Expertenanalyse: Das sind 10 DAX-Trends für 2023
Jede Woche veröffentlichen führende Vermögensverwalter und Fondsgesellschaften weltweit fundierte Einschätzungen zu den Kapitalmarktmärkten. Um einen Überblick zu erhalten, fasst TiAM FundResearch regelmäßig die wichtigsten Aussagen für Sie kompakt zusammen.02.12.2022 | 13:30 Uhr von «Peter Gewalt»
Diese Woche steht eine Analyse im Mittelpunkt, die insbesondere deutsche Anleger stark interessieren dürfte. Das Group Research – Chief Investment Office der Commerzbank hat die 10 wichtigsten DAX-Trends für 2023 ausgearbeitet. Ergebnis: Nach nervösem Jahresstart gibt es Rückenwind durch eine stetig fallende Inflation und das Ende der Leitzinserhöhungen. Hier die Einzeltrends:
Trend 1: Der DAX dürfte 2023 wenig Rückenwind von der Konjunktur bekommen
Aufgrund der rasanten Leitzinserhöhungen der EZB und der US-Notenbank sind die Zinsen für Immobilien-, Konsumenten und Unternehmenskredite in den vergangenen Quartalen deutlich gestiegen. Insbesondere in den USA haben sich die monetären Indikatoren zuletzt deutlich eingetrübt. So ist die US-Zinsstruktur (2-Jahre-zu-10-Jahre) so invers wie seit Anfang der 80er-Jahre nicht mehr, und das Wachstum der M1-Geldmenge hat sich von 13,7 Prozent im Januar auf 0,2 Prozent im November abgeschwächt. Aufgrund dieses zunehmend restriktiven monetären Umfelds erwarten wir für 2023 eine recht schwache Konjunkturentwicklung. So dürfte das Bruttoinlandsprodukt 2023 in Deutschland um 0,5 Prozent schrumpfen, und in den USA halten wir eine Stagnation für wahrscheinlich. In den ersten drei Quartalen 2023 droht beiden Regionen jeweils der Rutsch in eine „milde“ Rezession.
Trend 2: Der DAX sollte 2023 von einer stetig fallenden Inflation und dem Ende der Leitzinserhöhungen profitieren
Vor dem Hintergrund der schwachen Wirtschaftsentwicklung sollte die Inflation bis Ende 2023 deutlich sinken: in Deutschland von aktuell 11 Prozent auf 3,8 Prozent und in den USA von derzeit 7 Prozent auf 3,6 Prozent. Aufgrund der stetig fallenden Inflation erwarten wir, dass die US-Notenbank im Frühjahr ihre Leitzinserhöhungen bei 5,0 Prozent beenden wird. Und die EZB dürfte im zweiten Quartal nach Erreichen der 3 Prozent-Marke für den Einlagensatz ebenfalls ihren Leitzinserhöhungszyklus stoppen. Der das Jahr 2022 prägende Anstieg der Renditen für zehnjährige Staatsanleihen sollte sich in diesem Umfeld 2023 auslaufen. Zum Jahresende 2023 dürfte die deutsche Rendite im Bereich von 2 Prozent und die US-Rendite im Bereich von 3 Prozent liegen. Für den Euro sollte in diesem Umfeld 2023 eine leichte Aufwertung gegenüber dem US-Dollar möglich sein.
Trend 3: Die erwartete Nachsteuermarge der DAX-Unternehmen dürfte 2023 weiter sinken
Die Kombination aus stagnierender Wirtschaft und rückläufiger Inflation dürfte 2023 zu deutlich fallenden Erwartungen für die Gewinnmargen der DAX-Unternehmen führen. Steigende Kosten, beispielsweise für Energie und Löhne, belasten schon seit vielen Quartalen die Gewinnperspektiven der Unternehmen. Doch bislang haben sich die Gewinnmargen relativ robust entwickelt, da viele Unternehmen die höheren Kosten mittels Preissteigerungen an ihre Kunden weiterreichen konnten. Dies sollte sich im Jahr 2023 ändern, da eine schwache Konsumentennachfrage die Preisüberwälzungs-Spielräume immer stärker einengen dürfte. In unserem DAX-Gewinnszenario gehen wir daher davon aus, dass die erwartete DAX-Nachsteuermarge 2023 von aktuell 7 Prozent Richtung dem langjährigen Durchschnitt im Bereich von 5Prozent bis 6 Prozent fallen wird.
Trend 4: Die Analysten dürften ihre DAX-Gewinnerwartungen für 2023 im Jahresverlauf von 1.240 Indexpunkte auf 1.100 Indexpunkte reduzieren
Die zunehmend unter Druck kommenden Erwartungen für die Gewinnmargen der DAX-Unternehmen sollten 2023 dazu führen, dass die Analysten ihre Gewinnprognosen für die DAX-Unternehmen Schritt für Schritt nach unten anpassen müssen. Wir prognostizieren, dass die DAX-Gewinnerwartungen für das kommende Geschäftsjahr 2023 im Verlauf des Jahres von aktuell 1.240 Indexpunkte auf 1.100 Indexpunkte revidiert werden. In unserem Szenario würden die Gewinne der DAX-Unternehmen damit im Rezessionsjahr 2023 12 Prozent unter dem Niveau des Geschäftsjahres 2022 liegen.
Trend 5: 2023 weht ein ständiger Gegenwind durch negative Gewinnrevisionen
Der DAX geht mit einem negativen Gewinnrevisions-Momentum in das Börsenjahr 2023. So haben die Unternehmensanalysten im vergangenen Quartal für 25 der 40 DAX-Unternehmen ihre Prognose für den Gewinn je Aktie im Geschäftsjahr 2023 reduziert . Für sieben DAX-Unternehmen wurden die Gewinnerwartungen sogar um mehr als 10 Prozent nach unten angepasst. Vor dem Hintergrund des Stillstands der Konjunktur bei gleichzeitig aufkommendem Margendruck erwarten wir insbesondere im ersten Halbjahr 2023 ein negatives Gewinnrevisions-Momentum für die DAX-Unternehmen, welches die DAX-Entwicklung zunächst ausbremsen sollte. Trend 6: Das Kurs-Buchwert-Verhältnis des DAX dürfte 2023 zwischen 1,2 und 1,6 pendeln Der Buchwert ist eine Kenngröße für das in den Bilanzen der DAX-Unternehmen schlummernde Eigenkapital. Angetrieben von der zuletzt starken Entwicklung der Unternehmensgewinne, die teilweise in die Gewinnrücklagen und damit in das Eigenkapital gebucht werden, ist der DAX-Buchwert mittlerweile auf ein Allzeithoch von 9.700 Indexpunkten gestiegen. In unserem Szenario einer Rezession mit fallenden Unternehmensgewinnen gehen wir davon aus, dass das DAX-Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) im Verlauf des ersten Halbjahres 2023 im Extremfall bis auf 1,2 fallen könnte, was derzeit einem DAX-Niveau von 11.600 Indexpunkten entsprechen würde. In dem sich im Jahresverlauf aufhellenden Konjunkturumfeld mit fallender Inflation und dem Ende des Leitzinserhöhungszyklus halten wir im zweiten Halbjahr zwischenzeitlich ein DAX-KBV von 1,6 für möglich. Dies würde derzeit ein DAX-Niveau von 15.500 Indexpunkte bedeuten.
Trend 7: 24 DAX-Unternehmen dürften die Dividende anheben, und 19 DAX-Unternehmen bieten eine Dividendenrendite von mehr als drei Prozent
Auf Basis der aktuellen Markterwartungen werden wahrscheinlich 24 DAX-Unternehmen für das Geschäftsjahr 2022 eine im Vergleich zum Jahr 2021 höhere Dividende zahlen, während für acht DAX-Unternehmen eine Dividendenkürzung prognostiziert wird. Mit Deutsche Telekom, Infineon, Siemens und Siemens Healthineers haben bereits vier DAX-Unternehmen eine höhere Dividende für das Geschäftsjahr 2022 angekündigt. RWE stellte eine unveränderte Dividende in Aussicht, während Siemens Energy eine Streichung der Dividende angekündigte. 19 DAX-Unternehmen bieten derzeit auf Basis der aktuellen Markterwartungen eine erwartete Dividendenrendite von mehr als 3 Prozent für das Geschäftsjahr 2022. Trend 8: DAX-Dividendenrendite hat 2023 Konkurrenz durch höhere Unternehmensanleihen-Renditen Auf Basis der vielversprechenden Aussichten für den DAX-Dividendenjahrgang 2023 mit 24 erwarteten Dividendenerhöhungen bietet der DAX eine attraktive Dividendenrendite von 3,5 Prozent. Die Rendite liegt damit derzeit mehr als 150 Basispunkte über der Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe, so dass der DAX für Dividendenjäger ein spannendes Investment bleibt. Jedoch ist seit Januar 2022 die Rendite für Euro-BBB-Unternehmensanleihen kräftig von 0,7 Prozent auf 4,2 Prozent gestiegen. Relativ zu Unternehmensanleihen haben DAX-Dividenden damit an Attraktivität verloren, was das DAX-Kurspotential für 2023 bremsen sollte.
Trend 9: Der VDAX dürfte sich auch 2023 auf einem relativ hohen Niveau bewegen
Die implizite DAX-Volatilität VDAX ist eine Maßzahl dafür, welche DAX-Kursschwankungen Investoren mittelfristig erwarten. Ein niedriger VDAX im Bereich von 20 und weniger signalisiert ein recht gelassenes, von Optimismus geprägtes Marktumfeld. Ein hoher VDAX von 30 und mehr ist dagegen häufig in sehr nervösen Marktphasen mit großem Pessimismus zu beobachten. Der Ukraine-Krieg, die explodierende Inflation und die starken Leitzinserhöhungen der EZB und der US-Notenbank haben im Börsenjahr 2022 zu einigen Stressphasen am deutschen Aktienmarkt geführt, und der VDAX lag bis zum 24. November an 61 Handelstagen (26 Prozent aller Handelstage) über der Marke von 30. Zum Vergleich: im Börsenjahr 2021 gab es nur einen Handelstag mit einem VDAX von über 30. Für das Rezessionsjahr 2023 erwarten wir eine anhaltend hohe Nervosität an den Aktienmärkten, da aufgrund der drastisch gestiegenen Leitzinsen die Aussichten für Konjunktur und Unternehmensgewinne im hohen Ausmaß unsicher sind. Wir sehen Parallelen zu den Jahren 2008 und 2009, als die Nervosität an den Aktienmärkten zwei Jahre in Folge relativ hoch blieb.
Trend 10: VDAX gibt auch 2023 wertvolle Trading-Hinweise
In dem von Unsicherheit geprägten Marktumfeld dürfte der VDAX auch im Börsenjahr 2023 wertvolle Trading-Hinweise geben. So sollten Anleger 2023 in gelassenen Marktphasen mit einem VDAX im Bereich von 20 und weniger beginnen, schrittweise Aktienpositionen abzubauen. Zudem rechnen wir auch für das Börsenjahr 2023 damit, dass der VDAX in zwei oder drei Marktphasen auf über 30 steigen wird. Diese nervösen Marktphasen sollten Investoren 2023 nutzen, um ihre Aktienpositionen sukzessive auszubauen.
Unerwartet schwere US-Rezession ein Risikofaktor für 2023
Das Börsenjahr 2023 startet in einem schwachen monetären Umfeld in den USA, gekennzeichnet durch eine inverse Zinsstrukturkurve, eine stagnierende M1-Geldmenge und eine stark schrumpfende Fed-Bilanzsumme. Wir sehen es daher als größten Risikofaktor für 2023 an, dass sich die US-Wirtschaft deutlich schwächer entwickeln könnte als erwartet. In einem zunehmend restriktiven monetären Umfeld kommt es häufig zu Krisen in einzelnen Marktbereichen, und der Markt für Kryptowährungen scheint der erste größere Leidtragende zu sein. Auch eine sich länger hinziehende Wachstumsschwäche in China aufgrund einer anhaltenden Corona- und Immobilienkrise bleibt ein Risikofaktor für 2023. Und schließlich könnten auch geopolitische Risikofaktoren die Aktienmärkte zwischenzeitlich deutlich belasten. So dürfte der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine weiterhin für eine hohe Unsicherheit auf den europäischen Energiemärkten sorgen. Und auch die zunehmenden Spannungen zwischen den USA und China, unter anderem mit Blick auf Taiwan und die Restriktionen im Informationstechnologie-Sektor, stufen wir als einen Risikofaktor für das Börsenjahr 2023 ein.
Fazit:
Nach
den deutlichen Kursgewinnen am deutschen Aktienmarkt im Oktober und November erwarten
wir einen nervösen Start in das Börsenjahr 2023. Der DAX sollte 2023 wenig
Rückenwind von der Konjunktur bekommen, da die Wirtschaft sowohl in Deutschland
als auch in den USA in den ersten drei Quartalen 2023 leicht schrumpfen dürfte.
Rückenwind sollten die Aktienmärkte im Jahresverlauf von einer stetig fallenden
Inflation erhalten. Die EZB und die Fed dürften daher im ersten Halbjahr ihre
Leitzinserhöhungen beenden. Die Gewinne der DAX-Unternehmen werden in unserem
Szenario im Geschäftsjahr 2023 um 12 Prozent fallen.
Für die
DAX-Kurs-Buchwert-Bewertung erwarten wir 2023 eine erneut große
Schwankungsbreite zwischen 1,2 und 1,6. 24 DAX-Unternehmen werden 2023
wahrscheinlich ihre Dividende anheben, so dass der DAX eine attraktive
Dividendenrendite von 3,5 Prozent bietet. Und auch im Börsenjahr 2023 dürfte
der VDAX Trading-Signale für Investoren geben mit DAX-Verkaufssignalen im
VDAX-Bereich von 20 und DAX-Kaufsignalen im VDAX-Bereich von 30. (pg)
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