Edelmetallhändler: Der Nachschub stockt
Während eines beispiellosen Ansturms von Käufern wird physisches Gold knapp. Wer noch ordern will, sollte sich beeilen. So sieht es bei den einzelnen Anbietern aus.31.03.2020 | 09:00 Uhr von «Julia Gross»
Fakten, die bisher eher zur Kategorie „überflüssiges Wissen“ zählten: Rund 70 Prozent des weltweit geförderten Goldes werden in der Schweiz verarbeitet. Drei Raffinerien der Firmen Valcambi, Argor- Heraeus und PAMP verarbeiten mit 1500 Tonnen Gold zusammen rund ein Drittel des weltweiten Jahresangebots, zusätzlich erhebliche Mengen anderer Edelmetalle. Alle drei Anlagen stehen im Kanton Tessin — und dort geht seit Montag nichts mehr.
Ausgerechnet in einer Phase, wo Gold
als sicherer Hafen gefragt ist, bricht somit der Nachschub an Münzen und kleineren Barren weg. Dazu kommen Engpässe bei den Prägeanstalten und in der
Logistik. Wer sich unbedingt mit physischem Gold eindecken will, sollte dies
lieber schnell tun, muss dann aber ungünstige Konditionen wie deutlich gestiegene Aufgelder in Kauf nehmen.
Physisch besicherte Gold-ETCs sind eine
sinnvolle Alternative. Über die aktuelle
Situation bei zehn Edelmetallhändlern
mit Stand Donnerstag, 17.00 Uhr, gibt
die Tabelle rechts einen Überblick.
Mindestens eine Woche lang wollen die lokalen Behörden im Tessin die Schließung nicht lebenswichtiger Industriezweige aufrechterhalten, um die Ausbreitung des Sars-CoV-2-Virus zu bremsen. Von den Standorten der Goldraffinerien im Süden des Kantons sind es kaum mehr als 50 Kilometer bis nach Mailand und rund 100 Kilometer bis Bergamo, das mit am schlimmsten von der Corona-Pandemie betroffen ist. Es gibt viele Pendler vom einen ins andere Land. Auch wenn der Schritt der Unter- nehmensschließungen in der Schweiz auf Bundesebene rechtlich umstritten ist: Zumindest Valcambi und Argor- Heraeus verkündeten, bis Ende des Monats dichtzumachen.
Situation ändert sich ständig
Gleichzeitig schließen auch viele Prägeanstalten: Südafrika und Kanada sperren mindestens ebenso lang wie die Raffinerien zu. „Die Perth Mint in Australien nimmt aktuell keine Aufträge mehr an, da sie zwei Millionen Silberunzen aufgrund offener Bestellungen nachprägen müssen“, sagt Christian Brenner, Geschäftsführer des Edelmetallhändlers Philoro. Dessen Filialen sind, wie bei allen Händlern, längst geschlossen. Kaufen können Anleger nur noch in Onlineshops. Noch hat Philoro Ware und kann sie auch versenden. „Den bunten Blumenstrauß an Produkten gibt es aktuell nicht, aber wir haben noch große Bestände und können alle Bestellungen auch kurzfristig bedienen“, so Brenner.
Doch die Situation ändert sich von
Tag zu Tag. Weil der Werttransporter
Prosegur die Übergabe an Privatpersonen erst eingestellt hatte, inzwischen
wieder eingeschränkt anbietet, ist der
Versand von Sendungen mit einem Wert
von über 25 000 Euro schwieriger geworden. Andere Logistikdienstleister
wie zum Beispiel Fedex liefern nicht
mehr in bestimmte Länder. Aufgrund
der Grenzschließungen kommen keine
Sendungen mehr aus den USA und Kanada, bei anderen Quellen ist fraglich,
wie lange es noch Plätze beispielsweise
für Luftfracht gibt.
Die Edelmetallhändler müssen daher
neue Lösungen finden. Heraeus Gold
verschickt gar nicht mehr, dafür ist aber
die Lagerung im Hochsicherheitslager
bis Ende des Jahres kostenlos, sowohl
für Neu- als auch für Bestandskunden.
Degussa bot das zwischenzeitlich auch
an, versendet jedoch inzwischen wieder. Die Münchner Pro Aurum musste
vergangene Woche sogar den Onlineshop für drei Tage schließen, um die
massenhaft eingegangenen Aufträge abzuarbeiten. Als Konsequenz, um der rie-
sigen Nachfrage Herr zu werden, beschränkt das Unternehmen sich nun auf
die Annahme von 500 Aufträgen pro
Tag. „Wir verzichten lieber auf Neugeschäft, als dass Kunden extrem lang auf
die Lieferung warten müssen“, sagt
Robert Hartmann, Gründer und Gesellschafter von Pro Aurum.
Tsunami an Kaufaufträgen
Denn die Käufer stürmen Onlineshops und Telefon-Hotlines wie nie zuvor. Goldhändler sprechen von einem Tsunami an Anfragen, Pro Aurum etwa verzeichnet eine Nachfrage, die 50 bis 60 Prozent über der Zeit der Finanzkrise liegt. „Es wird alles gekauft, was angeboten wird, es geht gar nicht mehr um den Preis, sondern um die Verfügbarkeit und die Menge“, beobachtet Henry Schwarz, Geschäftsführer von Anlagegold24.de. „Ware, die heute hereinkommt, wird quasi sofort verkauft.“ Er sieht Parallelen zur Lehman-Pleite und dem Börsencrash von 2007/2008. „Der Unterschied ist, dass die Finanzkrise nicht jeden betroffen hat. Das Coronavirus dagegen ist überall, quasi bei jedem vor der Tür“, so Schwar.
Die — teilweise mehrere Wochen lan-
gen — Lieferzeiten beunruhigen die
Kunden, Tausende erkundigen sich telefonisch, wo ihr Gold bleibt. Auch die
Lageroption schmeckt vielen Anlegern
nicht, sie wollen das Edelmetall in den
Händen halten. Bedenkenswert ist dabei allerdings der Sicherheitsaspekt: Ein
Teil der Bankfilialen hat aktuell geschlossen, Bankschließfächer sind somit nicht immer zugänglich — sofern
man denn überhaupt eines bekommt.
Das Gold zu Hause aufzuheben ist jedoch, erst recht wenn kein Tresor vorhanden ist, nicht empfehlenswert.
Schließlich dürften auch Kriminelle
mitbekommen, wie groß der Run auf
Barren und Münzen gerade ist.
Was den Nachschub angeht, schwanken die Aussagen der Händler zwischen Extremen. „Wir bekommen immer wieder Produkte herein, aber der Markt ist leergefegt“, sagt zum Beispiel Daniel Klee, Mitglied der Geschäftsführung bei ESG Edelmetall-Service. „Wir haben zwar Kontrakte für die kommenden Wochen, aber die Situation kann sich jederzeit ändern. Zwischendurch hatten wir auch schon die Situation, dass im Onlineshop alles weg war.“ Und während Pro Aurum in Deutschland laut Auskunft vom Donnerstag über Bestände für zwei bis vier Wochen verfügt, heißt es im Schweizer Onlineshop: „Wir sind ausverkauft und bekommen in absehbarer Zukunft keine neue Ware mehr.“
Goldpreis im Aufwind
Nachdem der Goldpreis zunächst unter Notverkäufen von Investoren gelitten hat, ist das Edelmetall jetzt wieder im Aufwind. Angesichts der geöffneten Geldschleusen bei Fed und EZB und den milliardenschweren Hilfspaketen diverser Länder sollte der Goldpreis mittelfristig profitieren. Auch in der Finanzkrise 2008 gab Gold zunächst nach, drehte jedoch mit der Ankündigung der quantitativen Lockerung der Fed nach oben. Bis 2011 verteuerte es sich auf rund 1800 Dollar pro Feinunze. Analysten der Commerzbank glauben jedoch aufgrund des erwarteten Nachfrageeinbruchs in der Goldnation Indien „nicht, dass die Bäume für den Goldpreis in den Himmel wachsen“. Anleger, die nicht bereit sind, den stark gestiegenen Aufpreis für physisches Gold zu zahlen oder die bei Händlern leer ausgingen, investieren besser in einem ETC wie Xetra-Gold (ISIN: DE000A0S9GB0). Auch dieses Produkt ist mit Goldbarren hin- terlegt und es kann jederzeit ge- und verkauft werden.
Quelle: €uro am Sonntag