashing-Skandalen aufgeschreckt. Wie können Sie dem als Anbieter entgegenwirken?

Kunkel: Die Diskussion ums Greenwashing ist sehr wichtig. Sie sorgt dafür, dass sowohl im Unternehmenssektor als auch in der Finanzbranche genauer hingeschaut wird. Unsere Aufgabe ist es, den Kunden klarzumachen, dass wir uns da nicht allein auf die Datenanbieter verlassen, sondern auch in die Unternehmen selbst hinein­gehen. Nur so bekommt man ein Gespür dafür, inwieweit die Konzerne tatsächlich Nachhaltigkeitsaspekte in ihrer eigenen Unternehmensphilosophie berücksichtigen.

Wild: Zwei Dinge muss man meiner Meinung nach auseinanderhalten. Es gibt Greenwashing, das auf absichtliche Irreführung mithilfe von falschen Deklarationen und Daten beruht. Diesem Problem sollte man mit Regulierungsmaßnahmen begegnen. Aber es gibt auch Green­washing-Vorwürfe von Anspruchsgruppen, deren nachhaltige Erwartungen nicht unbedingt mit den korrekt deklarierten Eigenschaften eines Produkts übereinstimmen. Zum Beispiel liefert eine Strategie mit solider ESG-Integration nicht unbedingt automatisch einen Beitrag zu den nachhaltigen Entwicklungszielen (SDG) der Vereinten Nationen. Innerhalb des nachhaltigen Investierens gibt es unterschiedliche valable Richtungen, die nicht unbedingt in allen Produkten gleichzeitig zu finden sind. Hier bedarf es mehr Aufklärung und Transparenz.

TiAM: Welche Verbesserungen wünschen Sie sich von Seiten der Regulierungs­behörden?

Wild: Ich würde mir wünschen, dass es mehr verschiedene gültige ESG-Investmentansätze gibt. Das ist mir bisher zu eindimensional und deckt nicht alle Bedürfnisse der Kunden ab. So hat der Regulierer festgelegt, dass Artikel-9-Fonds einerseits einen Impact erzielen sollen und andererseits zu 100 Prozent SFDR-Sustainable sein müssen. Den größten Impact erziele ich hingegen mit Nachzüglerfirmen, die wir durch Engagement zu nachhaltigerem Verhalten motivieren können. Das ist aber nicht Artikel-9-konform, weil diese Unternehmen nicht zu 100 Prozent SFDR-Sustainable sind. Da beißt sich eine gute Absicht mit der Realität, sodass solche Strategien am Ende als nicht nachhaltig gelten und dementsprechend schlecht im Markt positioniert werden können. Mit ihrer kürzlich gestarteten öffentlichen Konsultation hat die Europäische Kommission dies glücklicherweise bemerkt, aber der Ausgang dieser Befragung beziehungsweise der notwendigen Korrektur ist noch ungewiss.

TiAM: Herr Kunkel, wo sehen Sie noch Schwächen im Regulierungswerk?

Kunkel: Das ganze Regelwerk ist noch viel zu wenig von Kundensicht her gedacht. Die ganze Industrie weiß nicht exakt, wie sie die Anforderungen der Regulierung sauber umsetzen soll. Dadurch bleiben wir auch im Kundendialog bei solchen sehr technischen Umsetzungen wie Artikel 6, 8 und 9. So hat die Industrie momentan Probleme, den Kunden abzuholen. Der Wille des Gesetzgebers für Verbesserungen ist zwar da, aber wir befinden uns gerade erst irgendwo auf halber Strecke.

TiAM: Welche unterschiedlichen Präferenzen stellen Sie bei institutionellen und privaten Kunden in Bezug auf ESG fest?

Kunkel: Der institutionelle Kunde kommt mit einer sehr klaren Vorstellung zu uns, wie er genau investieren möchte. Wir sind für ihn ein Problemlöser, das heißt, unser Angebot muss zum Beispiel anhand seiner eigenen Ausschlusskriterien maßgeschneidert für ihn sein. Der Privatkunde möchte dagegen wissen, wie er am besten nachhaltig investieren kann. Da ist sicherlich vorteilhaft, wenn man dem Kunden entsprechend unterschiedliche ESG-Ansätze präsentieren kann.

Wild: Die institutionellen Kunden wissen, was ihnen in ihrer gesamten Risiko- und Asset-Allokation noch fehlt. Und ihnen ist klar, welchen Baustein sie dafür kaufen wollen, sodass wir aufzeigen können, wie sich dies auf nachhaltige Art und Weise bewerkstelligen lässt. Die privaten Kunden dagegen sind eher an fokussierten High-Conviction-Produkten interessiert, die auch thematisch zu ihren ganz persönlichen Vorstellungen passen.

TiAM: Wie können Sie mehr Anleger vom nachhaltigen Investieren überzeugen?

Kunkel: Zwei Aspekte des nachhaltigen Investierens sollten wir unbedingt vermitteln. Nachhaltigkeit sollte immer auch aus Risikomanagement-Gesichtspunkten heraus betrachtet werden. Dazu zählen etwa die Umweltrisiken, PR-Risiken oder gesetzgeberische Risiken für die Unternehmen, die sich in der Rendite niederschlagen können. Zweitens müssen wir als Industrie deutlicher darauf hinweisen, dass auch die nichtfinanziellen Ziele in einer fortlaufenden Berichterstattung an den Anleger eine große Rolle bei nachhaltigen Investments spielen.

Wild: Ich würde sogar einen Schritt weiter gehen. Man sollte auch die Kunden, denen das ESG-Thema nicht so am Herzen liegt, über die Nachhaltigkeit ihrer Port-
folios informieren. So würde jeder Einzelne erfahren, wie ökologisch und sozial sein Investment im Vergleich zu den anderen Anlegern positioniert ist. Das wiede­rum könnte interessante Diskussionen auslösen und letztlich auch kritischere Investoren motivieren, nachhaltiger anzulegen.

TiAM: Welche neuen Trends beobachten Sie auf dem ESG-Markt, und wie reagieren Sie darauf?

Kunkel: Wir konzentrieren uns gerade auf Rentenprodukte, die wegen der Leitzins­erhöhungen der Notenbanken zuletzt wieder attraktiv geworden sind. Das sehen wir auch am steigenden Emissionsvolumen von nachhaltigen Anleihen. Wir sondieren daher gerade, inwieweit wir den Zugang zu Green oder Social Bonds für unsere Anleger weiter ausbauen können. Ebenfalls Bedarf sehen wir für nachhaltige Lösungen für den Private-Equity-Bereich. Hier werden wir unseren Kundinnen und Kunden zum Jahreswechsel ein erstes Angebot vorstellen können.

Wild: Durch die höheren Zinsen sind andere Anlageklassen als in den Jahren zuvor wieder sehr interessant, die zuletzt nicht so im Mittelpunkt standen. Dazu zähle ich Rentenprodukte, aber auch Dividendenstrategien, die jetzt stärker nachgefragt werden. Auch für Hedgefonds, die bisher aus der Nachhaltigkeitswelt ausgeklammert wurden, erwarte ich in den nächsten Jahren interessante Lösungen. Unser Ziel muss es letztlich sein, dass die Kunden sich durch alle Anlageklassen und Marktzyklen hindurch mit attraktiven, nachhaltigen Lösungen eindecken können.

TiAM: Mit welchen neuen thematischen Trends beschäftigen Sie sich aktuell?

Kunkel: Wir führen momentan eine sehr intensive Diskussion zum Thema Fast ­Fashion. Denn dazu gibt es selbstverständlich sehr unterschiedliche Sichtweisen. Da hat auf der einen Seite natürlich der ökologische Aspekt Bedeutung, da die Fast-­Fashion-Branche teilweise einen schlechten ökologischen und sozialen Fußabdruck hat und falsche Konsumanreize setzt. Auf der anderen Seite hilft das preisgünstige Segment aber denjenigen Käuferschichten, die über keine so große Kaufkraft verfügen, um Mode zu konsumieren. Unsere Aufgabe ist es nun, die Bekleidungsbranche sehr kritisch zu hinterfragen und aus dem Sektor diejenigen Unternehmen zu fischen, die im Branchenvergleich etwa bei sozialen und ökologischen Aspekten in der Beurteilung gut abschneiden.

TiAM: Welche Themen stehen bei J. Safra Sarasin gerade im Fokus?

Wild: Da wir uns inzwischen die gesamte Wertschöpfungskette eines Sektors unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten ansehen, entstehen neue spannende Themen. Das gilt etwa für die Landwirtschaft, aber auch für den alternativen Energiesektor. Denn hier gehören nicht nur das Endprodukt Windrad oder die Solarpaneele dazu, sondern auch die Zulieferer, wie beispielsweise der Bergbau und die verknüpften Technologien entlang der Wertschöpfungskette. Wenn die Energiewende wirklich gelingen soll, dann brauchen wir viel mehr Elektrifizierung und mehr Speichermedien wie Batterien. Studien zeigen, dass dafür in Zukunft sechs- bis siebenmal mehr Metalle beziehungsweise Mineralien gefördert werden müssen als heute. Daraus ergibt sich aus Nachhaltigkeitssicht ein Zielkonflikt.

TiAM: Welcher ist das?

Wild: Da die Bergbaubranche unter ökologischen und sozialen Gesichtspunkten problematisch ist, wollen wir durch ein gezieltes Engagement Verbesserungen bei denjenigen Firmen erreichen, die ESG-­Schwächen aufweisen. Gleichzeitig wählen wir über unser fundamentales Research diejenigen Minen- und Metallkonzerne aus, die sich heute schon durch Best Practice auszeichnen.

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