„Deutschland trägt die rote Laterne in der EWU“

Das Wachstum in Europa wird schwach bleiben. Die USA müssen wieder einmal die Weltkonjunktur am Laufen halten, erwartet Michael Heise. Daher dürften sich die Aktienmärkte kurzfristig seitwärts bewegen.

01.08.2023 | 07:00 Uhr von «Jörn Kränicke»

TFR: Herr Heise, Rezzessiongefahr und immer noch hohe Inflationszahlen sind ein nicht enden-wollendes Thema. Gibt es Hoffnung, dass diese Sorgen bald verschwinden?

Michael Heise: Wir werden auch im Rest des Jahres 2023 und im kommenden Jahr ein sehr schwaches Weltwirtschaftswachstum sehen. Es wird aber nicht zu einer Rezession kommen. Bedauerlich ist, dass Europa wieder beim Konjunkturzug hinterherhinkt. Deutschland trägt dabei sogar die Rote Laterne in der EWU. Es wird nichts zum Wachstum beitragen. Für die Inflation ist dies jedoch ein gutes Zeichen. Eine schwache Konjunktur bedeutet auch einen Druck auf die Preise. Die Gesamtinflation dürfte weiter deutlich zurückgehen. Die Kerninflation wird jedoch noch eine Weile erhöht bleiben.

Also wird auch die USA nicht in die Rezession rutschen?

Nein, die USA und ihre Konsumenten müssen wieder einmal die Weltkonjunktur retten. Der Konsens der Analysten ging zwar bisher davon aus, dass die Rezession nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben ist und es 2024 eine Rezession kommen wird. Als Grund wird vor allem der krasse Zinsanstieg und die Inversion der Zinsstrukturkurve angeführt. Allerdings ist die Prognose der US-Wirtschaft so komplex wie selten zuvor. Die Schocks der vergangenen Jahre, wie etwa die Covid-Pandemie, der Ukraine-Krieg und der Energiekrise sowie der Inflations- und Zinsschock haben viele Maßnahmen nach sich gezogen, die sich gegenseitig überlagern. Daher funktionieren einfache Regeln zur Prognose nicht mehr.

Welche Faktoren unterstützen die USA?

Die Stärken in den USA sind der sinkende Inflationsdruck und dadurch auch wieder steigende real verfügbare Einkommen, die den Konsum ankurbeln. Zudem ist der Arbeitsmarkt nach wie vor robust, auch wenn er langsam abkühlen dürfte. Derzeit liegt die Zahl der offenen Stellen um den Faktor 1,6 höher als die Zahl der Arbeitssuchenden. Zudem merkt man auch langsam, dass Auswirkungen der stark gestiegenen Zinsen langsam die Talsohle bereits durchschritten haben. Insbesondere die Neubauaktivitäten im Wohnungsbau nehmen wieder zu. Bei Fabrikgebäuden gibt es eine Sonderkonjunktur. Besonders in Sektoren wie Batteriefabriken und E-Mobilität sowie bei Chipfabriken gibt es so etwas wie einen Bauboom.

Welches Wachstum erwarten Sie USA?

Unsere Prognose für das US-Wachstum liegt bei 1,8 Prozent für 2023 und bei 1,1 Prozent für 2024. Vor drei bis sechs Monaten hatte ich noch die Hoffnung, dass sich Europa möglicherweise sogar besser als die USA entwickeln könnte, da Belastungsfaktoren wie die hohen Energiepreise weggefallen sind und sich die Lieferengpässe aufgelöst haben. Auch China hat sich nach Covid wieder geöffnet. Aber die USA zeigen sich immer noch stärker als die Eurozone, und auch die vorlaufenden Indikatoren zeigen keine Besserung in der Eurozone. Die Indikatoren in den USA sind zwar auch nicht berauschend, aber besser. Überdies haben sie mit drei Prozent Inflation das zwei-Prozent-Ziel schon wieder vor Augen. In der EWU hingegen liegt die Inflationsrate immer noch bei fünf Prozent.

Endet somit auch langsam der Zinserhöhungszyklus?

Der Prozess der sinkenden Inflationsraten wird sich in den kommenden Monaten fortsetzen, wie man an den deutlich sinkenden Erzeugerpreisen erkennt. Daher werden die Notenbanken nicht den Zins-Overkill machen. Auch werden die Notenbanken nicht den Fehler machen, das Inflationsziel zu erhöhen. Die Fed wird unserer Meinung nach im Oktober die Zinsen nicht noch einmal erhöhen, auch die EZB wird eine Pause einlegen.

Viele Erwarten bald schon wieder Zinssenkungen. Wie realistisch ist dies?

Wir erwarten frühestens im Frühsommer 2024 die erste Zinssenkung in den USA. Die EZB wird bis ins zweite Halbjahr warten.

Bedeutet dies grünes Licht für Aktien?

Nach der Rally seit Oktober 2022 erwarten wir für die zweite Jahreshälfte eine bescheidene Entwicklung. Wir glauben, die Annahmen der Analysten, dass die Gewinne konstant bleiben und 2024 deutlich steigen, etwas zu optimistisch sind. Die Gewinnentwicklung wird eher schwach sein. Daher erwarten wir eine Seitwärtsbewegung mit hoher Volatilität und zwischenzeitlichen Korrekturen an den Aktienmärkten.

Eine länger anhaltende Eintrübung erwarten Sie jedoch nicht?

Nein. Wir gehen nach wie vor davon aus, dass man mit Aktien in den kommenden zehn Jahren jährliche Renditen von rund 7,5 Prozent erzielen kann. Damit sind sie deutlich attraktiver als Anleihen. Noch besser dürften sich Schwellenländeraktien schlagen. Denn viele Länder wollen sich von China unabhängig machen und investieren massiv in anderen Ländern in Asien und Lateinamerika. Das könnte einen jahrelangen Aufwärtszyklus nach sich ziehen.

Zur Person:

Michael Heise, promovierter Ökonom, war 17 Jahre lang bis zum Jahr 2019 Chefvolkswirt der Allianz Gruppe. Seit April 2020 ist er Chefökonom von HQ Trust, dem Multi Family Office der Familie Harald Quandt. Heise studierte und promovierte an der Universität Köln. Er lehrt als Honorarprofessor an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main insbesondere zur Geld- und Währungspolitik und hat an der European Business School in Oestrich-Winkel unterrichtet. Heise ist unter anderem Mitglied des Planungsstabes des House of Finance.



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