Wirecard: Die größte Luftnummer seit Victor Lustig

FundResearch blickt auf die letzten Wochen zurück und gibt einen Ausblick auf künftige Ereignisse. Im Fokus diesmal: Der Betrugsfall Wirecard.

13.07.2020 | 07:30 Uhr

Rückblick auf die vergangenen Wochen

Es sind keine normalen Zeiten. Corona beherrscht immer noch die Schlagzeilen. Tönnies und der Schlachthofskandal sind der Aufreger des Monats. Dabei ist der vielleicht größte Skandal der vergangenen Wochen in der öffentlichen Wahrnehmung fast ein wenig untergegangen: Der DAX-Konzern Wirecard entpuppt sich endgültig als Luftnummer, die nur aus Scheingeschäften besteht. Mindestens 1,9 Milliarden Euro, die in den Wirecard-Bilanzen stehen, hat es vermutlich niemals gegeben. Zusätzlich besteht der Verdacht, dass sich führende Manager mithilfe überteuerter fingierter Firmenübernamen selbst bereichert haben. Seit Tagen tauchen, gefühlt im Stundentakt, weitere Gerüchte auf. Demnach sollen sogar Geheimdienste ihre Hände im Spiel haben. Nicht jedes Gerücht wird wahr sein. Doch unter dem Strich handelt es sich hier wohl um einen der größten Kriminalfälle der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Vielleicht sogar den größten. Die Betrugsskandale um FlowTex oder die Schneider-Immobilienpleite erscheinen da im Vergleich wie Lausbubenstreiche. 

Wer immer noch daran glaubt, Wirecard sei ein ehrbares Unternehmen, dem von missmutigen Kritikern und Zweiflern nur übel mitgespielt wurde, sollte spätestens jetzt die Wahrheit akzeptieren: Es deutet einiges darauf hin, dass Ex-Wirecard-Chef Markus Braun und seine Vorstands-Komplizen den dreistesten Coup seit 1920 organisiert haben. Damals, vor fast genau 100 Jahren, verkaufte ein Betrüger namens Victor Lustig in den USA vermeintliche Gelddruckmaschinen. Die über den Tisch gezogenen Opfer trauten sich aus nachvollziehbaren Gründen zunächst nicht, zur Polizei zu gehen. Als der Schwindel dann doch aufflog, tauchte Lustig unter und wurde fünf Jahre später mit einem weiteren Husarenstück schließlich weltberühmt: Er verkaufte einem gutgläubigen Geschäftsmann den Pariser Eiffelturm. Geblendet von seinem Erfolg, versuchte er das sogar ein zweites Mal und wurde geschnappt. Das ist eben das Problem mit solchen Geschäften: Ohne eine echte Geschäftsgrundlage, die ehrlich erworbene, nachvollziehbare, regelmäßige Erträge bringt, muss man als Betrüger immer weiter machen. Bis die Glücksträhne endet und der Betrug auffliegt. 

Das ist der Moment, in dem sich die Öffentlichkeit dann fragt: Wie konnte das passieren? Im Falle Wirecards müssen sich das sehr viele Beteiligte fragen lassen, zu allererst die BaFin. Die Finanzaufsicht ist ihrem Namen und ihrer Aufgabe nicht gerecht geworden. Verdachtsmomente gab es genug, sogar einige Anzeigen. Etliche Banken weigerten sich bereits seit einiger Zeit, Wirecard Kredite zu gewähren. Und Hand aufs Herz: Niemand, der einmal eine Wirecard-Präsentation miterlebt hat, konnte hinterher ernsthaft behaupten, zu verstehen, womit der Konzern sein Geld verdient. 

Man fragt sich, wie eine Finanzaufsichtsbehörde so lange beide Augen zudrücken konnte. Die BaFin muss sich nun vorwerfen lassen, dafür mitverantwortlich zu sein, dass sich innerhalb von nur zehn Monaten rund 20 Milliarden Euro an Börsenwert in Luft aufgelöst haben. 20 Milliarden Euro, die auch in Fonds, Fondssparverträgen und ETFs steckten und zum Teil auch der Altersvorsorge fleißiger Sparer dienten. Dazu kommen mindestens rund 1,6 Milliarden Euro an Darlehen, die deutsche und internationale Banken Wirecard gewährt haben. Kredite, die de facto durch nichts gedeckt sind. Die Marktkapitalisierung des Konzerns beträgt derzeit keine 300 Millionen Euro mehr – angesichts der zahllosen Luftlöcher in der Buchführung ist vermutlich sogar dieser Wert viel zu hoch bemessen.

Normal wäre, dass die BaFin angesichts ihres Versagens organisatorische und personelle Konsequenzen ziehen müsste. Oder sich wenigstens öffentlich entschuldigen sollte. Eigentlich. Aber was ist schon normal in diesen Zeiten?

Ausblick auf die wichtigsten Termine in dieser Woche

Am Dienstag veröffentlicht Destatis, das Statistische Büro der EU, den Harmonisierten Verbraucherpreisindex HVPI. Das ist der maßgebliche Verbraucherpreisindex für die Länder der Europäischen Gemeinschaft. Berechnet wird der Index auf der Grundlage einer statistischen Methodik, die in allen EU-Mitgliedstaaten harmonisiert wurde. Somit ist der HVPI ein Preismaßstab, der vom EZB-Rat der EU definiert und verwendet wird, um die Preisstabilität der Eurozone als Ganzes quantitativ zu bewerten. Erwartet wird, dass die Preise im vergangenen Monat um 0,5 Prozent gestiegen sind. Inflation ist also nach wie vor kein Thema.

Am Mittwoch wird die Bank of Japan erneut bekanntgeben, dass sie den Leitzins – wie auch schon in den vergangenen viereinhalb Jahren – bei minus 0,1 Prozent belässt. Alles andere wäre eine faustdicke Überraschung. Man hat sich an Negativzinsen gewöhnt. Was lernen wir daraus? Geht doch. 

Am Donnerstag gibt das National Bureau of Statistics of China seine Prognose für das Bruttoinlandsprodukt (BIP) bekannt. Man geht davon aus, dass Chinas Wirtschaft im laufenden Jahr um 6,5 Prozent schrumpfen wird. Als Lokomotive der Weltwirtschaft fällt das Reich der Mitte im Moment aus. Es bleibt zu hoffen, dass die Schweinegrippe, die derzeit in China grassiert, sich nicht als Auslöser einer weiteren Pandemie entpuppt. Das wäre mehr als nur ein wirtschaftliches Problem.  

Am Freitag und Samstag treffen sich die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union, um den Aufbauplan zur Bewältigung der COVID-19-Krise und einen neuen langfristigen EU-Haushalt zu erörtern. EU-Ratschef Charles Michel will bei den Verhandlungen über ein Finanzpaket von insgesamt mehr als 1,8 Billionen Euro der Staatengruppe der „sparsamen Vier“ (Österreich, Niederlande, Schweden und Dänemark) entgegenkommen. Am Freitag wird zudem über den geplanten Hilfsfonds in Höhe von bis zu 750 Milliarden Euro verhandelt. Neben der Zusammensetzung und der Höhe der einzelnen Hilfen ist vor allem die Verwendung der Mittel strittig. Insbesondere Griechenland weigert sich, die Auszahlung der Hilfsgelder an Bedingungen zu knüpfen. Es könnte ein ungemütliches Wochenende in Brüssel werden. Schade eigentlich. Endlich trifft man sich mal wieder persönlich. Und dann kommt schon wieder eine griechische Schuldenkrise daher.

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