Rund um den Globus tauchen die Aktienkurse ab, die Nervosität der Investoren nimmt zu. Wie die Profis die Turbulenzen an den Finanzmärkten einordnen.
05.08.2024 | 16:40 Uhr von «Peter Gewalt»
Es ist ein schwarzer Montag für Anleger. Weltweit stehen die Aktienkurse heftig unter Druck. Am schwersten hat es die Börse in Japan getroffen, die die größten Kursverluste seit 1987 zu verzeichnen hat. Neben den Dividendenpapieren sind auch Kryptowährungen und Rohstoffe auf der Verliererstraße. Zu den Gründen der Turbulenzen und den Aussichten auf den Kapitalmärkten hat TiAM FundResearch erste Stimmen von Geldprofis eingesammelt.
So analysiert Christian Subbe, CIO von HQ Trust:
„Der aktuelle Abverkauf kann vor allem durch eine Enttäuschung der Marktteilnehmer erklärt werden, die zu euphorisch gestimmt waren. An den fundamentalen Daten hat sich nichts Materielles geändert.“
„Beim aktuellen Abverkauf fällt auf, dass die US-Technologieunternehmen stärker unter Druck geraten als der breite Markt. Hier waren die Erwartungen besonders hoch.“
„In der aktuellen Berichtssaison geben die US-Unternehmen in der Breite gar kein so schlechtes Bild ab. Von allen bereits gemeldeten Zahlen konnten 80 Prozent der Unternehmen die Erwartungen schlagen. Dies kann man auch am gleichgewichteten S&P 500 Index sehen, der wesentlich geringer unter Druck geraten ist.“
„Eine Abkühlung der US-Konjunktur wurde erwartet und stellt keine grundsätzliche Überraschung dar. Das Ausmaß und die Geschwindigkeit der aktuellen Daten haben jedoch viele Marktteilnehmer überrascht und in einem saisonal dünnen Markt zu Panikverkäufen geführt.“
Die Nervosität steigt (Entwicklung Risikoindikator VIX):
Quelle: Trading Economics
„Wir sind der Meinung, dass die derzeitigen starken Kursrückgänge eine Übertreibung nach unten darstellen. Ein schwacher Datenpunkt deutet noch nicht zwingend auf eine harte Landung der Wirtschaft hin. Zudem hat die FED ausreichend Spielraum, die Zinsen auch stärker zu senken, sollte dies notwendig werden.“
„Kurzfristig erwarten wir von der FED keine Zinssenkung vor der nächsten Sitzung im September, jedoch dürfte die Rhetorik der Notenbanker zunehmend taubenhaft ausfallen und zur Beruhigung der Märkte beitragen. Auch von der BOJ sind Maßnahmen zu erwarten, die die Märkte stabilisieren.“
Jean-Louis Nakamura, Leiter von Vontobel Conviction Equities, sieht die Märkte in einem Prozess der Neubewertung:
„Die globalen Aktienmärkte - die bereits seit Mitte Juli extrem volatil sind - haben nach der Veröffentlichung des US-Arbeitsmarktberichts, der die Angst vor einer möglichen Rezession in den USA wieder aufleben lässt, einen spektakulären Ausverkauf erlebt.
Obwohl die Korrektur nicht völlig überraschend kam, erwies sie sich als brutaler und zeitlich konzentrierter als erwartet. Sie äußerte sich in einer raschen Neubewertung der Zinssenkungen der Fed (sowohl hinsichtlich der Anzahl als auch des Ausmaßes), einem dramatischen Rückgang der Renditen langfristiger US-Anleihen und einem Anstieg des Yen/USD um mehr als 13 % in den letzten drei Wochen, der durch die spektakuläre Divergenz in der erwarteten Geldpolitik der Fed und der BOJ noch verstärkt wurde, insbesondere nachdem letztere ihren Leitzins in der letzten Woche unerwartet wieder gestrafft hatte. Im Gegenzug löste die massive Aufwertung der japanischen Währung einen großen Teil der Carry Trades auf, die technologie- und wachstumssensitive Märkte (Nasdaq, Taiwan) gestützt und gleichzeitig japanische Inlandsaktien übermäßig benachteiligt hatten. Value-Aktien, defensive Sektoren oder Märkte, die von ihrem eigenen monetären Zyklus angetrieben werden (China), haben sich dagegen etwas besser gehalten.
Stärksten Kursverluste des Nikkei seit 1987:
Quelle: Trading Economics
Ein Teil dieser Neubewertung ist legitim. Die Gewinnwachstumsprognosen für 2025 und später waren wahrscheinlich überzogen und mussten von einer realistischeren Ausgangsbasis aus angepasst werden. Die Tatsache, dass der Arbeitsmarktbericht nach der Fed-Sitzung veröffentlicht wurde, lässt die Märkte außerdem befürchten, dass es vor September keine wirkliche Rettungsmaßnahme geben wird.
Etwas längerfristig betrachtet werden diese Entwicklungen die Fed jedoch dazu zwingen, ihre anhaltende Lähmung aufzugeben, während die Entwicklung der langfristigen Zinssätze bereits einen Boden für das Ausmaß eines Konjunktureinbruchs in den USA bildet. Sollte sich der Preisverfall bei den risikobehafteten Vermögenswerten noch erheblich ausweiten, ist eine dringende Zinssenkung durch die Fed nicht auszuschließen. Die Erholung der Aktien könnte dann ebenso massiv ausfallen wie der jüngste Ausverkauf, wobei Sektoren und Märkte, die am stärksten von säkularen Faktoren und/oder der Zinssensitivität unterstützt werden (Technologie, KI, USA, Taiwan, Indien), am schnellsten zulegen.“
Andrew Jackson, Head of Fixed Income bei Vontobel, meint:
"Die schwachen US-Arbeitsmarktdaten der letzten Woche haben die Märkte weiter in Mitleidenschaft gezogen, und viele Anlageklassen, Sektoren und Regionen mussten starke Kursverluste hinnehmen. Der erste Schritt dieser Kurskorrektur entsprach unseren Erwartungen auf der Grundlage der jüngsten Daten, doch nun dürften wir in den Bereich des Überschießens geraten.
Allerdings befinden sich die Märkte im Allgemeinen immer noch auf oder nahe ihren Höchstständen, sodass das Ausmaß der Korrektur unklar bleibt. Unternehmensanleihen sind nach wie vor gut gegen den Marktschock abgefedert. Mögliche Abflüsse, die ein Katalysator für weitere Rückgänge an den bereits angespannten Märkten sein könnten, dürften moderat ausfallen und wir sehen sogar die Möglichkeit von Zuflüssen."
Jochen Stanzl vom Handelshaus CMC Markets erklärt:
„Die Anleger werden gerade mit zwei unangenehmen Tatsachen konfrontiert. Zum einen kommt das Wachstum im Bereich Künstliche Intelligenz mit enormen Kosten daher, was die Margen schmälert und hohe Aktienbewertungen plötzlich als übertrieben erscheinen lässt. Und zum anderen entfalten die restriktive Geldpolitik von Europäischer Zentralbank und Federal Reserve nun ihre Wirkung."
Quelle: Trading Economics
Patrick Hussy, der das Fondsmanagement sowie das Risikomanagement von Sentix leitet, sieht größere konjunkturelle Probleme voraus:
„Die Konjunktur reißt global ab. Für Euroland knickt der sentix Konjunkturindex um satte 6,6 Punkte ein. Der Gesamtindex liegt nun bei -13,9 Punkten so tief wie zuletzt im Januar 2024. Die Erwartungswerte brechen noch stärker um 10,3 Punkte ein."
„Auch Deutschland befindet sich im Sturzflug. Der Gesamtindex verliert - trotz ohnehin schwacher Vormonatswerte - um 12,0 Punkte. Die Lagebeurteilung verschlechtert sich sogar auf -42,8 Punkte, dem schlechtesten Wert seit Juni 2020! Die Erwartungskomponente sackt auf -18,5 Punkte ab. Die Rezessionsglocken schrillen abermals in Deutschland.
„Nun schlägt es auch für die US-Konjunktur stärker ins Kontor. Der Gesamtindex verliert 9,0 Punkte. Zudem zeigen die Erwartungen eine beschleunigte Abkühlung an: Der Rückgang um 7,5 Punkte auf nunmehr -10 Punkte bedeutet den niedrigsten Wert für die US-Wirtschaft seit Juli 2023. Der Rest der Welt befindet sich im Schlepptau."
Quelle: Trading Economics
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