Droht die nächste Finanzkrise? Das sagen die Experten
Die Pleite der Silicon Valley Bank hat die Finanzmärkte trotz raschem Eingreifen der US-Notenbank in Aufruhr versetzt. Wie schätzen die Investmentprofis die Gefahr eines Flächenbrandes ein? TiAM FundResearch hat nachgefragt.14.03.2023 | 15:00 Uhr von «Peter Gewalt»
Steven Bell, Chefvolkswirt EMEA bei Columbia
Threadneedle Investments:
„Während
wir gebannt auf die SVB blicken, ist eine weitere US-Bank in eine Schieflage
geraten und die US-Behörden ergreifen energische Maßnahmen, um die Banken mit
Liquidität zu versorgen“, sagt der Chefökonom. „Ich gehe zwar davon aus, dass
die US-Behörden den Schaden begrenzen und ein Überschwappen auf das ganze
System verhindern können. Jedoch sind die Kreditbedingungen verschärft worden,
und die US-Wirtschaftsdaten für diese Woche dürften jene bestärken, nach deren
Ansicht Janet Yellen und ihre Kollegen von der Fed mit ihrer geldpolitischen
Straffung weit genug gegangen sind“, so Bell.
Björn Jesch, Chief Investment Officer der DWS:
„Vergleiche mit der großen
Finanzkrise von 2008 scheinen aus heutiger Sicht jedenfalls nicht angebracht:
Die Gruppe der gefährdeten Unternehmen, die potenziell betroffen sein könnte,
ist wahrscheinlich zu klein, verglichen mit der enormen Größe des
US-Immobilienmarktes, der 2008 riesige Verluste im Finanzsektor verursacht
hatte. Die Banken hingegen befinden sich in Bezug auf ihre
Finanzierungsposition in einer wesentlich solideren Lage als vor der
Finanzkrise.
Jochen
Krennmayer, Senior Fondsmanager bei Tresides Asset Management:
„Das Problem der SVB lag unseres Erachtens jedoch
weniger in der Bilanzpolitik, sondern vielmehr in der Verkettung etlicher
Ereignisse, angefangen mit der VC-induzierten Liquiditätsschwemme und dem damit
einhergehenden Anlagedruck für die Bank, gefolgt von der raschen
Leitzinsstraffung der FED im Jahr 2022. Ein weiteres gravierendes Defizit der
SVB im Vergleich zu Großbanken war die mangelnde Diversifikation bei der
Refinanzierung. Wir erwarten - insbesondere für europäische Großbanken und „National
Champions“ - keine direkten Ansteckungseffekte aus den jüngsten Geschehnissen
rund um die SVB, selbst wenn weitere kleinere US-Banken aufgrund
Liquiditätsproblemen ins Straucheln kommen könnten. Vor allem bei kleineren
europäischen Banken könnten die News aus den USA durchaus für Volatilität auf
der Aktien- sowie Rentenseite sorgen, wenngleich auch hier nicht außer Acht
gelassen werden darf, wie breit gefächert das Instrumentarium der EZB im Zuge
eventueller Stützungen von Einzelinstituten ist. Eine wichtige Botschaft für
die Zentralbanken lässt sich allerdings aus den jüngsten Vorkommnissen
durchaus ableiten: Weitere Leitzinsanhebungen könnten nunmehr für größeren
wirtschaftlichen Schaden sorgen, als vielleicht noch vor Wochen angenommen
wurde. Erste Analysehäuser nahmen als unmittelbare
Reaktion bereits ihre Leitzinsprognosen zurück und sehen für den März-Termin
der FED-Sitzung keine weitere Anhebung.“
Carsten Mumm Carsten Mumm,
Chefvolkswirt bei der Privatbank DONNER & REUSCHEL:
„Auch wenn das Risiko besteht, ist die
Wahrscheinlichkeit für eine neue globale Finanzkrise daher derzeit gering.
Fraglich ist allerdings, ob die Notenbanken vor dem Hintergrund der aktuellen
Entwicklungen ihren weiteren Zinserhöhungszyklus anpassen werden, denn ihr
bisheriger Fokus auf die Inflationsbekämpfung ist nicht weniger notwendig
geworden, wie die in dieser Woche zur Veröffentlichung anstehenden
Februar-Inflationsdaten in den USA unterstreichen dürften.“
Guy de Blonay, Investment
Manager für Finanzaktien bei Jupiter Asset Management:
„Wir
glauben zwar nicht, dass eine Bankenkrise entstehen kann, und die Situation der
SVB ist in gewisser Weise einzigartig, aber wir erwarten eine verstärkte
Prüfung der Anleihenportfolios durch die Anleger und folglich mögliche Abflüsse
von Einlagen.
Wir bevorzugen nach wie
vor europäische gegenüber US-amerikanischen Banken, wobei die Zinsen in Europa
– viel stärker als in den USA – für Bankaktien nach wie vor Rückenwind
bedeuten. Die Revisionen der Konsensschätzungen bleiben durchweg positiv, wobei
die Kapitalrendite und die Verbesserung der Rentabilität hierfür eine wichtige
Basis darstellen, und auch die Bewertungen bleiben unseres Erachtens attraktiv.“
Eric Vanraes, Head of Fixed Income und Portfoliomanager des Strategic
Bond Opportunities Fund, Banque Eric Sturdza SA:
„Bisher antizipieren die
Märkte keinen Lehman Brothers-Moment, was auf Basis der vorhandenen
Informationen eine vernünftige Reaktion ist. Wenn wir wirklich schon in solch
einer Lage wären, hätte die Fed bereits die Zinsen gekürzt. Jedoch ist sich die
Fed bewusst, dass jede weitere Zinserhöhung weitere Insolvenzen bei Banken,
Hedgefonds, Pensionsfonds und dem Immobilienmarkt bewirken könnte. In der vergangenen Woche sah
es noch so aus, als ob sich der Fall SVB zu einem Sturm im Wasserglas
entwickelt. Nun ist es eher wahrscheinlich, dass der März und April eine
Zeitenwende für die Anleihenmärkte darstellen könnten. Wir können nur hoffen,
dass die Zentralbanken kluger agieren als die Banker der Silicon Valley Bank."
Salah Bouhmidi, Head of Markets beim
Onlinebroker IG Europe GmbH:
Dieses
Ereignis ist meines Erachtens als ein isoliertes zu betrachten, und wird kein
großes Problem für den amerikanischen Bankensektor oder gar eine Systemkrise
auslösen. Die Silicon Valley Bank hatte sich stark auf die Finanzierung von
Technologie- und Wachstumsunternehmen, zumeist Start-Ups insbesondere aus dem
Krypto- und Blockchain-Bereich fokussiert. Damit hat sie ein Klumpenrisiko
entwickelt und zum anderen massiv Held-To-Maturity (HTM)-Positionen aufgebaut. Mit
den rasant angestiegenen Leitzinsen kamen die Kunden der Bank ins Straucheln.
Die Held-To-Maturity-Positionen verloren dramatisch an Wert. Diese Ausgangslage
ist, wenn überhaupt, ansatzweise bei anderen kleinen US-Banken zu beobachten,
vermittelt aber kein Bild vom gesamten US-Bankensektor. Die aktuelle Situation
ist deshalb auch nicht mit der Finanzkrise 2008 zu vergleichen.
Josef Schorn und Philipp Graxenberger von XAIA
Investment:
„Der Zinsmarkt wertete die Rettung der SVB als
potenzielles Ende des Zinserhöhungszyklus. Diese Annahme könnte sich als
vorschnell erweisen, da die Inflation historisch nur durch ein höheres
Zinsniveau gedrosselt werden konnte. Eine Abkehr vom Zinserhöhungszyklus macht
nur Sinn, falls die inflationären Tendenzen zurückgehen oder systemische
Risiken im Zins- und Kreditmarkt außer Kontrolle geraten. Daher ist es vermutlich
noch zu früh auf eine Veränderung der Zentralbankpolitik zu spekulieren.