Was beutet das massive Ankaufprogramm von Staatsanleihen für die Märkte? Finanzexperten und Ökonomen kommentieren die Entscheidung der EZB.
23.01.2015 | 08:32 Uhr
Mit einem Lächeln trat Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), gestern vor die versammelte Presse in Frankfurt. Gut gelaunt wünschte er allen Anwesenden ein gutes neues Jahr und begrüßte bei dieser Gelegenheit auch Litauen im Euroraum. Das Land ist der Gemeinschaftswährung zum Jahresbeginn beigetreten. Dann wurde der Italiener ernst und verkündete die Entscheidung des EZB-Rates: Die EZB werde monatlich für 60 Milliarden Euro Anleihen kaufen. Darunter auch in Euro laufende Staatsanleihen mit Investmentgrade-Ranking vom Sekundärmarkt. Die Summe beinhalte zudem die bereits laufenden Ankaufprogramme für Kreditverbriefungen und Covered Bonds. Die EZB wolle jedoch nicht mehr 25 Prozent einer Emission sowie nicht mehr als 30 Prozent der ausstehenden Schulden eines Emittenten erwerben. Das Kaufprogramm startet im März und soll mindestens bis Ende September 2016 laufen. Auf jeden Fall aber so lange, bis „eine nachhaltige Veränderung der Inflation“ sichtbar werde. Damit summiert sich das Programm auf einen Gesamtwert von 1,14 Billionen Euro. Der deutsche Aktienindex DAX schoss auf ein neues Rekordhoch von gut 10.399 Punkten.
20 Prozent des Ankaufvolumens sollen für den „unwahrscheinlichen Fall“ eines Zahlungsausfalls einer gemeinsamen Haftung unterliegen. „Die Inflationserwartung ist schlechter als erwartet“, begründete Draghi die Maßnahme. Im Dezember seien die Verbraucherpreise auf Jahressicht erstmals seit 2009 gefallen. Da müsse die EZB entgegensteuern, wolle sie das Inflationsziel von knapp unter zwei Prozent wieder erreichen. Doch der EZB-Chef stellt auch klar, dass die negative Inflationsrate vor allem eine Folge des sinkenden Ölpreises sei. „Mit dieser Maßnahme wollen wir die Verbrauchernachfrage stärken, bisher ungenutzte Kapazitäten ausnutzen und die Kreditnachfrage ankurbeln“, erläutert Draghi weiter. „Diese Bilanzmaßnahmen sind gerechtfertigt, da der Leitzins die untere Grenze erreicht hat.“ Mit 0,05 Prozent veränderte der EZB-Rat diesen Zins nicht. Auch der Einlagezins verharrt bei -0,2 Prozent.
Finanzmarkteilnehmer sind erfreut
„Das Volumen und die Dauer des Kaufprogramms liegen am oberen Ende der Erwartungen“, kommentiert Johannes Müller, Chief Investment Officer Wealth Management Germany der Deutschen Asset & Wealth Management den EZB-Entscheid. „Wir rechnen aber damit, dass nach einer kurzen Phase der Euphorie wieder etwas Ruhe an den Märkten einkehren dürfte.“ Für Müller sind Staatsanleihekäufe kein Allheilmittel, großen Schaden erwartet er aber ebenso wenig: „Die positivste Wirkung auf die Konjunktur dürfte die Abwertung des Euro haben, die einem kleinen Konjunkturprogramm gleichkommt.“ Der Rückgang der Renditen am Rentenmarkt sei neben der Spekulation auf EZB-Maßnahmen hauptsächlich durch rückläufige Inflationsraten und Inflationserwartungen bedingt. „Da sich dieser Trend kurzfristig nicht umkehren wird, erwarten wir auf Sicht auch noch weiter freundliche Rentenmärkte“, so der Deutschbanker.
„Die heutige Ankündigung ist ein historischer Meilenstein für die europäischen Märkte und stellt einen wichtigen Schritt zur weiteren Integration dar“, sagt Mauro Vittorangeli, CIO Fixed Income Conviction Strategies Europe, bei Allianz Global Investors. Draghi habe ein größeres Geschütz aufgefahren als Investoren erwartet hatten. „Die Maßnahme dürfte die Märkte erst einmal zufriedenstellen und zu einer weiteren Einengung der Zinsaufschläge und einer weiteren Abwertung des Euro führen.“ Die 18-monatige Dauer des Programms solle die Märkte von der Entschlossenheit der EZB überzeugen, die Probleme in der Eurozone anzugehen. „Der Preis ist allerdings hoch“, schreiben die Ökonomen der NORD/LB. „Draghi hat nun seinen letzten Trumpf gezogen.“
„Auf kurze Sicht könnte das EZB-Programm die Renditen europäischer Staatsanleihen drücken“, erwartet Anthony Doyle, Rentenexperte bei M&G Investments. „Das bedeutet, dass Anleger zunehmend nach höher rentierenden Investmentmöglichkeiten Ausschau halten werden.“ Investmentgrade- und High-Yield-Anleihen könnten von der Entscheidung profitieren. „Auf längere Sicht dürften die Renditen von Staatsanleihen ansteigen, wenn die EZB-Maßnahmen beginnen, sich positiv auf die Inflation auszuwirken.“
Sinn: „Illegale Staatsfinanzierung“
Doch es gibt auch Stimmen, die sich entschieden gegen ein solches „Quantitative Easing“-Programm aussprechen. Allen voran der Präsident des Münchner ifo-Instituts, Professor Hans-Werner Sinn: „Das ist illegale und unsolide Staatsfinanzierung durch die Notenpresse“, poltert er. „Wenn die EZB Papiere kauft, werden die Staaten neue Papiere verkaufen und somit von der Druckerpresse finanziert.“ Eine solche Maßnahme verbiete der Artikel 123 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und bedürfe einer Klärung des Bundesverfassungsgerichts. Besonders stört ihn die Haftungsregelung: „Wenn 20 Prozent der Käufe in gemeinschaftlicher Haftung liegen, bedeutet das, dass die EZB zu 20 Prozent Eurobonds schafft. Es ist bemerkenswert, dass sie in aller Deutlichkeit erklärt hat, dass das Programm fiskalische Risiken für die Steuerzahler mit sich bringt.“
Sinns Kollege Professor Dennis Snower, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW), warnt vor einem Vergleich der Staatsanleihekäufe in der EU und den USA: „Während die US-Notenbank Fed nur US-Staatsanleihen kauft, nimmt die EZB Anleihen unterschiedlicher Länder auf ihre Bilanz. Sie ebnet damit Zinsunterschiede ein, verzerrt also die Risikosignale für diese Länder.“
Auch beim Bankenverband zeigt man sich nicht sehr erfreut über die Geldschwemme: „Mit ihrem Ankaufprogramm dramatisiert die EZB die Preis- und Wirtschaftsentwicklung im Euroraum unnötig“, kritisiert Verbandspräsident Michael Kemmer. „Zudem geraten Nutzen und Risiken der Niedrigzinspolitik allmählich in eine ungünstige Schieflage.“ Die Wirtschaftsschwäche des Währungsgebiets sei derzeit vor allem strukturell geprägt. Die unmittelbaren Preis- und Konjunktureffekte des Programms hält Kemmer daher für marginal und befürchtet, dass die zusätzliche Liquidität hauptsächlich in die Finanzmärkte fließt. „Dann steigt spürbar die Gefahr von Vermögenspreisblasen, von falschen Risikobewertungen und fehlgelenkten Investitionen.“ Die Euro-Staaten ermahnt Kemmer, jetzt nicht der Illusion zu erliegen, dass die mit dem Ankaufprogramm verbundenen Zinserleichterungen ausreichten und sie nun bei wirtschaftlichen Reformen die Hände in den Schoß legen könnten.“
(PD)
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