Expertenanalyse: „Drei klare Trends und viele Fragezeichen"
Jede Woche veröffentlichen führende Vermögensverwalter weltweit zahlreiche fundierte Einschätzungen zu den Finanz- und Kapitalmarktmärkten. Um einen Überblick zu erhalten, fasst TiAM FundResearch regelmäßig die wichtigsten Aussagen für Sie kompakt zusammen.22.09.2023 | 12:15 Uhr von «Peter Gewalt»
Diese Woche stellen Finanzmarktexperten die Auswirkung der geldpolitischen Entscheidung der US-Notenbank Fed und die Folgen auf verschiedenen Assetklassen in den Fokus ihrer Analysen.
So kommentiert Tiffany Wilding, , Managing
Director und Ökonomin beim Vermögensverwalter PIMCO:
- Was ist passiert? Die US-Notenbank hat die Leitzinsen konstant gehalten und ihre Absicht signalisiert, die Zinsen länger als bisher angenommen auf restriktivem Niveau zu halten. Das reale BIP-Wachstum hat sich als wesentlich stabiler erwiesen, was zu erheblichen Korrekturen der Wirtschaftsprognosen der Mitglieder des Offenmarktausschusses (FOMC) führte. Die neuen Projektionen gehen von einer deutlichen Beschleunigung der Produktivität und einem höheren kurzfristigen natürlichen Zinssatz aus – was die Inflation zurückgehen lassen soll, ohne dass die Arbeitslosenquote wesentlich ansteigt oder das Wachstum unter dem Trend liegt.
- Was bedeutet das?Die Pandemie und die Reaktion der
Regierung haben ein einzigartiges Bündel von Faktoren mit Folgen für die
US-Wirtschaft geschaffen. Wenn in der Vergangenheit die Zinssätze so schnell
und so hoch angehoben wurden, um die Inflation wieder auf das 2 %-Ziel der Fed
zu drücken, neigte die Wirtschaft stets dazu, in eine Rezession zu fallen.Bis
zum heutigen Tag hatten die Fed-Vertreter diese Tatsache immer indirekt
anerkannt, wenn sie einen Anstieg der Arbeitslosenquote prognostizierten – was
in der Vergangenheit mit einer Rezession verbunden war. Mit diesen neuen
Prognosen hat die Fed nun jedoch ihre wachsende Zuversicht zum Ausdruck
gebracht, dass es dieses Mal anders ist.
- Wie geht es weiter?Unsere Sorge betrifft zunächst die kurzfristige Nachhaltigkeit der jüngsten Wachstumsrate des realen BIP von 2 %. Eine weiche Landung ist zwar durchaus möglich, d.h. eine Rückkehr der Inflation zum Zielwert, ohne dabei eine Rezession auszulösen. Aber wir halten das Eintreten einer Rezession für genauso wahrscheinlich wie deren Ausbleiben. Es ist zu erwarten, dass die straffe Geldpolitik über einen längeren Zeitraum beibehalten wird und dass sie die Wirtschaftstätigkeit im Laufe der Zeit verlangsamt. Die positiven wirtschaftlichen Überhänge aus der Pandemie, einschließlich der hohen Ersparnisüberschüsse der privaten Haushalte, werden abgebaut. Die Verzögerungen, mit denen die Geldpolitik wirkt, werden dadurch eher verlängert, als beseitigt. Die Kreditkonditionen sind angespannt und die Kosten für Grenzkreditnehmer sind höher. Es ist zu erwarten, dass sich die wirtschaftlichen Widerstände im Laufe der Zeit noch weiter verstärken werden, da immer mehr Schulden zu den neuen höheren Zinssätzen verlängert und umgeschuldet werden.“
James Briggs, Portfolio Manager im Corporate-Credit-Team bei
Janus Henderson Investors meint:
„Die
US-Notenbank beließ die Zinssätze wie erwartet unverändert, verkündete aber
gleichzeitig, dass mit einer weiteren Zinserhöhung in den letzten Monaten des
Jahres zu rechnen sei. Die Zusammenfassung der Wirtschaftsprojektionen wurde
aktualisiert, um eine widerstandsfähigere Wirtschaft als erwartet zu
berücksichtigen, wobei insbesondere die Arbeitsmärkte und die
Verbraucherausgaben in den letzten Monaten positiv überrascht haben. Der
Ausschuss hat die jüngsten Daten herangezogen, um ein wesentlich
optimistischeres Szenario für eine weiche Landung in den Jahren 2024 und 2025
zu extrapolieren. Er geht davon aus, dass sich die Inflation weiter in Richtung
des Zielwerts abschwächen kann, ohne dass es zu einem wesentlichen Anstieg der
Arbeitslosenquote kommt. Während diese Prognosekorrekturen bis zu einem
gewissen Grad eine realistische Marktbewertung darstellen, scheinen die
Korrekturen für die Folgejahre sich weniger an früheren Zyklen zu orientieren.
Der Vorsitzende Powell räumte ein, dass die Unsicherheit rund um diese
Prognosen nach wie vor groß ist, und spielte deren Bedeutung für die
Geldpolitik herunter. Er betonte weiterhin, dass die Fed datenabhängig bleibe
und dass die gesamten eingehenden Daten für die künftige Zinsentwicklung
entscheidend sein werden.
Unserer Ansicht nach ist die Wahrscheinlichkeit einer weiteren
Zinserhöhung auf der November- oder Dezember-Sitzung nach wie vor gering. Wir
gehen jedoch nach wie vor davon aus, dass keine weiteren Erhöhungen
erforderlich sein werden und dass wir für diesen Zyklus den Zielwert erreicht
haben. Die Erklärung spiegelte das seit den Juni-Prognosen besser als erwartete
Wachstum wider, erwähnte aber nicht, dass auch die Inflation positiv überrascht
hat. Mit Blick auf die Zukunft hat sich die Liste der potenziellen
Wachstumsrisiken verlängert: Ein möglicher Shut-down der Regierung und
eskalierende Arbeitskämpfe addieren sich zum Abbau überschüssiger Ersparnisse
und der Rückkehr zur Rückzahlung von Studentenkrediten. Obwohl die jüngsten
Trends darauf hindeuten, dass die Wirtschaft robust genug sein dürfte, um
diesem Gegenwind standzuhalten, versuchte die Fed, Zeit für die Bewertung der
eingehenden Daten zu gewinnen, ohne zu verkünden, dass die Zinssätze ihren
Höhepunkt erreicht haben oder die restriktive Politik, die sie in den letzten
18 Monaten eingeführt hat, zu lockern. Dieser vernünftige Ansatz, den
Zinserhöhungszyklus zu pausieren, während einer längerfristig angelegten, auf
die Inflationsrisiken ausgerichteten Geldpolitik, bietet Flexibilität für
Anpassungen in den kommenden Monaten. Angesichts der sich abzeichnenden
BIP-Revisionen und der sich weiter normalisierenden Basiseffekte gehen wir
davon aus, dass die hawkishe Rhetorik in den kommenden Monaten als weniger
notwendig erachtet werden könnte.“
Christian Scherrmann,
US-Volkswirt bei der DWS, ordnet den Fed-Entscheid wie folgt ein:
„Wie
allgemein erwartet, gab sich die US-Notenbank auf ihrer Sitzung im September
erneut falkenhaft. Die aktualisierte Wirtschaftsprognosen suggerieren, dass die
US-Zentralbanker noch immer an eine weiche Landung glauben. In den nächsten
Jahren erwarten sie ein robusteres Wachstum sowie einen geringeren Anstieg der
Arbeitslosenquote. Gleichzeitig nähert sich die Inflation allmählich ihrem Ziel
von 2 Prozent - irgendwann im Jahr 2026 - an. Der Zinsausblick beinhaltet noch
immer einen weiteren Zinsschritt in diesem Jahr sowie weniger Zinssenkungen in
2024. Alles in allem ein relativ optimistisches Bild der Wirtschaft, welches,
wenn man die Prognosen für bare Münze nimmt, die Frage aufwirft, warum die
Zentralbank auf dieser Sitzung nicht an den Zinsen gedreht hat.
Der Fed-Vorsitzende Jerome Powell hat vielleicht gerade diese Frage zu Beginn
der Pressekonferenz beantwortet. Er erklärte, dass man bei den Zinssätzen
"vorsichtig vorgehen" wolle. Dies deutet darauf hin, dass die
Zentralbanker ihren (Zins-)Prognosen möglicherweise doch nicht so ganz
vertrauen. Vielmehr wartet man auf "überzeugende Beweise" und
"mehr Fortschritte", um zu entscheiden, ob die Zinsen restriktiv
genug sind, damit die Inflation auf das 2 Prozent-Ziel sinkt. Auf die Frage, ob
eine weitere Zinserhöhung für die Wirtschaft überhaupt von Bedeutung sei,
antwortete er, dass er der Frage aus makroökonomischer Sicht "keine große
Bedeutung" beimessen würde.
Darüber hinaus scheint eine sanfte Landung
nicht das Basisszenario zu sein, jedoch hält man dies für möglich - wenn man
nur vorsichtig genug vorgeht. Auch auf die Frage, ob die Fed die derzeitige
Haltung für restriktiv genug hält oder wann mit den ersten Zinssenkungen zu
rechnen sei, äußerte er sich sehr vorsichtig: „dies ist mit viel Unsicherheit
behaftet".
Insgesamt hat man den Eindruck,
dass Jerome Powell in der Pressekonferenz die selbstbewusste falkenhafte
Botschaft der volkswirtschaftlichen Prognosen abgeschwächt hat. Die Worte
"vorsichtig" und "Ungewissheit" erwähnt er ungewöhnlich
häufig. Wir sind nach wie vor der Ansicht, dass die Zentralbanker derzeit eher
daran interessiert sind, die Markterwartungen hinsichtlich des Credos „länger
höhere Zinsen“ zu managen, anstatt die Wirtschaft durch weitere Zinsschritte
noch mehr unter Druck zu setzen.
Damit diese Strategie aufgeht, müssen die
Zentralbanker datenabhängig sein. Sollten die Daten enttäuschen, so gibt es
mehr zu tun - etwas, das sie vielleicht zu vermeiden versuchen. Angesichts der
aktualisierten Prognosen liegt die Messlatte für die meisten Daten - mit
Ausnahme der Inflation - nun jedoch höher.“
Stephen Auth, Chief Investment Office for Equities bei Federated
Hermes, meint:
„Seit unserem letzten Marktkommentar hat sich der Markt weiter durch die
spätsommerlichen Gewitterwolken gewälzt, die wir vorhergesagt hatten. Dazu
gehörten die anhaltend schwachen China-News, die zwar großartigen, aber bereits
abgezinsten Gewinne von Nvidia, dem Marktführer der „Magnificent Seven“, und
die zunehmende Besorgnis über potenziellen Verbraucherstress aufgrund der
Rückzahlung von Studentenkrediten, sinkender Ersparnisse und des Drucks durch
immer noch hohe Inflationszahlen.
Wie wir damals angedeutet haben, scheinen die
positiven Aspekte gerade ausgereicht zu haben, um die Bullen auf den Beinen zu
halten und weiterzukämpfen: China setzt weiterhin mäßig hilfreiche
Konjunkturmaßnahmen ein, ein sich abschwächender Arbeitsmarkt und die Deflation
in China halten die Inflationserwartungen moderat, und die Ausgaben für den
Schulanfang entwickeln sich leicht positiv (wenn auch weniger stark als im
letzten Jahr).
Unser Rat an die Anleger: Gewöhnen Sie sich daran. Jetzt, da die
makroökonomischen Bedenken hinsichtlich der Fed, der Inflation, der Rezession
und Chinas schwinden und die Bewertungen im Vorfeld eines für 2024 erwarteten
besseren, „normaleren“ Jahres gestiegen sind, werden wir auf die altmodische
Art Geld verdienen müssen: durch die Erwirtschaftung von Gewinnen sowie die
daraus resultierenden Rückkäufe und Dividendenzahlungen.“
Das Global Equity Team von Nikko Asset Management macht
trotz sehr viel Unklarheit drei
eindeutige Trends aus.
„In diesem Jahr wurde der US-Bankensektor durch die
Auswirkungen der raschen geldpolitischen Straffung beeinträchtigt. Könnten auch
andere Sektoren für unvorhergesehene Schocks anfällig sein? Wie werden sich die
Maßnahmen der Zentralbanken letztlich auf das Wachstum auswirken? Bisher
konnten viele große Volkswirtschaften eine Rezession vermeiden – wie lange
noch? Und wer wird als langfristiger Gewinner im Bereich Künstliche Intelligenz
seine aktuelle Bewertung rechtfertigen?
Fragezeichen, wo man auch hinschaut. In Zeiten
unvorhersehbarer Veränderungen halten wir es für wichtig, an Bekanntem
festzuhalten. In unserem Fall heißt das, Unternehmen ausfindig zu machen, die
überdurchschnittliche langfristige Renditen und im Laufe der Zeit eine bessere
Performance erzielen. Drei langfristige Trends tun sich dabei derzeit besonders
hervor:
- Trend 1: Der Weg zu sauberer Energie
Die Energiewende ist der Schlüssel zur Lösung der großen sozialen und ökologischen Probleme, die der Klimawandel verursacht. Aber der Weg dorthin ist nicht geradlinig. Bis saubere Energiequellen in der erforderlichen Größenordnung entwickelt sind, sind wir auf die Versorgung mit fossilen Brennstoffen angewiesen. Gestiegene Preise machen den Übergang teuer. Es muss also in erneuerbare Energiequellen investiert werden, ohne Investments in die fossilen Brennstoffe zu vernachlässigen. Auf beiden Seiten ergeben sich Investitionsmöglichkeiten. Auf der einen Seite gibt es Dienstleistungen und Anbieter, die dazu beitragen können, die Produktion fossiler Brennstoffe effizienter zu gestalten und gleichzeitig weniger CO2 auszustoßen. Auf der anderen Seite eröffnen Technologien mehr erneuerbare Lösungen und tragen Innovationen dazu bei, Energieverbrauch und Emissionen zu verringern. Die Marktführer in diesen Bereichen dürften mit hohen Gewinnspannen und Rentabilität überraschen und bieten daher klassische Wachstumschancen.
- Trend 2: Wachsende Anforderungen im Gesundheitswesen
Die alternde Weltbevölkerung fragt immer mehr Gesundheitsleistungen nach. Für die Branche wächst die Herausforderung, diese bezahlbar zu halten. Hier wird es eine Fülle von Investmentideen geben: Unternehmen sind zu Innovationen gezwungen, sowohl im Krankenhausumfeld als auch bei verbraucherorientierten Gesundheitslösungen.
Nach der Pandemie war der Gesundheitssektor mit zusätzlichen Unwägbarkeiten konfrontiert: Der Markt für Personal war zerrüttet und Lagerbestände mussten nach der hohen Nachfrage wieder aufgefüllt werden. Diese Entwicklungen stabilisieren sich allmählich, und der Bedarf an Innovationen bei der Bereitstellung neuer und effizienterer Gesundheitslösungen birgt viel Potenzial für den Sektor.
- Trend 3: Die Wiederaufnahme des Reiseverkehrs
Weniger offensichtlich ist der Trend auf dem Reisesektor, für den die Pandemie ebenfalls enorme Herausforderungen bereithielt. Die fehlende Nachfrage ließ die Verfügbarkeit von Flügen und die Entwicklung von Hotels zeitweise völlig zum Erliegen kommen. Ander als andere Konsumbereiche steckt der Reiseverkehr immer noch in einem Erholungsprozess. Besonders bei den jüngeren Generationen aber, die nach den Corona-Beschränkungen noch mehr Wert auf „Erlebnisse“ legen, ist die Nachfrage robust.
Hinzu kommt, dass sich in Zukunft mehr Menschen in den Entwicklungsländern Reisen werden leisten können. Die Neu- und Wiederentdeckung des Reisens weltweit wird viele Nutznießer hervorbringen, von Buchungsunternehmen bis hin zu Herstellern von Gepäck und Reisezubehör."