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Kapitalmarktausblick für 2023
Analyse

Expertenanalyse: TINA geht, TARA kommt

Jede Woche veröffentlichen führende Vermögensverwalter und Fondsgesellschaften weltweit zahlreiche fundierte Einschätzungen zu den Finanz- und Kapitalmarktmärkten. Um einen Überblick zu erhalten, fasst TiAM FundResearch regelmäßig die wichtigsten Aussagen für Sie kompakt zusammen.

09.12.2022 | 12:30 Uhr

Diese Woche analysierten Volkswirte und Kapitalmarktexperten die konjunkturelle Entwicklung und die Anlagechancen für 2023. Dabei wurden insbesondere die Chancen auf dem Anleihemarkt hervorgehoben.

Institutionelle Anleger auf der ganzen Welt blicken dem Jahr 2023 mit gemischten Gefühlen entgegen und rechnen mit noch höheren Zinsen, Inflation und Volatilität als 2022. Dies geht aus einer Umfrage von Natixis Investment Managers (Natixis IM) unter 500 institutionellen Anlegern aus 29 Ländern hervor. Die überwiegende Mehrheit (85 Prozent) hält eine Rezession für unvermeidlich, wobei 54 Prozent glauben, dass diese notwendig ist, um die Inflation unter Kontrolle zu bringen. Die Mehrheit ist der Ansicht, dass die Inflation hoch bleiben wird und die Zentralbanken allein keine Abhilfe schaffen können. Fast die Hälfte (49 Prozent) hält eine weiche Landung für unrealistisch.
Gleichwohl: Institutionelle Anleger sind auch 2023 gezwungen, tief zu graben; traditionelle 60/40-Portfolios gelten als nicht mehr ausreichend – und das, obwohl festverzinsliche Anlagen nach der Meinung von 72 Prozent der Investoren vor einem Comeback stehen und 56 Prozent allgemein optimistisch auf die Anleihemärkte blicken. Die Hoffnungen gerade der auf Anleihen angewiesenen Versicherer sind hoch: Rund die Hälfte (46 Prozent) von ihnen rechnet jetzt mit durchschnittlich 6,7 Prozent Rendite. Insgesamt wollen 77 Prozent der Befragten ihre durchschnittliche Renditeerwartung von 7,9 Prozent entweder beibehalten oder noch erhöhen.
„Trotz des starken wirtschaftlichen Gegenwinds sind die institutionellen Investoren bemerkenswert optimistisch für die meisten Anlageklassen und sehen inmitten der anhaltenden Marktverwerfungen opportunistische Wachstumschancen für aktive Manager", sagt Sebastian Römer, Leiter DACH-Region und Osteuropa bei Natixis IM. "Nach einem Jahrzehnt steigender Aktienkurse, die durch niedrige Zinsen angeheizt wurden, wird 2023 das Jahr sein, in dem der Markt wieder erkennt, dass Bewertungen wichtig sind und in dem die Argumente auch für traditionelle festverzinsliche Wertpapiere überzeugend sind."


Ann-Katrin Petersen, CFA, BlackRock Senior-Kapitalmarktstrategin, sieht folgende zentrale Anlagetrends für 2023:
- Drei Investmentthemen sind aus unserer Sicht mit Blick auf das Jahr 2023 zentral. Erstens bleiben in der kürzeren Frist die Aussicht auf eine fortgesetzte Straffung der Zinspolitik und das restriktiver werdende Liquiditätsumfeld für die Märkte Belastungsfaktoren. Eine Rezession ist unseres Erachtens vorprogrammiert. Anders als von vielen Marktteilnehmern erwartet, dürften die Zentralbanken diesmal nicht zu Hilfe eilen, sobald die Konjunktur schwächelt.
- Zweitens erfordert das neue Investmentregime einen veränderten Blick auf Anleihen. Der Zins ist zurück. TINA („There is no alternative“ – Es gibt keine Alternative), das Kürzel für die langjährige unermüdliche Jagd nach Rendite im Negativ- bzw. Niedrigzinsumfeld, wurde inzwischen abgelöst durch geflügelte Worte wie TARA („There is a real alternative“ – Es gibt eine tatsächliche Alternative) oder BARB („Bonds are back“ – Anleihen sind zurück).
- Auch wenn im kommenden Jahr die Inflation sinkt, etwa bedingt durch energiepreisgetriebene Basiseffekte, dürften langfristige Veränderungen im Rahmen des neuen Regimes, wie die Alterung der Gesellschaft, die grüne Transformation und eine Neusortierung globaler Handelsströme dafür sorgen, dass die Inflation dauerhaft über dem Ausgangsniveau der Pandemie verharrt.


Olivier de Berranger, CIO bei LFDE, analysiert die deutlichen Kursgewinne seit September:
Der Eurostoxx 50 verzeichnet ein Plus von 20 Prozent, beim S&P 500 sind es knapp 15 Prozent, die Risikoprämien für Unternehmensanleihen liegen wieder auf ihren Niveaus vom April und langfristige Zinsen sind deutlich gefallen ... Seit Ende September haben die Anleger alle Register gezogen, denn an den Märkten hat sich wieder Optimismus breit gemacht. Dieser folgte auf den übertriebenen Pessimismus zu Beginn des Herbstes und ist seitdem durch die rückläufigen US-Inflationszahlen und die Aussicht auf weniger starke Zinsanhebungen durch die US-Notenbank (Fed) gewachsen.
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Man sollte nicht vergessen, dass Bärenmarktrallys, d. h. ein starker kurzfristiger Anstieg der Aktienkurse in einem mittelfristigen Baissetrend, gar nicht selten sind. Seit den 1970er-Jahren betrugen diese Anstiege für den S&P 500 im Schnitt 15 Prozent, gelegentlich auch über 20 Prozent, und dauerten 55 Tage an. In dieser Hinsicht liegt der jüngste Aufschwung von +14,5 Prozent für den S&P 500 in etwas mehr als zwei Monaten durchaus im Normbereich. Die entscheidende Frage lautet also, ob es sich hier um eine neue Bärenmarktrally – das Vorspiel zu einer neuen Baisse oder gar einem neuen Tiefststand auf den Aktienmärkten – handelt oder ob wir gerade eine nachhaltigere Trendwende erleben.
Die zweite Hypothese scheint wenig wahrscheinlich. Das legen die trüben Aussichten für die Geldpolitik und die Konjunktur nahe. Hinzu kommt, dass die Bewertungen zwar vernünftig, aber nicht attraktiv sind und dass bei der technischen Positionierung auf vielen Märkten eine übermäßig hohe Risikobereitschaft zu verzeichnen ist. Zudem sind alle guten Nachrichten bereits eingepreist: das verminderte Risiko schneller Zinsanhebungen der Fed, die Überwindung des Spitzenwerts der Inflation in den USA und ein milder Start in den Winter in Europa, der die Gefahr einer Energiekrise verringert.
Damit sich dieser Trend fortsetzen kann, bräuchte es weitere gute Nachrichten, allen voran die Bestätigung, dass die US-Inflation tatsächlich nachgibt. Sollte es keine neuen Katalysatoren oder – schlimmer noch – erneut Negativ-Signale geben, könnte nach dieser verfrühten Weihnachtsparty zwischen den Jahren durchaus Katerstimmung aufkommen.


Geraldine Sundstrom, Managing Director & Asset Allocation Portfoliomanagerin beim Vermögensverwalter PIMCO ist der Meinung, dass Wachstumssorgen die aktuelle Inflationsproblematik bald als marktbeherrschendes Thema ablösen könnte:
Wir gehen davon aus, dass in nicht allzu ferner Zukunft das Wachstum an die Stelle der Inflation als wichtigstes Marktthema treten wird. DieRhetorik der Zentralbanken deutet allmählich in diese Richtung, aber wir werden es erst dann mit Sicherheit wissen, wenn der Höhepunkt der Inflation fest im Rückspiegel steht. Im Moment sind alle Augen auf die Verbraucherpreise gerichtet, und das Wachstum bleibt noch im Hintergrund.
Zwar hat sich der Inflationshintergrund vorerst gebessert, doch die andere Seite der Gleichung hat sich weiter verschlechtert: Der ISM-Einkaufsmanagerindex (einer der wichtigsten konjunkturellen Frühindikatoren) für das verarbeitende Gewerbe in den USA lag bei 49 Punkten und verzeichnete damit den ersten Rückgang seit 2020. Der europäische PMI des verarbeitenden Gewerbes liegt nun bei 47,1 und damit fest im Rezessionsbereich. Hierbei schnitt das Vereinigte Königreich besonders schwach ab, wobei der Wert mit 46,5 Punkten zwar über den Erwartungen lag, aber dennoch den vierten Monat in Folge unter der 50er-Marke blieb. Auch die deutschen Exporte fielen deutlich schwächer aus als erwartet, was darauf hindeutet, dass die größte europäische Volkswirtschaft vor weiteren Problemen steht. Während die Makrodaten der Industrieländer nach wie vor auf eine Rezession hindeuten, führten zunehmende Anzeichen dafür, dass China seine Haltung zu den COVID-Beschränkungen aufweichen könnte, zu einer Stärkung einiger Rohstoffpreise und anderer China Vermögenswerte mit China-Bezug. Eine deutliche Erholung der chinesischen Wirtschaftstätigkeit bis zum Jahr 2023 würde das Wachstum weltweit ankurbeln, doch ist weiterhin Vorsicht geboten, da Chinas Weg zur Wiedereröffnung alles andere als eindeutig ist.
In der vergangenen Woche standen drei Ereignisse im Mittelpunkt des Interesses der US-Inflationsbeobachter (zu denen im Moment fast alle Marktteilnehmer gehören). Zunächst sprach der Vorsitzende Powell am Mittwoch vor der Brookings Institution in Washington D.C. Dann folgten am Donnerstag die US-PCE-Inflationsdaten (Personal Consumption Expenditure Price Index, das bevorzugte Inflationsmaß der Fed) und schließlich am Freitag die US-Arbeitsmarktdaten. Für die Märkte war die Rede von Powell der wichtigste Impulsgeber. Powell nannte Gründe für Optimismus in Bezug auf die Güter- und Wohnungsinflation, merkte jedoch an, dass insbesondere die Lohninflation weiterhin Anlass zur Sorge gebe, womit eine Verlangsamung der Zinserhöhungen im Dezember so gut wie feststeht. Am Donnerstag wurde eine relativ schwache PCE-Kerninflation von 5,0 Prozent gegenüber dem Vorjahr und 0,2 Prozent gegenüber dem Vormonat veröffentlicht. Im vorangegangenen Monat lag die Kennzahl noch bei 0,5 Prozent. Zwei wichtige Kennzahlen sind nun bekannt, eine steht noch aus, und die Marktstimmung ist bemerkenswert positiv.

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Da die Inflation nach wie vor der wichtigste makroökonomische Treiber für alle Anlageklassen ist, zeigte sich der Effekt bei verschiedenen Asset-Klassen: Der S&P 500 erzielte eine Rendite von 1,2 Prozent und die Renditen von 10-jährigen US-Staatsanleihen fielen zum ersten Mal seit September unter 3,50 Prozent. Auch die implizite Volatilität ging zurück, und der Vix-Index fiel unter 20. Dies ist ein Zeichen dafür, dass die Anleger dem Jahresende mit mehr Zuversicht entgegensehen, was durch den schwächeren Dollar zusätzlich begünstigt wird. Was die Inflation und die Politik betrifft, so wird das nächste wichtige Ereignis die Veröffentlichung des US-Leitzinses am 13. Dezember sein, gefolgt von der Zinsentscheidung der Fed am 14. Dezember.


Jörg Angelé Senior Economist bei Bantleon ist der Ansicht, dass die EZB den einsetzenden Disinflationstrend unterschätzt:
Maßgeblicher Treiber dieser Entwicklung sind die Energiepreise. Unseren Berechnungen zufolge werden sie im kommenden Jahr in etwa stagnieren, nachdem sie 2022 voraussichtlich um 38,0 Prozent zulegen. Ihren Hochpunkt hatte die Energiepreisinflation bereits im März des laufenden Jahres überschritten (+44,3 Prozent). Im November lag die Vorjahresrate noch bei 34,9 Prozent. Bei den Nahrungsmittelpreisen zeichnet sich ebenfalls eine baldige Trendwende ab. Darüber hinaus wird die Kerninflationsrate – ohne Energie, Nahrungs- und Genussmittel – im Verlauf des nächsten Jahres von aktuell 5,0 Prozent auf etwa 3,0 Prozent zurückgehen. Die EZB dürfte 2023 mithin sowohl vom Tempo als auch vom Ausmass des Inflationsrückgangs überrascht werden. Das sollte nicht ohne Auswirkungen auf die Geldpolitik bleiben, zumal die EZB unserer Meinung nach auch die Schärfe der sich derzeit entfaltenden Rezession unterschätzt. Wir gehen daher davon aus, dass die Notenbank den Einlagensatz nicht deutlich in den restriktiven Bereich anheben wird, den sie oberhalb von 2,0Prozent sieht. Die aktuellen Markerwartungen eines Leitzinshochs bei knapp 3,0 Prozent Mitte des nächsten Jahres sollten sich somit in den kommenden Quartalen zurückbilden. Parallel dazu werden die Renditen von Staatsanleihen auf einen Abwärtstrend einschwenken, der das Jahr 2023 prägen dürfte. Dessen ungeachtet halten wir an unserer Einschätzung eines mittelfristig stärkeren unterliegenden Preisauftriebs fest. Wir gehen davon aus, dass die Inflation in der Eurozone in den kommenden Jahren im Durchschnitt oberhalb des Inflationsziels der EZB liegt – und nicht mehr darunter. Aus diesem Grund dürften die Währungshüter den nächsten Aufschwung, den wir 2024 erwarten, nutzen, um die Zinsen weiter nach oben zu führen. Früher oder später ist daher ein Leitzinsniveau von 3,00 Prozent oder sogar 4,00 Prozent realistisch. Allerdings nicht im nächsten Jahr.


 

Die französische Fondsgesellschaft Amundi sieht für 2023 unter anderem folgende Anlagethemen:
Angesichts der Abschwächung des globalen Wachstums und zurückgehender Gewinne in der ersten Hälfte 2023 sollten Anleger vorerst defensiv bleiben und Gold und Investment-Grade-Credit als Anlageklassen bevorzugen. Sie sollten jedoch im Laufe des Jahres zu Anpassungen bereit sein, wenn die Bewertungen attraktiver werden. Der Gegenwind dürfte in der zweiten Jahreshälfte 2023 nachlassen, was eine Verbesserung des Konjunkturzyklus und eine allmähliche Beimischung von mehr Risikoanlagen in den Portfolios begünstigt.
- „Anleihen sind wieder da“, wobei der Schwerpunkt auf qualitativ hochwertigen Unternehmensanleihen liegen sollte. Dabei sollten Anleger wegen der divergierenden Politiken auf Deviseneffekte, Liquiditätsrisiken und die Verschuldung von Unternehmen achten.
- Da Anleihen nach dem Renditeanstieg 2022 und den sich abzeichnenden Rezessionsrisiken im nächsten Jahr ihre Diversifizierungsqualitäten zurückgewinnen, ist eine Wiederbelebung der 60-40-Portfolioallokation in Sicht.
- Aktien sollten Einstiegspunkte bieten, wenn sie in den kommenden Monaten neu bewertet werden, wobei US-Titel sowie Qualitäts-, Value- und Dividendenwerte zu bevorzugen sind. Anleger sollten ihr Engagement in europäischen und chinesischen, zyklischen und Deep-Value-Aktien schrittweise erhöhen.
- Die anhaltende Inflation spricht für eine höhere Allokation in inflationsresistenten Sachwerten wie Infrastruktur. Private Debt wird zwar neu bewertet, weist aber größtenteils solide Fundamentaldaten auf. Immobilien können ein guter Diversifikator sein.
- Die Unterschiede zwischen den Schwellenländern werden sich 2023 verstärken. Länder und Regionen mit günstigeren Inflations- und geldpolitischen Aussichten wie in Lateinamerika und den EMEA-Staaten sind attraktiv. Ein Schwenk der US-Notenbank dürfte die Attraktivität von Schwellenländeraktien im weiteren Verlauf des Jahres generell erhöhen.
- Langfristige ESG-Themen werden weiterhin von den Nachwirkungen der Coronakrise und des Ukraine-Kriegs profitieren. Anleger sollten sich mit der Energiewende und der Lebensmittelversorgung sowie mit geopolitisch bedingten Trends zur Rückverlagerung von Produktion befassen. Soziale Themen werden wieder in den Fokus rücken, da der sich verschlechternde Arbeitsmarkt und die Inflation mehr Aufmerksamkeit für soziale Faktoren erfordern.“


Beat Thoma, CIO bei Fisch Asset Management kommentiert das Aufwärtspotenzial der Märkte nach geldpolitischem Wechsel:
„Die Zinskurven in den USA und Europa invertieren immer stärker und senden damit zunehmende Rezessionssignale. Ein Soft-Landing der Konjunktur wird damit unwahrscheinlicher. Strukturelle Gründe, wie tiefe Verschuldungsquoten, solide Arbeitsmärkte und hohes Konsumpotenzial, deuten aber auf eine nur milde Rezession hin. Auf jeden Fall zeichnet sich ein weiterer Rückgang der Unternehmensgewinne ab. Haupttreiber für die konjunkturelle Abkühlung ist die weiterhin global äußerst restriktive Geldpolitik mit zunehmend unerwünschten Nebenwirkungen, die sich auch an den Finanzmärkten zeigen. Die Geldpolitik wirkt aber zunehmend dämpfend auf die Inflationsentwicklung und verstärkt indirekt deflationäre Faktoren. Auch die Inflationserwartungen bleiben tief und eröffnen damit den Notenbanken einen wieder größeren Handlungsspielraum.
Aktuell bleibt die Geldpolitik wegen Glaubwürdigkeitsüberlegungen – trotz deflationärer Faktoren – zu restriktiv und nahe an einem so genannten ‚Policy Mistake‘. Allerdings rückt ein geldpolitischer Wechsel insbesondere in den USA näher und zwar möglicherweise schneller als derzeit offiziell kommuniziert. Er ist für das erste Quartal 2023 in den USA (und etwas später auch in der Eurozone) denkbar, dürfte damit aber nicht mehr schnell genug erfolgen, um eine Rezession rechtzeitig zu verhindern.
Gründe für diesen monetären Kurswechsel sind die positive Überraschung bei den CPI-Zahlen (Konsumentenpreisinflation) und zunehmend schwächere Arbeitsmärkte bei gleichzeitig steiler Phillips-Kurve (Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Inflation). Denn aufgrund der aktuell sehr steilen Phillips-Kurve ist keine Rezession mit hohen Arbeitslosenraten notwendig, um die Inflation einzudämmen. Zu den Gründen zählen auch die sich aktuell schnell verschlechternden Konjunktur- und Stressindikatoren. Ferner verharren die Inflationserwartungen weiterhin auf tiefem Niveau und dies begünstigt zusätzlich eine wieder lockerere Geldpolitik.
In diesem Umfeld ist mittelfristig mit einem deutlichen Rückgang der langfristigen Zinsen zu rechnen. Obwohl kurzfristig nochmals ein Anstieg möglich ist, erscheint eine erste Verlängerung der Zinsduration im Portfolio sinnvoll. Die langfristigen Zinsen beginnen in der Regel vor dem Ende des monetären Straffungszyklus zu fallen. An den Aktien- und Kreditmärkten ist viel Negatives eingepreist. Die jüngste Erholung hat allerdings das Chancen/Risiko-Verhältnis wieder verschlechtert. Zudem sind die Stress- und Liquiditätsindikatoren ein Warnsignal. Insbesondere deuten seit kurzem deutlich fallende ‚Overnight Reverse Repo‘-Geschäfte auf stark abnehmende Überschussliquidität in den USA. Die Risiken überwiegen deshalb die Chancen aktuell noch deutlich und wir halten eine defensive Positionierung unverändert für angebracht. Sobald sich aber der zunehmend wahrscheinliche geldpolitische Wechsel in den kommenden Monaten konkretisiert, führt dies zu beträchtlichem Aufwärtspotenzial im weiteren Verlauf des Jahres 2023.“


Paul Diggle, Deputy Chief Economist bei abrdn, kommentiert die Erwartungen an die kommende EZB-Ratssitzung wie folgt:
„Wenn die EZB nächste Woche zusammenkommt, werden uns drei Dinge erwarten:
Erstens: der Umfang der Zinserhöhung, die die EZB zweifellos vornehmen wird. Wird es sich um eine geringere Erhöhung um 50 Basispunkte oder um eine weitere Erhöhung um 75 Basispunkte handeln? Wir erwarten eine Erhöhung um 50 Basispunkte. Das stünde im Einklang mit anderen Zentralbanken, die das Tempo der Zinserhöhungen verlangsamen, da die Inflation ihren Höhepunkt erreicht hat und sich die Wirtschaftsaussichten für das nächste Jahr verschlechtern.
Zweitens: die aktualisierten Wirtschaftsprognosen der EZB. Die Prognosen für das Bruttoinlandsprodukt in der Eurozone für 2023 und 2024 werden sich wahrscheinlich verschlechtern und die Inflationsprognosen verbessern. Selbst dann könnte die EZB bei den Wachstumsaussichten im Vergleich zu unserer Einschätzung zu optimistisch bleiben.
Drittens: die Kommunikation rund um die quantitative Straffung (Quantitative Tightening, QT). Die EZB plant das QT, das wahrscheinlich 2023 beginnen wird, zu entdramatisieren, indem sie es passiv und sehr schrittweise gestaltet. Die Auswirkungen auf die Märkte könnten sich zunächst in Grenzen halten, da das QT weithin erwartet wird. Doch die Anleihemärkte könnten stärker unter Druck geraten, wenn das QT mit anderen unvorhergesehenen Schocks in der Zukunft zusammenfällt.“

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