DJE-Marktkommentar: Besonnen bleiben - Fragen und Antworten für Anleger zum Krieg in der Ukraine
Der Angriff Russlands auf die Ukraine ist eine Tragödie. Die jüngsten Entwicklungen mitsamt Sanktionen gegenüber Russland haben auch weltweit die Unsicherheiten auf den Finanzmärkten drastisch erhöht. Unsere Einschätzungen zu absehbaren volkswirtschaftlichen Folgen – und weitere Orientierung für Vermögensschutz und -aufbau mit Aktien, Anleihen & Co.07.03.2022 | 07:15 Uhr von «Thorsten Schrieber»
Welche Auswirkungen wird der Krieg in der Ukraine auf die Konjunktur in Deutschland, Europa und der Welt haben?
Im Hinblick auf den Außenhandel sind die Auswirkungen überschaubar. Am
stärksten ist zwar Deutschland betroffen, aber der Exportanteil Richtung
Russland ist mit 1,9% überschaubar. Für die EU ist der Anteil mit 1,1% noch
geringer. Die USA betreiben kaum Außenhandel mit Russland.
Anders verhält es sich mit dem Rohstoffsektor. Als Beispiel: Europa und vor
allem Deutschland beziehen weiterhin in großem Umfang russisches Öl und Gas.
Kurzfristige Alternativen dazu gibt es kaum. Die USA haben zwar ihre
Flüssiggas-Lieferungen nach Europa auf ein neues Hoch gesteigert, liegen damit
aber am Rand der Kapazitätsgrenze. Deutschland und Europa sind völlig abhängig
von den Energielieferungen aus Russland. Im nächsten Winter würde es große
Probleme für Haushalte und Industrie geben, wenn Russland als Gegenmaßnahme
seinerseits Sanktionen einführt und die Öl- und Gaslieferung stoppt. Die
aktuell stark steigenden Energiepreise an den Weltmärkten spiegeln die Furcht
vor Liefer- und Versorgungsengpässen wider. Die ökonomischen Auswirkungen
dieser Entwicklung sind momentan schwer abschätzbar.
Wie weit werden die Energiepreise die ohnehin hohe Inflation weiter steigen
lassen?
Es ist klar, dass die Preise für Öl und Gas angesichts der Unsicherheit an den
Märkten auf Sicht weiter steigen werden. Bis zu welchem Punkt, das ist jedoch
von mehreren Faktoren abhängig. Im Moment zeichnet sich ab, dass wir in
Deutschland mit bis zu sechs Prozent Preissteigerung für 2022 rechnen müssen.
Wie werden die Notenbanken in Europa und den USA auf diese Entwicklung
reagieren? Kommt es zu den erwarteten Zinsanhebungen?
Der geldpolitische Kurs der US-amerikanischen Notenbank Federal Reserve liegt
klarer auf der Hand als der der EZB. Es bleibt aus unserer Sicht trotz der
aktuellen geopolitischen Verschärfung bei dem erwarteten Kurswechsel in der
Geld- und Fiskalpolitik. Ob die Federal Reserve dabei tatsächlich sieben
Zinsschritte machen wird, wie von manchen erwartet, bleibt abzuwarten. Dies
gilt auch für die Frage, ob es Zinserhöhungen im Euroraum geben wird und wie
stark sie ausfallen. Die Belastungen für die Wirtschaft durch die Folgen des
Krieges spielen dabei eine Rolle, denn sie haben Einfluss auf die Spielräume
für Zinserhöhungen. Die Inflation wird fast ausschließlich von den Energiepreisen
getrieben. Dieses Problem kann weder die EZB noch die Fed über die Zinspolitik
lösen.
Wie sollten sich Anleger verhalten?
Das gesamte Umfeld unterscheidet sich deutlich von der Situation 2021. Gleich
drei Faktoren machen die Lage für Anleger schwierig: Zum einen herrscht große
Unsicherheit angesichts der Tatsache, dass niemand weiß, was Putin wirklich
will und wie weit er zu gehen bereit ist. Die Dimension und das Ende des
Krieges sind derzeit kaum absehbar. Zum anderen – und damit verbunden – haben
wir stark steigende Rohstoffpreise sowie eine aus verschiedenen Gründen
dauerhaft höhere Inflation. Und schließlich sind die Zinsen im historischen
Vergleich immer noch relativ niedrig. Dieses Kapitalmarktumfeld ist für Anleger
ausgesprochen anspruchsvoll. Diese Herausforderungen können aber von erfahrenen
Fondsmanagern gesteuert und beherrscht werden. Anleger sollten die Situation
aufmerksam beobachten und dabei besonnen bleiben, auch wenn wir gerade an den
Aktienmärkten mit deutlich steigender Volatilität und teilweise regelrechten
Zick-Zack-Börsen für 2022 rechnen.
Was bedeutet die Entwicklung für Aktien?
Aktien werden langfristig ein ganz wichtiger Bestandteil im Depot bleiben. Denn
die Zinsen werden voraussichtlich nur moderat nach oben gehen. Zugleich ist mit
einer strukturell höheren Inflationsrate zurechnen. Diese Konstellation spricht
für reale Werte und damit auch für Aktien. Allerdings ist die Zeit stetig
steigender Börsen vorbei. Dies gilt besonders für die deutsche Börse. Hier
belasten die oben erwähnten Faktoren voraussichtlich über längere Sicht. Aber
generell sollte man sich von Krisen und Kurseinbrüchen nicht zu sehr schrecken
lassen, denn die Aktienmärkte haben in der Vergangenheit gezeigt, dass sie nach
Kurseinbrüchen immer wieder zurückkamen. Ihr stärkstes Wachstum zeigten sie oft
unmittelbar nach einer Krise. Nur ein Beispiel: Nach den Anschlägen auf das
World Trade Center am 11. September 2001 fiel der MSCI World auf Euro-Basis um
-11,0%. Nur sechs Monate danach hatte der Index die Verluste nicht nur
aufgeholt, sondern war um 23,1% gestiegen.(1) Ähnlich verhielt es sich jüngst
auch mit dem Corona-Einschnitt im Jahr 2020.
Stichwort: Sektoren. In welche Richtung sollten sich Anleger orientieren?
Russland kontrolliert ca. 40% des weltweiten Palladiums: Kommt es hier zu
Lieferstopps, wird die Automobilproduktion stärker als bisher erwartet unter
Druck kommen, da Palladium dann für die Katalysatorproduktion fehlt.
Lieferausfälle bei Nickel könnten außerdem die Batterieherstellung in Bedrängnis
bringen. Einem schwierigeren konjunkturellen Umfeld kann sich auch der
Bausektor nicht entziehen. Steigende Baukosten können nicht mehr so gut
weitergegeben werden. Dies wiederum führt voraussichtlich zu verengten Margen.
Banken und Versicherungen werden unter den westlichen Sanktionen gegen Russland
und zusätzlich unter den Verwerfungen auf der Anleiheseite zu leiden haben.
Es gibt aber auch Sektoren, für die das jetzige Umfeld Chancen bietet. Dazu
gehören aus unserer Sicht die Gesundheitsbranche, der Technologiesektor und
Grundstoffe.
Automatismen gibt es allerdings nicht. Jeder Wert sollte sorgfältig im Rahmen
eines aktiven Auswahl- und Investmentprozesses genau geprüft werden. Dies ist
nicht die Zeit für passives Investieren. Grundsätzlich gilt unverändert: Bei
der Aktienauswahl kommt es auf Solidität, geringe Verschuldung, Substanz und
nachhaltige Dividendenorientierung an.
Werden Anleihen künftig wieder zunehmend zum „sicheren Hafen“?
Mögliche Cash-Alternativen bieten zum Beispiel fünfjährige US-Staatsanleihen.
Und insbesondere zehnjährige amerikanische Staatsanleihen können eine Rolle als
„sicherer Hafen“ spielen. Zwar bringen auch die langfristigen Anlagen mit zwei
Prozent Rendite nur einen Inflationspuffer, aber das ist beim heutigen Zinsniveau
schon etwas wert. Zudem wird zwischenzeitlich wahrscheinlich der Dollar
steigen. Dies eröffnet zusätzliche Möglichkeiten. Grundsätzlich steigt die
Attraktivität von Anleihen bei steigenden Zinsen. Sie sollten daher eine
wichtige Rolle spielen. Der konkrete Stellenwert für den einzelnen Anleger
hängt natürlich vom individuellen Risiko-Rendite-Profil ab.
Welche Rolle spielen aktuell Rohstoffe – und dabei besonders die klassische
Krisenwährung Gold?
Rohstoffe sind jetzt grundsätzlich eine gute Wahl, gerade Gold, Silber und
Palladium, gerne auch physisch. Zwar ist Gold markttechnisch bereits überkauft,
bleibt jedoch im aktuellen Umfeld eine gute Absicherungsalternative. Durch
mögliche Angebotsstörungen beziehungsweise Lieferausfälle könnten die Preise u.a.
für Palladium und Nickel steigen.
(1) Quelle: DJE Kapital AG. MSCI World (auf Euro-Basis): -11,0% von 11.09.2001
bis 21.09.2001; Reaktion des Index bis 21.03.2002: +23,1%. Angaben zu der
Entwicklung in der Vergangenheit sind kein zuverlässiger Indikator für künftige
Wertentwicklungen.
Über die DJE-Gruppe
DJE ist seit über 45 Jahren als unabhängige Vermögensverwaltung am Kapitalmarkt
aktiv. Das Unternehmen aus Pullach bei München verwaltet mit rund 170
Mitarbeitern in der DJE-Gruppe über 17,4 Milliarden Euro (Stand: 31.12.2021) in
den Bereichen individuelle Vermögensverwaltung, institutionelles Asset
Management sowie Publikumsfonds. Zudem bietet die DJE Kapital AG seit 2017 mit
Solidvest eine einzeltitelbasierte Online-Vermögensverwaltung an – als digitale
Lösung im Rahmen aktiv gemanagter Depots. Das Online-Konzept basiert auf den
breiten Kompetenzen in Vermögensverwaltung und Anlagestrategie der DJE Kapital
AG – und ermöglicht ein diversifiziertes Portfolio nach individuellem
Rendite-Risiko-Profil mit persönlichen Themenschwerpunkten im Aktienbereich.
Vorstandsvorsitzender ist Dr. Jens Ehrhardt, sein Stellvertreter Dr. Jan
Ehrhardt. Kern des Anlageprozesses und aller Investmententscheidungen ist die
FMM-Methode (fundamental, monetär, markttechnisch), welche auf dem hauseigenen,
unabhängigen Research basiert. Der Anspruch der DJE Kapital AG ist, ihren
Kunden weitsichtige Kapitalmarktexpertise in allen Marktphasen zu bieten.