Beratung über den Tod hinaus

Berater sind im Umgang mit Angehörigen verstorbener Kunden oft überfordert. Generationenberatung muss ausgebaut werden.

14.08.2012 | 07:45 Uhr von «Patrick Daum»

Finanzberater sind nach dem Tod eines Kunden oft überfordert, sich dem Gespräch mit den Angehörigen zu stellen. Hilflosigkeit und Unbehaglichkeit dominieren. Die Folge fehlender Sensibilität ist oft der Abzug großer Summen an Einlagen.

„Die Erfahrung von Tod ist für jeden Angehörigen eine starke emotionale Erfahrung und Belastung“, sagt Ulrich Welzel, Banker, Vertriebsprofi, Hospizbegleiter und Trainer bei der Unternehmensberatung „Brain Active“. Experten sprächen gar vom stärksten Stress, der einem Menschen widerfahren könne. Diesen Stress erführen auch Kundenberater bei Banken im Gespräch mit den Angehörigen eines Verstorbenen. Denn neben abwicklungstechnischen und finanziellen Fragen stehe vor allem der persönliche Kontakt im Mittelpunkt – die größte Herausforderung für Berater. Zwischen echter Einfühlung und vorgegaukeltem Mitgefühl sei es nur ein schmaler Grat. Die hoch emotionalisierten trauernden Angehörigen spürten diesen Unterschied instinktiv. „Kleine, pietätsfremde Fehltritte und kommunikative Unstimmigkeiten können problemlos gut verlaufende Beratungen torpedieren“, weiß Welzel, der Berater im Umgang mit Angehörigen schult und zahlreiche Publikationen zu diesem Thema verfasst hat. Auf echte Empathie, wertschätzende Kommunikation und Authentizität reagierten die Angehörigen hingegen mit Dank und Loyalität.

Berater müssen sich mit demografischem Wandel auseinandersetzen

Obwohl jedes Jahr durchschnittlich 850.000 Menschen in Deutschland sterben, ist das Thema Sterben, Tod und Trauer in der Gesellschaft noch immer weitgehend tabuisiert. Doch der demografische Wandel ist einer der großen Trends in der heutigen Zeit, mit dem sich auch Berater auseinandersetzen müssen. „Sehen wir uns die demografische Entwicklung an, wissen wir, dass es in den nächsten 20 Jahren zu einer massiven Überalterung der Gesellschaft kommt“, erläutert Welzel. Um die Auswirkungen zu mildern, hielten Berater auf der Produktseite umfangreiche Lösungen bereit. Doch welche Auswirkungen hat dieser Wandel auf die Entwicklung des Kundenstamms einer Bank, deren Berater und das jährliche Ergebnis? Laut Statistik sind heute 20,4 Prozent der Bevölkerung über 65 Jahre alt. „Dadurch, dass die geburtenstarken Jahrgänge in ein Alter kommen, in dem Sterblichkeit wahrscheinlicher wird, verändern sich Lebensformen, Umgangsformen wie auch Beratungsprozesse in Banken“, so Welzel. Banken und ihre Berater müssten sich darauf einstellen, dass in den nächsten 20 Jahren bis zu 35 Prozent ihrer Kunden versterben. Die Kundengruppe der über 50-jährigen besitze heute etwa 80 Prozent der Bankeinlagen. Beratungsprozesse müssten sich daher dieser Situation anpassen. Denn es sind die Erben des Verstorbenen, die über sein Vermögen verfügen.

Enorme Mittelabflüsse sind die Folge unsensibler Beratung

Nur wenige Banken ermitteln Welzel zufolge diese für sie immens wichtigen Zahlen. Dabei sei es sinnvoll, eine Altersstrukturanalyse des Kundenstamms zu erstellen. Dadurch biete sich die Chance neben den Beratungsprozessen (z.B. die Einführung eines Generationsmanagements) auch die Produktlösungen und das Marketing auf die heterogene Zielgruppe abzustimmen. Mit dem Wissen, dass in den kommenden Jahren viele Kunden versterben werden, müssten sich Bankverantwortliche und Berater verstärkt mit der Sicherung der Einlagen befassen. Das Deutsche Institut für Altersvorsorge (DIA) prognostiziert bis zum Jahr 2020 ein zu vererbendes Vermögen von 2,6 Billionen Euro – zur Hälfte Geldvermögen. „Auf ein Jahr heruntergebrochen bedeutet das 130 Milliarden Euro wechseln den Besitzer“, so Welzel. Doch zeigt die Erfahrung der vergangenen Jahre, dass das Vermögen nicht nur den Besitzer, sondern auch die Bank wechselt: „Nach dem Tod eines Erblassers wird oft bis zu 75 Prozent des liquiden Vermögens auf eine andere Bank transferiert und die Bankverbindung beendet“, stellt Welzel fest. Ein extrem hoher Wert, den der Experte auf die Tatsache zurückführt, dass Berater selten in der Lage seien, die richtigen Worte zu finden, den richtigen Ton anzuschlagen und den trauernden Angehörigen angemessen empathisch und wertschätzend zu begegnen. So können 50 Jahre Kundenbeziehung binnen 50 Sekunden eliminiert werden.

„Aus vielen Interviews mit ehemals trauernden Bankkunden wissen wir, dass sie sich sehr oft emotional falsch oder gar nicht angesprochen fühlen“, führt Welzel aus. Erfahrungen zeigten, dass 95 Prozent der Banker gar keinen Kontakt zu den trauernden Angehörigen aufnähmen. Und wenn sie Kontakt aufnehmen und es zu einem Beratungsgespräch kommt, gingen die Berater mit Floskeln wie „Herzliches Beileid“, „Kopf hoch, das wird schon wieder“, „Sie sind stark. Sie werden das schaffen“ oder „Ich weiß, wie Sie sich fühlen“ schnell zur Tagesordnung über. All diese Aussagen spiegelten vor allem die Unsicherheit des Beraters wider, wodurch sich die Angehörigen weder aufgehoben noch wertgeschätzt fühlen. In der Folge bedeute das für Banken einen starken Mittelabfluss. „Bei Großbanken ist es keine Seltenheit, wenn jährlich mehrere 100 Millionen Euro an Sichteinlagen abfließen“, erläutert Welzel.

Generationenberatung fristet noch ein Nischendasein

Welzel rät Beratern, sich aktiv mit dem Verlust eines Menschen und der Trauerphase auseinanderzusetzen: „Erkennt der Berater nicht, in welchem emotionalen Zustand sich die trauernden Angehörigen befinden, wird es schwierig eine wertschätzende und einfühlende Kommunikation aufzubauen.“ Der Berater dürfe nicht nur Berater sein, sondern müsse auch als Begleiter fungieren. Neben der Beachtung der Etikette gelte es, die Aspekte verbaler und nonverbaler Kommunikation zu beachten. Denn Kommunikation mit Trauernden sei ein Drahtseilakt, der gelernt werden müsse, wenn Mittelabflüsse gestoppt werden sollen. Daher verlangt Welzel, dass Berater für den Umgang mit trauernden Angehörigen sensibilisiert werden. Denn dann „ist ein riesiger Schritt getan, um Mittelabflüsse zu verringern, langfristig die Erträge zu sichern und die Angehörigen als Kunden zu binden.“ Die situativ richtige und empathische Kommunikation könne dazu führen, dass Erben, die vor dem Todesfall noch keine Kunden der Bank oder des Beraters waren, nun Kunden werden. Dies wiederum führe zu ordentlichen Mittelzuflüssen. Welzel zeigt ein Beispiel einer ländlichen Bank auf: „Ein ausgebildeter Generationenberater bekommt alle Todesfallmeldungen ab einem Vermögen von 50.000 Euro auf seinen Schreibtisch. In den nächsten 24 Stunden fährt er bei der Familie vorbei, kondoliert angemessen, bringt einen Strauß Blumen vorbei und bietet seine Hilfe an. Ergebnis: 99 Prozent der Angehörigen freuen sich über die Reaktion der Bank. Mittelabfluss gegen Null gefahren. Mittelzuflüsse aus anderen Banken.“ Doch nur durchschnittlich zehn Prozent deutscher Großbanken hielten ausgebildete Generationenberater bereit. Ein Zustand, aus dem sich jeder Bank die Chance biete, sich in dem Bereich als Profi zu positionieren.

(PD)

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