Die robuste Konjunkturerholung trotz der Corona-Pandemie oder wegen der Maßnahmen gegen den Einbruch der Wirtschaft macht auch vor den Notenbanken nicht halt. Rückt jetzt das Ende der ultralockeren Geldpolitik näher?
06.09.2021 | 07:00 Uhr von «Jörg Zeuner»
Gebannt blickt der Kapitalmarkt auf die Inflationszahlen und versucht sich einen Reim auf den kräftigen Inflationssprung der vergangenen Monate zu machen. Bliebe die Teuerung nach fragebedingt hartnäckig hoch, wären die Währungshüter gezwungen, schneller als ihnen lieb ist die Zinsen anzuheben. Denn bislang ist das konjunkturelle Umfeld trotz Ausbreitung der Delta Variante intakt und ein Ende des Wachstums trotz einiger Abkühlungserscheiungen nicht in Sicht. Diesen Ausblick möchte niemand gefährden.
Auf dem Notenbanktreffen im US Wintersportort Jackson Hole, das in diesem Jahr vom 26. bis zum 28. August stattfand, war darum die für Anleger entscheidende Frage, wann die wichtigste Notenbank, die Federal Reserve (Fed), nun die geldpolitischen Zügel anzieht.
Die während der Corona-Krise sichtbare Geschlossenheit in der weltweiten Geldpolitik ist zuletzt etwas brüchig geworden. Lange war sie rein auf die Unterstützung von Wirtschaft und Finanzsystem ausgerichtet. Inzwischen haben einige Notenbanken aber bereits ihre Zinsen angehoben — selbst in Europa. Die isländische Notenbank war im Mai der Eisbrecher und erhöhte den Leitsatz wegen der starken Konjunkturerholung um 25 Basispunkte auf 1,0 Prozent.
Als erste Notenbank in der Europäischen Union legte dann die ungarische Zentralbank im Juni mit einer Zinsanhebung nach, gefolgt von der tschechischen Zentralbank — beide unter Verweis auf eine deutlich gestiegene Inflation im eigenen Land. Noch einen Schritt vor der Zinserhöhung stehen da gegen Institute wie die Bank of Canada oder die Reserve Bank of Australia. Sie haben aber zumindest ihre Wertpapierkaufprogramme reduziert oder wollen dies bald tun.
So weit sind die Europäische Zentralbank (EZB) oder die US-Notenbank Fed noch nicht. Während die EZB ihre Anleihekäufe im Rahmen des Pandemiekaufprogramms PEPP sehr hoch hält, gewinnt in den USA die Diskussion über den Ausstieg aus den Wertpapierkäufen („Tapering“) an Fahrt. Wir gehen aber davon aus, dass der aktuelle Anstieg der Inflation aufgrund von pandemiebedingten Verzerrungen und Wiedereröffnungseffekten in der Wirtschaft die für die Notenbanken wichtige unterliegende Preisdynamik klar überzeichnet.
Selbst der US-Konsument ist nicht im Kaufrausch, und es fehlen Hinweise auf ein überzogenes Anspringen einer LohnPreisSpirale. Der Preisdruck dürfte in den kommenden Jahren auch in der Breite strukturell etwas zunehmen — den geplanten Investitionspaketen sei Dank, denn sie bringen auch mehr Wachstum und höhere Zinsen. Die Fed wird aber darauf hinwirken, dass die Inflation mittelfristig allenfalls geringfügig den Zielwert von durchschnittlich zwei Prozent überschießt.
Für den richtigen Zeitpunkt eines lang samen Ausstiegs aus der ultraexpansiven Geldpolitik wird die Fed auch die zweite Zielgröße ihres Mandats, die Vollbeschäftigung, im Blick behalten. Hier dürften sich wichtige Beschäftigungsmaße bald spürbar verbessern. Damit wären die von der Fed selbst genannten Voraussetzungen für ein Verringern der Anleihekäufe erfüllt und der Beginn des Taperings um die Jahres wende 2021/2022 wahrscheinlich. Ein erster Zinsschritt sollte dann in der ersten Jahreshälfte 2023 folgen.
So weit wie die Fed ist die EZB noch lange nicht, wie jüngst sowohl die neue geldpolitische Strategie im Juni als auch die Ratssitzung im Juli unterstrichen haben. Wir erwarten ein Ende der Anleihenettokäufe der EZB erst Ende 2023 und halten einen ersten Zinsschritt vor 2024 für unwahrscheinlich. Die Umsetzung der Investitionsoffensiven in Europa wird länger brauchen, und Corona-Maßnahmen sind diesseits des Atlantiks wahrscheinlicher. Damit ist eine Divergenz zwischen der Fed und der EZB programmiert.
Diese „Drift“ sollte den US-Dollar unterstützen, weil in den USA der geldpolitische Impuls früher auslaufen dürfte als im Euroraum. Auch die US-Staatsanleiherenditen dürften steigen. In Europa sollten die Renditen in der Peripherie sowie im Hochzinssegment vorerst weiter gut unterstützt bleiben. Die Rendite der zehn jährigen Bundesanleihe sollte dagegen nur leicht anziehen. Generell sollten in einem Wachstumsumfeld mit moderater Inflation auch die Aktienmärkte gut unterstützt bleiben — sie bleiben damit die bevorzugte Anlage.
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