„Die Notenbanken sorgen dafür, dass wir enteignet werden. Das muss schleichend passieren, damit es niemand bemerkt. Zehn Prozent Inflation sind deshalb zu viel“, sagt der renommierte Investment-Experte Leonhard „Lenny“ Fischer.
29.11.2022 | 07:30 Uhr
TiAM FundResearch: Herr Fischer, das Börsenjahr 2022 gehört sicher nicht zu den besten. Die Aktienkurse sind gefallen. Und auch die Anleiherenditen sind in die Höhe geschossen, nachdem die Notenbanken die Zinsen erhöht haben. Gleichzeitig steigt die Inflation. Wie kommen wir da wieder raus?
Leonhard Fischer: Gar nicht. Staaten und Notenbanken haben ein Interesse daran, dass Staatsanleihen unterhalb der Inflationsraten verzinst werden. Denn dieses Prinzip sorgt dafür, dass sich Staaten schleichend auf Kosten der Sparer entschulden können. De facto wirkt das wie eine zusätzliche Steuer. Als Anleger bemerken Sie es nur nicht sofort.
TiAM FundResearch: Die US-Notenbank Fed, die Bank of England und die Europäische Zentralbank haben zuletzt die Zinsen erhöht, um die Inflation einzudämmen. Das wirkt nicht so, als ob die Notenbanken ein Interesse an einer hohen Geldentwertungsrate hätten.
Leonhard Fischer: Die Notenbanken haben uns die Suppe durch ihre expansive Geldpolitik in den vergangenen Jahren doch erst eingebrockt. Wenn ich so viele Billionen Euro und Dollar in den Markt gebe, ohne dass die wirtschaftlichen Wachstumsraten dieses Geldmengenwachstum widerspiegeln, dann wird der Druck in der Flasche eben irgendwann zu groß. Das ist das, was wir jetzt erleben. Dass die Notenbanken jetzt reagieren – und dies übrigens auch sehr spät – ist eher dem Umstand zuzuschreiben, dass sie erstens fürchten, dass ihnen die Inflation aus dem Ruder läuft, während die Konjunktur lahmt. Das wäre für niemanden gut.
TiAM FundResearch: Und zweitens?
Leonhard Fischer: Zweitens sollten die Inflationsraten möglichst nicht zweistellig werden. Denn dann ist es keine schleichende Geldentwertung mehr, sondern sehr offensichtlich. Auch das ist nicht im Interesse der Notenbanken und Staaten.
TiAM FundResearch: Durch die Zinsanhebungen bringen Anleihen aber wieder mehr Rendite. Lohnt es sich denn trotzdem nicht, in Anleihen zu investieren?
Leonhard Fischer: Doch, natürlich. Es ist besser, als nichts zu tun. Durch die gesunkenen Anleihekurse können Sie als Anleger jetzt gefühlt wieder positive Renditen mit Anleihen erzielen. Abzüglich Steuern und Inflation bleibt real aber nichts übrig. Was nutzen Ihnen zwei Prozent Rendite, die Sie mit einer Bundesanleihe erzielen können, bei zehn Prozent Inflation? Es geht schon lange nicht mehr darum, Gewinne erzielen zu können, sondern den Kaufkraftverlust des eigenen Vermögens möglichst abzumildern.
TiAM FundResearch: Was meinen Sie mit „schon lange“? Waren Aktien in den vergangenen Jahren nicht eine lohnende Anlage?
Leonhard Fischer: Das kommt darauf an, wie Sie rechnen. Wo steht der DAX heute? Bei 14.000 Punkten? Da waren wir im Februar 2018 auch schon mal. Hat sich der Kauf deutscher Aktien also wirklich gelohnt? Dazu kommt, dass im klassischen DAX auch die Dividenden eingerechnet und im Index thesauriert werden. Der DAX Kursindex notiert heute unterhalb seines Wertes vom März 2000. Daran sehen Sie, wieviel die Dividenden ausmachen. Seit dem Jahr konnten Sie als Anleger damit gerade einmal die durchschnittliche Inflation ausgleichen, vor Steuern. Kursgewinne waren gar nicht drin. Und von den Anleihen will ich erst gar nicht anfangen. Welche Folgen die Nullzinspolitik der Notenbanken für die normalen Sparer hatte, ist bekannt.
TiAM FundResearch: Was empfehlen Sie denn Anlegern, wenn sich Ihrer Meinung nach weder mit Aktien noch mit Anleihen netto positive Renditen erzielen lassen?
Leonhard Fischer: Es gibt keine Alternative dazu. Man sollte sein Vermögen möglichst breit streuen. Immobilien und Gold gehören dazu. Aber auch etwas Bargeld, um in bestimmten Situationen und bei Überraschungen frei verfügbares Kapital zu haben. Man kann damit positive Renditen erzielen, aber es wird schwer werden, die Inflationsraten zu schlagen. Ich sage nur, man sollte sich nicht der Illusion hingeben, man könnte in den kommenden Jahren noch mit Investitionen in Aktien und Anleihen netto große Vermögen aufbauen. Es geht in erster Linie um Kaufkrafterhalt. Es ist, als ob Sie im Schwimmbad gegen eine Gegenstromanlage schwimmen. Da müssen Sie sich verdammt anstrengen, wenn Sie den Beckenrand am gegenüberliegenden Ende erreichen wollen.
TiAM FundResearch: Was passiert, wenn die Notenbanken die Zinsen weiterhin stark anheben? Revidieren Sie dann Ihre Theorie von der geplanten Enteignung der Sparer?
Leonhard Fischer: Die Notenbanken werden nicht übers Ziel hinausschießen. Dafür sind die Staaten zu hoch verschuldet. Einen Staatsbankrott in ihrem Währungsraum werden weder die Fed noch die EZB verantworten wollen. Die USA sind heute mit rund 30 Billionen US-Dollar verschuldet. Ende kommenden Jahres werden es, wenn alle Pläne der US-Regierung umgesetzt werden, 32 Billionen sein. In fünf Jahren wird vermutlich die 40-Billionen-Marke überschritten werden. Ein Prozent mehr Zins bedeuten für den US-Haushalt bei 30 Billionen Dollar Schulden, dass der Staat allein nur für den Schuldendienst 300 Milliarden und in fünf Jahren 400 Milliarden Dollar pro Jahr mehr ausgeben muss als heute. Wir haben allein in diesem Jahr Zinsanhebungen von insgesamt 3,75 Prozent gesehen. Diese Zinsanhebungen werden sich sehr bald bemerkbar machen. Denn der Hauptteil der US-Staatsanleihen hat eine Restlaufzeit von nur zwei Jahren. Steigen die Zinsen, schlägt das also sehr schnell durch. Und jetzt frage ich zurück: Glauben Sie, dass sich die USA weitere Zinsanhebungen leisten werden? Oder ist es wahrscheinlicher, dass die Fed die Zinsen wieder senkt, wenn der Inflationsdruck nachlässt?
TiAM FundResearch: Wie schätzen Sie die Situation in Europa ein?
Leonhard Fischer: Wir haben uns übernommen. Ganz aktuell sieht man das in Großbritannien. Das System der Pensionsfonds, die dort eine große Rolle spielen, stand Ende September kurz vor dem Kollaps. Das ist sehr sichtbar geworden, als Liz Truss in ihrer sehr kurzen Karriere als britische Premierministerin die Idee hatte, die Steuern deutlich zu senken. Sie hatte unterschätzt, was sie damit am Anleihemarkt anrichten würde. In anderen europäischen Ländern sieht die Situation letztlich nicht viel anders aus. Die Rentenansprüche unserer Generation sind durch die erwartbare Wirtschaftsleistung unserer Nachkommen kaum noch zu erfüllen.
TiAM FundResearch: Wird die geplante Ergänzung durch eine kapitalgedeckte Altersvorsorge die Situation verbessern?
Leonhard Fischer: Grundsätzlich klingt die Idee charmant, dass wir unser demografisches Dilemma dadurch ausgleichen, dass wir aus nationalen Rentenansprüchen, die derzeit noch ausschließlich in Deutschland erwirtschaftet werden müssen, international ausweiten. Leider haben jedoch alle Industrienationen ein ähnliches demografisches Problem. Woher soll das internationale Wachstum kommen, aus dem wir unsere steigenden Rentenansprüche bedienen, wenn auch dort, wo wir in Unternehmensaktien investieren, die Bevölkerungszahlen abnehmen und die Wirtschaft nicht mehr so stark wächsern wird? Dazu kommt, dass die Babyboomer-Generation, die von ihrem aufgebauten Aktienvermögen leben will, zu diesem Zweck ihre Aktien nach und nach verkaufen wird. Das ist ein Faktor, der mittelfristig auf die Aktienkurse drücken wird.
TiAM FundResearch: Gibt es denn irgend etwas, das Mut machen könnte?
Leonhard Fischer: Ich neige nicht zur Mutlosigkeit. Die Menschheit hat immer wieder bewiesen, dass sie auch komplexe Probleme lösen kann. Und Lösungen findet, die wir heute noch gar nicht erahnen können. Positive Überraschungen sind immer möglich. Nur ein Beispiel: Falls es der Forschung gelingen sollte, einen Fusionsreaktor im industriell nutzbaren Maßstab zu bauen, wäre dies ein Konjunktur-Turbo, den man gar nicht überschätzen könnte. Wie gesagt: Das ist nur eine von vielen möglichen positiven Überraschungen. Es gibt keine ausweglose Situation. Es geht immer weiter. Das stimmt mich grundsätzlich optimistisch.
TiAM FundResearch: Herr Fischer, vielen Dank für dieses Gespräch.
Am 1. Dezember 2022 fand in München das TiAM FUND FORUM Hybrid statt. Geladen waren prominente Keynote-Speaker. Neben Investmentlegende Lenny Fischer (siehe Interview auf dieser Seite) waren auch der Politiker, Wissenschaftler und Buchautor Prof. Dr. Fritz Vahrenholt sowie Franz Josef Benedikt zu sehen und zu hören. Auf dem Forum, das auch per Online-Stream live mitverfolgt werden konnte, stellten sechs Investmentgesellschaften ihre Kapitalmarkt-Thesen und die passenden Strategien vor. Diskussionen mit dem Auditorium waren dabei ausdrücklich erwünscht.
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