Nachhaltige Fonds: Milliardenabflüsse im ersten Quartal
Während Spezialfonds ein leicht positives Netto-Mittelaufkommen verbuchten, zogen Anleger aus Publikumsfonds per Saldo Gelder in Höhe von 3,3 Milliarden Euro ab. BVI sieht „EU-Regulierung des Privatkundenvertriebs als wesentlichen Grund ".24.05.2024 | 11:30 Uhr
Deutsche Anleger hatten laut BVI-Pressemeldung zum 31. März 2024 fast eine Billion Euro in Fonds gemäß Artikel 8 und 9 der EU-Offenlegungsverordnung investiert. Publikumsfonds verwalten mit 727 Milliarden Euro rund drei Viertel des Gesamtvolumens. Das Segment der Spezialfonds mit Nachhaltigkeitsmerkmalen ist mit 250 Milliarden Euro deutlich kleiner. Es wächst allerdings sehr viel schneller. Allein in den letzten zwölf Monaten betrug das Plus rund 45 Prozent. Bei Publikumsfonds waren es 12 Prozent.
In beiden Segmenten sind vor allem Umklassifizierungen bestehender Produkte und Kursgewinne an den Aktien- und Rentenmärkten für die steigenden Volumina verantwortlich. Das Neugeschäft entwickelte sich im ersten Quartal 2024 dagegen schwach. Während Spezialfonds ein leicht positives Netto-Mittelaufkommen verbuchten, zogen Anleger aus Publikumsfonds per Saldo Gelder in Höhe von 3,3 Milliarden Euro ab. Besonders Misch- und Aktienfonds waren von Anteilscheinrückgaben betroffen. Damit lag das Neugeschäft von Publikumsfonds mit Nachhaltigkeitsmerkmalen seit Anfang 2023 in jedem Quartal deutlich unter dem Wert nicht nachhaltiger Produkte. Insgesamt betrug der Netto-Mittelabfluss bei Artikel-8- und -9-Fonds in diesem Zeitraum über 11 Milliarden Euro – gegenüber Zuflüssen von fast 28 Milliarden Euro in Artikel-6-Fonds.
Ein wesentlicher Grund dafür dürfte die EU-Regulierung des Privatkundenvertriebs sein: Viele Kunden geben zum Beispiel ein „Nein“ bei der obligatorischen Abfrage von Nachhaltigkeitspräferenzen an, um sich die volle Flexibilität in der Produktauswahl zu erhalten. Darüber hinaus scheitern selbst interessierte Anleger oft an der Komplexität der vorgegebenen Fragen, etwa zu Mindestquoten oder nachteiligen Auswirkungen, die sie berücksichtigen möchten. Weil Definitionen und Standards fehlen, sind verpflichtende Angaben zu den Nachhaltigkeitsmerkmalen außerdem regelmäßig nicht vergleichbar. Das führt zusätzlich zur Verunsicherung vieler Privatanleger.
Aufgrund der Schwächen im EU-Regulierungskonzept hat die EU-Kommission im Jahr 2023 eine grundsätzliche Überprüfung der Offenlegungsverordnung gestartet. In diesem Zuge wird unter anderem ein neues Produktklassifizierungssystem in Sachen Nachhaltigkeit diskutiert, welches die bisherigen Transparenz-pflichten weiterentwickeln oder ergänzen könnte. Klarere Nachhaltigkeitsstandards und leicht verständliche Produktkategorien könnten eine Grundlage dafür sein, das Vertrauen in nachhaltige Produkte wieder herzustellen.
Ein weiterer Aspekt könnte sein, dass Fonds mit und ohne Nachhaltigkeitsmerkmalen in ihrer Anlagestrategie natürlich unterschiedliche Branchen bevorzugen. Aktienfonds gemäß Artikel-8- und 9 investieren zum Beispiel stark in Industriegüterproduzenten – darunter Hersteller von Windkraftanlagen oder Eisenbahntechnik. Auch Konsumgüterproduzenten (u. a. Nahrungsmittel und Kosmetik) sowie Technologieaktien machen einen überdurchschnittlich großen Anteil in ihren Portfolios aus. Dagegen werden Unternehmen aus der Grundstoffindustrie oder dem Öl- und Gas-Sektor stark untergewichtet. Dasselbe gilt auch für den Bereich Luft- und Raumfahrt sowie Verteidigung. Aufgrund der geopolitischen Lage schätzen viele Beobachter aber gerade diese Branchen derzeit als besonders attraktiv ein. (pg)