Kai Strittmatter, Speaker beim kommenden TiAM FUND FORUM in München, hat den größten Teil seines Lebens der Beobachtung und Beschreibung Chinas gewidmet. Er studierte Sinologie in München, Xi’an und Taipeh. Von 1997 bis Ende 2018 war er viele Jahre Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Peking. Im Interview mit TiAM FundResearch warnt der China-Experte vor zu viel Naivität im Umgang mit der kommunistischen Diktatur.
28.06.2023 | 07:30 Uhr von «Matthias von Arnim»
Herr Strittmatter, China ist in nur vier Jahrzehnten vom Entwicklungsland zu einer führenden Wirtschaftsnation aufgestiegen. Davon profitiert die Weltwirtschaft. In besonderem Maße trifft dies für Deutschland zu. Sie gehören zu den kritischen Stimmen, die vor einer zu großen Abhängigkeit warnen. Wo genau sehen Sie Gefahren?
Kai Strittmatter: Die Öffnung Chinas unter Deng Xiaoping vor rund vierzig Jahren war eine gute Sache. Deng brach mit der alten Lehre Maos und setzte auf eine Modernisierung und Öffnung des Landes. Als ich als Student nach China ging, war das ein wirtschaftliches Wunderland voll Optimismus. Für alle westlichen Beobachter, die das vor 20 bis 30 Jahren erlebt haben, war die plötzliche Weltoffenheit des Landes und der Bürger eine positive Überraschung. Doch das optimistische, weltoffene China der Reform-Ära gibt es nicht mehr. Das heutige China unter Xi Jinping ist spätestens seit 2017 eine Ein-Mann-Diktatur, die auf Kontrolle, Repression, Ideologie und Einschüchterung setzt.
Die Kommunistische Partei Chinas kann auf große Erfolge verweisen. Die Unternehmen sind innovativ, etliche sind auf dem Weg zur weltweiten Marktführerschaft. Und technologisch hat China den Westen teilweise schon überholt. Vielen gilt China als Vorbild in Sachen Wirtschaftspolitik. Ist das übertrieben?
Kai Strittmatter: Wer sich das Land so schön träumt, hat wahrscheinlich immer noch das China unter Deng Xiaoping im Kopf. Heute hat die KP auch die Wirtschaft wieder fest im Griff. Muss zwischen wirtschaftlicher Vernunft und politischen Zielen entschieden werden, hat die Politik Vorrang. Der berühmte Pragmatismus ist verschwunden. In allen großen Unternehmen – auch in den Dependancen ausländischer Firmen – sitzen Parteifunktionäre und schauen den Firmenlenkern über die Schulter. In allen Bereichen des öffentlichen Lebens wird strikt auf Einhaltung des politisch vorgegebenen Verhaltenskodex geachtet. Ideologisch geht es übrigens längst nicht mehr um Kommunismus oder Marxismus. Es gibt heute eigene Studiengänge, in denen das „Xi Jinping Denken“ und seine Schriften gelehrt werden. Das ist ein Personenkult.
Das klingt nach Rückschritt. Steht das nicht im Widerspruch zu Chinas technologischer Offensive, zum Beispiel beim Thema Künstliche Intelligenz?
Kai Strittmatter: Xi Jinping will alles auf einmal: seine politische Macht absichern und ausbauen und gleichzeitig China international an die Spitze bringen – politisch, militärisch und wirtschaftlich. Die weltweit unvergleichbar riesigen Investitionen in das Thema Künstliche Intelligenz dienen allen drei Zielen gleichzeitig. In der Forschung mögen US-Firmen auf diesem Gebiet vielleicht noch Marktführer sein. In der praktischen Umsetzung aber ist China vielfach Nummer Eins – auch weil China wie kein anderes Land KI-Techniken konsequent als Instrument staatlicher Überwachung und Spionage nutzt. Die Unternehmen, die sich hier hervortun, sind oft privat, sie kooperieren aber eng mit dem Staat und werden von ihm finanziert. Oft gibt es keinen Datenschutz, der die Kreativität der Programmierer behindert. Sie können mit über einer Milliarde Probanden experimentieren. Das steht in keinerlei Widerspruch zu einem restriktiveren politischen Kurs. Im Gegenteil, das dient diesem Kurs.
Was bedeutet das für uns als demokratisches Land, das in der westlichen Wertegemeinschaft fest verankert ist?
Kai Strittmatter: Wir sollten uns keine Illusionen über die Ziele Chinas machen. Es ist immerhin schon ein Fortschritt, dass man in Brüssel, in Berlin und in deutschen Wirtschaftsverbänden China ganz offiziell nicht mehr nur als Handelspartner und Wettbewerber, sondern auch als systemischen Rivalen sieht. China selbst formuliert diesen Systemwettbewerb noch offensiver. Schon vor zehn Jahren wurde die Demokratie in chinesischen Publikationen als ideologischer Feind identifiziert. Das ist damals im Westen komplett untergegangen.
Trotzdem investieren große deutsche Unternehmen noch immer Milliardensummen in China. Haben die Verantwortlichen dort bessere Informationen? Oder leugnen sie die Gefahr?
Kai Strittmatter: Die Kredite für die großen Investitionen, von denen Sie sprechen – zum Beispiel im Pharma- und Automobilsektor – sind in der Vergangenheit durch Bundesbürgschaften abgesichert worden. Robert Habeck schränkt diese Praxis zunehmend ein. Es liegt im Interesse der in China aktiven großen deutschen Konzerne, die Gefahren für Investitionen in China herunterzuspielen. Denn es ist doch ein prima Deal, wenn der deutsche Steuerzahler die Risiken dafür trägt, dass etwas gewaltig schief geht.
Was könnte denn schief gehen?
Kai Strittmatter: Der GAU wäre natürlich ein chinesischer Angriff auf Taiwan. Aber natürlich birgt auch die zunehmende politische Einmischung der KP in die Privatwirtschaft Risiken. Und auch in der Gesellschaft schlummern unter der vermeintlich glatten Oberfläche der chinesischen Erfolgsgeschichte große Risiken. Da ist etwa die wachsende soziale Ungleichheit. Selbst in den USA sind die Unterschiede zwischen Reich und Arm nicht so gravierend wie im kommunistischen China. Gleichzeitig ist das Sozialsystem unterfinanziert. Von einem Wohlfahrtsstaat kann hier keine Rede sein. Die meisten müssen für sich selbst sorgen. Dieser Umstand birgt insbesondere vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung gewaltigen sozialen Sprengstoff. Die Folgen der Ein-Kind-Politik werden schon in den kommenden Jahren spürbar werden. Weniger Arbeitskräfte, ein sich abschwächendes Wirtschaftswachstum und Millionen von Menschen, die von Altersarmut bedroht sein werden, sind für die chinesische Gesellschaft eine riesige Herausforderung. Und für die Partei. Die Formel „Ihr könnt Geld machen, dafür haltet den Mund“, geht vermutlich irgendwann nicht mehr auf. Allein mit Geschenken aus der Staatskasse werden sich die sozialen Widersprüche dann nicht mehr kitten lassen. Die KP weiß das. Deshalb baut Xi Jinping bereits seit Jahren an einer anderen Front vor.
Was meinen Sie damit?
Kai Strittmatter: Es ist kein Zufall, dass Xi Jinping zunehmend nationalistische Töne anschlägt. Rumort es im Inneren, taugt ein äußerer Feind gern als Ventil, um das Volk hinter sich zu vereinen. Diese Taktik ist in Diktaturen oft zu beobachten.
Sie spielen auf die Drohungen gegen Taiwan an?
Kai Strittmatter: Ja, auch. Die verantwortlichen Politiker in Taiwan sehen es genau so: Sie fürchten den Moment, in dem China innenpolitisch Probleme bekommt und Taiwan als Sündenbock den Preis dafür zahlen muss. Aber Xi Jinpings China ist auch eine Herausforderung für uns. Xi will die Regeln des internationalen Miteinanders neu schreiben, seinen Einfluss in internationalen Organisationen erhöhen. Und wer in der Nachbarschaft nicht nach Chinas Pfeife tanzt, wird unter Duck gesetzt, im Zweifel auch militärisch. Das wird auch am Beispiel der Spratly-Inseln deutlich, auf denen China eine Militärbasis errichtet hat. China erhebt territorialen Anspruch auf das komplette Südchinesische Meer, das Seegebiet zwischen Vietnam, Malaysia und den Philippinen. China hält sich die Option offen, jederzeit Konflikte zu eskalieren. Käme es dazu, etwa im Falle Taiwans, hätte dies auch wirtschaftlich unabsehbare, schlimme Folgen. Deutsche Firmen, die mit diesem Wissen auch jetzt noch in großem Stil in China investieren, als habe sich die Welt in den vergangenen Jahren nicht geändert, handeln nach meinem Dafürhalten nicht unbedingt vorausschauend.
Sollten sich Unternehmen jetzt aus China zurückziehen?
Kai Strittmatter: Das muss jeder für sich entscheiden – in Zukunft dann aber bitte auch die möglichen Konsequenzen allein tragen. Die Risiken auf die Steuerzahler abzuwälzen, ist jedenfalls nicht mehr angesagt. Das immerhin hat das Wirtschaftsministerium unter Robert Habeck erkannt. Dahinter steckt eine einfache Erkenntnis: Die Interessen der in China groß vertretenen deutschen Konzerne sind zum ersten Mal seit vielen Jahrzehnten nicht mehr deckungsgleich mit den Interessen der Bundesrepublik Deutschland.
Herr Strittmatter, vielen Dank für dieses Gespräch.
Tipp der Redaktion: Wer Kai Strittmatter live auf dem TiAM FUND FORUM in München erleben will, kann sich jetzt noch für die Veranstaltung am 06.07.2023 registrieren:
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