TiAM FundResearch blickt auf die Woche zurück und gibt einen Ausblick auf die kommenden Tage. Diesmal im Fokus: Soll die Europäische Zentralbank die Zinsen senken? Und wenn ja: um wieviel, wann und wie oft noch? Die Währungshüter sind sich nicht einig.
02.12.2024 | 07:15 Uhr von «Matthias von Arnim»
Das Wort „eigentlich“ ist ein sehr deutsches Wort, für das es in den meisten anderen Sprachen kein gleichbedeutendes Äquivalent gibt. Mit „Eigentlich“ beginnen in der Regel Sätze, mit denen man zum Ausdruck bringt, dass man zwar weiß, was vernünftigerweise zu tun wäre, es aber doch nicht tut. Aus Gründen. Im Frankfurter EZB-Turm wird vornehmlich Englisch gesprochen. Deshalb kommt das Wort nur selten vor. Eigentlich. Aber es reden doch auch deutschsprachige Ökonomen mit. Und die gebrauchen das Wort in diesen Tagen dann doch recht häufig. Und zwar im Zusammenhang damit, wie man im kommenden Jahr die Geldpolitik gestalten soll. Eigentlich ist alles klar. Europas – und insbesondere Deutschlands – Wirtschaft schwächelt. Das liegt auch an dem aktuellen Leitzins, der mit 3,25 Prozent im restriktiven Bereich liegt. Er bremst also die konjunkturelle Entwicklung. Weitere Zinssenkungen sind deshalb das Gebot der Stunde. Auch das Inflationsniveau in der Eurozone lässt der Zentralbank genügend Spielraum, ihre Geldpolitik weiter zu lockern. Die Verbraucherpreise stiegen zuletzt im Vergleich zum Vorjahresmonat um 2,2 Prozent. Das liegt im Rahmen – gerade auch mit dem vergleichenden Blick auf die Leitzinsen.
Und es gibt einen weiteren wichtigen Grund für weitere Zinssenkungen: Frankreichs Staatshaushalt befindet sich in gefährlicher Schieflage. Die Risikoaufschläge für französische Staatsanleihen sind mittlerweile so hoch wie für griechische Schuldpapiere. Frankreichs Finanzminister Antoine Armand hat also nicht nur die undankbare Aufgabe, Rechnungen und Gehälter aus tiefleeren Taschen zu bezahlen, sondern auch das Problem, dass er für neue Schulden den Gläubigern noch mehr Zinsen bieten muss. Deshalb ist es wohl auch kein Zufall, dass Frankreichs Notenbankchef Francois Villeroy de Galhau seinen Kolleginnen und Kollegen im Frankfurter EZB-Turm zuruft, es gebe keinen Grund, die Leitzinsen weiter so restriktiv zu halten. Er fordert ein weiteres – möglichst zügiges – Absenken der Leitzinsen. Sogar EZB-Direktorin Isabel Schnabel, die ansonsten eine eher straffe Geldpolitik befürwortet, erklärt, dass sie dies derzeit „nicht für angemessen“ halte.
Wie gesagt: Es scheint alles klar und der Kurs für die EZB vorgegeben. Eigentlich. Doch es gibt auch Widerspruch. Dieser gründet sich darauf, dass die Inflationsraten zuletzt nicht weiter gesunken sind, sondern sogar leicht gestiegen. Die Preise für Dienstleistungen stiegen im November im Vergleich zum Vorjahresmonat immer noch um 3,9 Prozent. Kurzfristig ist hier noch keine wirkliche Entspannung zu erwarten. Mahner, wie etwa Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Dekabank, weisen deshalb darauf hin, dass „die aktuellen Inflationszahlen im Widerspruch zur aktuellen Diskussion stehen, in der Zinssenkungen als immer dringender angesehen werden“. Solange die Inflationsraten nicht fielen, seien in den kommenden Monaten allenfalls vorsichtige Zinssenkungen möglich, so der Ökonom, der auch in der EZB-Zentrale bei einigen Währungshütern damit auf offene Ohren stößt. Darüber hinaus gibt es einen weiteren Faktor, den die EZB grundsätzlich immer im Auge behält: die Zinspolitik der US-Notenbank. Es verdichten sich die Hinweise darauf, dass die Fed die Leitzinsen zwar noch einmal senken wird. Doch dann könnte Schluss sein. Der Grund: Die US-Wirtschaft brummt trotz vergleichsweise hoher Zinsen, und die Inflation ist immer noch ein Thema. Eilt die EZB mit ihrem Zinssenkungskurs den US-Amerikanern nach unten zu schnell voraus, würde dies den Euro weiter schwächen und die Inflationsraten im Euroraum dadurch wieder nach oben ziehen. Schließlich müssen Rohstoffe und Energieeinfuhren in US-Dollar bezahlt werden. Die höheren Produktionskosten werden mit Zeitverzögerung an die Verbraucher weitergegeben. Ein Risiko, dass die EZB durchaus im Auge hat.
Eigentlich.
Aber wie heißt es so schön: Noch niemals in der Geschichte des Euroraums hat die EZB gegen die Interessen Frankreichs gehandelt. Deshalb ist das wahrscheinlichste Szenario, dass Christine Lagarde ihren Freunden in Paris mit niedrigen Zinsen zu Hilfe eilen wird. Darüber dürfte sich im Übrigen auch der deutsche Finanzminister freuen, wie auch immer er demnächst heißen wird. Denn nicht nur Frankreich hat ein Schuldenproblem.
Am Dienstag diskutieren Politiker und Experten auf der Online-Bundesländerkonferenz Föderale Energiewende darüber, wie es um die Versorgungssicherheit in Deutschland steht. Themen sind unter anderem Lastmanagement, Sektorenkopplung, flexible Biomasse, Stromaustausch mit dem Ausland und Gaskraftwerke, die in Zukunft zu 100 Prozent mit Wasserstoff betrieben werden sollen. Es geht dabei um nicht weniger, als dafür zu sorgen, dass Deutschland der Strom nicht ausgeht.
Am Mittwoch überprüft die Deutsche Börse turnusgemäß die Zusammensetzung ihrer DAX-Indizes. Die Regeln dafür, welches Unternehmen auf- oder absteigt – und warum, sind festgelegt. So, wie es derzeit aussieht, wird es im Dezember wohl keine Veränderungen im DAX geben. Für die nächste Überprüfung im März gelten aber Porsche und Sartorius als Abstiegskandidaten.
Am Donnerstag findet in Berlin der Wohngipfel der Bundesregierung statt, unter anderem mit Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD). Die Teilnehmenden der Veranstaltung dürfen sich schon jetzt auf eine verstörende Geräuschkulisse freuen. Die Kampagne Mietenstopp hat angekündigt, mit Topfdeckeln und Kochlöffeln „ordentlich Lärm“ zu machen. Mit etwas Glück geht das Geklapper im Berliner Straßenlärm unter.
Am Freitag lädt ebenfalls in Berlin der Zentralverband Deutsches Baugewerbe zum Pressefrühstück ein, um die Forderungen der Bauwirtschaft zur Baupolitik der Regierung und der Länder zu formulieren. Wenige Stunden später stellt die Initiative Klimaneutrales Deutschland in einer Online-Präsentation die Ergebnisse einer Umfrage unter Hausbesitzerinnen und -besitzern zum Thema Energetische Sanierung vor. Sowohl die Teilnehmer des Wohngipfels als auch die Berliner Topfschläger könnten auf den beiden Freitagsveranstaltungen vermutlich etwas darüber lernen, warum in Deutschland zu wenig gebaut wird. Und warum deshalb die Mietpreise steigen.
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