Expertenanalyse: „Es wird sehr schwere Turbulenzen auf den Finanzmärkten geben!"

Jede Woche veröffentlichen führende Vermögensverwalter weltweit zahlreiche fundierte Einschätzungen zu den Finanz- und Kapitalmarktmärkten. Um einen Überblick zu erhalten, fasst TiAM FundResearch regelmäßig die wichtigsten Aussagen für Sie kompakt zusammen.

29.11.2024 | 14:30 Uhr von «Peter Gewalt»

Diese Woche standen insbesondere die sich zuspitzende Haushaltskrise in Frankreich und ihre gefährlichen Folgen für die Finanzmärkte im Mittelpunkt der Expertenkommentare.

Thorsten Weinelt, Chief Investment Officer Commerzbank, meint zum Etatstreit:
Die Risikoaufschläge französischer Staatsanleihen gegenüber Bundesanleihen sind wieder deutlich angestiegen und haben den höchsten Stand seit der Euro-Schuldenkrise 2012 erreicht. Im Laufzeitenbereich von 10 Jahren stiegen sie mittlerweile auf 86 Basispunkte an. Grund ist die Sorge, dass die französische Regierung ihren Haushalt nicht durchs Parlament bekommt. Sehr wahrscheinlich ist sogar ein Misstrauensvotum gegen Premierminister Barnier. Damit wären die Pläne für Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen gefährdet. Der Markt sorgt sich um ausufernde Staatsdefizite. Die Spreads in Frankreich liegen seit dem Sommer über den von spanischen Staatsanleihen. Bei einem Zusammenbruch der Regierung könnten die Spreads weiter ansteigen.

Finanzexperte Folker Hellmeyer, ehemaliger Chefvolkswirt der Bremer Landesbank, kommentiert:

„Der Risikoaufschlag, den Anleger für den Kauf französischer Staatsanleihen im Vergleich zu deutschen Bundespapieren verlangen, kletterte am Mittwoch auf 0 89 den höchsten Stand seit 2012 Der französische Leitindex CAC 40 sank um 0,9 Prozent

Grund für die Unruhe am Finanzmarkt ist der Etatstreit. Marine Le Pen vom Rassemblement National droht im Ringen um einen Haushalt mit einem Misstrauensvotum gegen die Regierung von Ministerpräsident Barnier. Dieser warnte im Fernsehen, dass Frankreich bei einem Sturz seiner Regierung in finanzielle Turbulenzen geraten könnte. O Ton :„Es wird einen großen Sturm und sehr schwere Turbulenzen auf den Finanzmärkten geben!"

Die französischen Staatsfinanzen drohen ohne Gegenmaßnahmen weiter außer Kontrolle zu geraten. Der Haushaltsentwurf für 2025 sieht durch Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen insgesamt Einsparungen von 60 Milliarden Euro vor Ziel ist es, die Neuverschuldung von mehr als 6 Prozent des BIP 5 Prozent zu verringern. Der Senat beginnt am Montag mit der Prüfung des Haushaltsentwurfs

Kommentar: Die Situation innerhalb Kontinentaleuropas spitzt sich immer weiter zu. Frankreich schwächelt haushaltstechnisch seit langer Zeit. Aber auch in Deutschland wird für das kommende Jahr eine Haushaltslücke in Höhe von rund 60 Milliarden Euro diskutiert. Der solitäre Blick auf die öffentlichen Haushalte ist jedoch nicht zielführend. Die Staatseinnahmen werden durch die Wirtschaft generiert (Die Erosion des Kapitalstocks (Summe aller Unternehmen, die die Einkommen für Staat und private Haushalte generieren), allen voran in Deutschland impliziert, dass diese Haushaltslücken immer stärker Ausdruck einer strukturellen Krise sind.

Der massive Reformmangel, die Negation der staatlichen Aufgabe, konkurrenzfähige Rahmen für die Wirtschaft zu generieren, die starke Loyalität für Drittländer, weniger für den eigenen Souverän unterminieren die Grundlagen, auf denen Erfolg generiert werden kann.“

Alex Rohner, Fixed Income Strategist, J. Safra Sarasin, analysiert die Schuldenprobleme Frankreichs:

Barniers Haushaltsvorschlag besteht im Wesentlichen aus Ausgabenkürzungen in Höhe von 40 Milliarden Euro in allen Ministerien und „außergewöhnlichen und vorübergehenden Steuererhöhungen“ im Wert von 20 Milliarden Euro. Die allgemeine Haushaltsanpassung würde das Haushaltsdefizit von mehr als 6 Prozent in diesem Jahr auf etwa 5 Prozent im Jahr 2025 senken, aber für den Zeitraum 2024–2028 zu Defiziten von deutlich über 3 Prozent führen (Abbildung 1). Die geplanten Stellenkürzungen im Bildungssektor, die Verzögerung der Inflationsanpassung für Renten und die Einstellung der Erstattung bestimmter Medikamente für Patienten sind die umstrittensten Punkte. Die Steuererhöhungen für Privatpersonen sind zeitlich begrenzt und betreffen hauptsächlich Personen mit hohem Einkommen. Die geplante Erhöhung der Stromsteuer, die Marine Le Pen besonders herausgestellt hat, wurde bereits als Zugeständnis an die RN gestrichen. Auf Unternehmensseite werden mehr als 400 der größten Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als 1 Milliarde Euro einer Körperschaftssteuer von 20 Prozent unterliegen, die nach 2025 gesenkt wird.

Abbildung 1 und Abbildung 2:

Der aktuelle Haushalt ist ein Versuch, die Quadratur des Kreises zu erreichen, da die Regierung auf die Unterstützung der extremen Rechten oder Linken angewiesen ist. Der Haushaltsentwurf war daher nicht sehr ehrgeizig und wahrscheinlich von Anfang an zu optimistisch in seinen Annahmen. Aber selbst so wird er wahrscheinlich nicht ohne weitere Verwässerung unter der derzeitigen parlamentarischen Konstellation durchkommen. Im schlimmsten Fall könnte die derzeitige Regierung bereits nächste Woche stürzen, ohne dass eine Einigung über einen neuen Haushalt erzielt wird. In diesem Fall würde die derzeitige Regierung sofort zu einer Übergangsregierung reduziert werden und nur noch in der Lage sein, das Tagesgeschäft zu führen. Daher würde wahrscheinlich eine längere Zeit der Unsicherheit folgen, bevor Neuwahlen angesetzt werden können (frühestens im Juni 2025). In diesem Zeitraum würde wahrscheinlich keine sinnvolle Gesetzgebung und damit keine fiskalische Anpassung stattfinden. Dies wäre das schlimmste Szenario für französische Vermögenswerte und würde wahrscheinlich zu einem deutlichen Anstieg ihrer Risikoprämien führen.

Diese Unsicherheit spiegelt sich bereits in steigenden Risikoprämien für französische Vermögenswerte, insbesondere für französische Staatsanleihen, wider. Der Spread von 10-jährigen französischen OATs zu Deutschland hat sich auf 85 Basispunkte erhöht, obwohl er angesichts der hohen Schuldenquote Frankreichs im Verhältnis zum BIP immer noch nicht sehr großzügig erscheint (Abbildungen 2, 3). Ohne sichtbare Bemühungen zur Konsolidierung der Staatsfinanzen würde die Schuldenquote im Verhältnis zum BIP noch stärker vom Durchschnitt des Euroraums abweichen (Abbildung 4). Daher ist es unwahrscheinlich, dass der Druck auf französische Staatsanleihen nachlässt, was das Risiko eines weiteren Anstiegs der relativen Kreditkosten birgt. Es ist unwahrscheinlich, dass die EZB Unterstützung bietet, falls die Spreads französischer Anleihen weiter steigen. Die EZB verfügt zwar über politische Instrumente, um in die Anleihemärkte einzugreifen, doch es wären ernsthafte Anstrengungen erforderlich, um die EU-Haushaltsregeln einzuhalten.

Das schlimmste Ergebnis eines Regierungssturzes kann noch vermieden werden. Die RN könnte die Regierung am Ende doch noch unterstützen: (1) In ihren Kommentaren nach dem ersten Treffen mit Barnier erwähnte Marine Le Pen andere Bereiche, in denen sie der Regierung Zugeständnisse abringen will, nämlich das bevorstehende Einwanderungsgesetz und die Wahlreform. Um diese Zugeständnisse zu erhalten, muss die derzeitige Regierung im Amt bleiben. (2) Es gibt noch Verhandlungsspielraum bei den Details des Staatshaushalts und des Sozialversicherungshaushalts, um sie für die RN akzeptabler zu machen. Während die geplante Erhöhung der Stromsteuer nun vom Tisch ist, laufen die Verhandlungen über die Verschiebung der Inflationsanpassung für Renten, die Erstattung bestimmter Medikamente und einen Vorschlag zur Senkung der Körperschaftssteuer.

Allerdings wird es sehr schwierig sein, die notwendige Haushaltsanpassung und zukunftsorientierte Strukturreformen mit der derzeitigen Zusammensetzung des Parlaments durchzusetzen. Selbst wenn die derzeitige Regierung überlebt, könnte sich der OAT-Bund-Spread nicht wesentlich verringern, da die Regierung von Natur aus instabil bleiben wird und die Eventrisiken hoch sein werden. Sollte die Regierung stürzen, könnte sich der Spread französischer Anleihen deutlich erhöhen. Daher bieten französische OATs derzeit keinen überzeugenden Wert.

Dr. Harald Preißler, Kapitalmarktstratege des Asset Managers BANTLEON, schätzt die Situation wie folgt ein:
„Von Aufbruchsstimmung in der Eurozone ist nach wie vor nicht viel zusehen. Vielmehr hat die Verunsicherung, die durch die jüngsten politischen Ereignisse zusätzlich geschürt wurde (Trump-Wahl, Ampel-Aus, Eskalation Ukraine-Krieg), weiter um sich gegriffen. Ganz besonders davon betroffen ist Frankreich. Hier kommt die hausgemachte Regierungskrise hinzu, die sich aktuell in einer Hängepartie um den Haushaltsplan für das kommende Jahr niederschlägt. Eine Lösung der politischen Pattsituation ist dabei nicht in Sicht. Die französischen Unternehmen berichten darüber hinaus über eine breit angelegte Nachfrageschwäche, die speziell von der Autoindustrie und der Bauwirtschaft ausginge. Sorgt macht den Firmen auch die zunehmende Zahl an Konkursen.

In Anbetracht dessen verwundert es nicht, dass der Auftragseingang der Industrie auf den tiefsten Stand seit der Pandemie abgesackt ist (vgl. nachfolgende linke Abbildung). Parallel dazu sind auch die Geschäftserwartungen im Servicesektor so niedrig wie seit Jahren nicht mehr (vgl. nachfolgende rechte Abbildung). Die Olympischen Spiele haben somit nur ein optimistisches Strohfeuer entfacht, von dem nach wenigen Wochen nichts mehr übriggeblieben ist. Allerdings ist auch darauf hinzuweisen, dass die Einkaufsmanagerumfrage die Situation in Frankreich notorisch unterzeichnet. In den Geschäftsklimaumfragen (von Banque de France und des Statistikamts) gab es zuletzt einige Anzeichen der Stabilisierung.

François Rimeu, Senior Strategist,Crédit Mutuel Asset Management, rät zur Vorsicht bei Investitionen in französische Vermögenswerte:

[….]

Seit Bekanntgabe der Auflösung der Nationalversammlung im vergangenen Juni haben sich französische Assets deutlich schlechter entwickelt als ihre europäischen Pendants:

  • Vom 10. Juni bis zum 26. November sank der CAC 40 um 8,3 Prozent, während der Stoxx 600 nur um 2,3 Prozent zurückging.
  • Im gleichen Zeitraum standen auch die französischen Staatsanleihen unter Druck:

[…]

Die Frage lautet also: Was sind mögliche Szenarien und welche potenziellen Auswirkungen gibt es?

1. Wir sehen zwei mögliche Szenarien mit vielfältigen Auswirkungen: Entweder reichen die Haushaltsanstrengungen der RN nicht, und der Misstrauensantrag wird angenommen,

2. Oder die Barnier-Regierung verabschiedet über Artikel 49.3 der Verfassung einen mehr oder weniger geänderten Haushalt und übersteht einen möglichen Misstrauensantrag (wobei sich die RN zweifellos der Stimme enthalten würde).

Bevor wir uns mit diesen Szenarien und den möglichen Folgen befassen, sollten wir uns einige französische Daten ansehen:

  • Verschuldung zum BIP: 112,7 Prozent
  • Geschätztes Haushaltsdefizit 2024: -6,2 Prozent
  • Geschätztes Primärdefizit 2024: -4 Prozent (neben der Slowakei der schlechteste Wert in der Eurozone; zum Vergleich: Italien liegt bei -0,4 Prozent)
  • Voraussichtliches Haushaltswachstum 2025 (aus dem Entwurf des Haushaltsgesetzes): +1,1Prozent

Szenario 1:

Aktuell gehen wir von einer 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit aus, dass die Barnier-Regierung scheitern könnte. Die Investmentbanken scheinen mit einer durchschnittlichen Wahrscheinlichkeit von etwa 30 Prozent etwas optimistischer zu sein. In diesem Szenario ist es wahrscheinlich, dass der OAT-Spread gegenüber 10-jährigen Bundesanleihen zunächst auf 95-100 Basispunkte ansteigt und dass französische Aktien um 2 bis 3 Prozent schlechter abschneiden als andere europäische Indizes.

[….]

Es könnten unsichere Zeiten bevorstehen, die vermutlich negative Auswirkungen auf die Wachstumsaussichten haben und eine Stabilisierung vor den Wahlen im Juli kaum erwarten lassen. In dieser Situation würden die Rating-Agenturen logischerweise hart mit Frankreich ins Gericht gehen und höchstwahrscheinlich sein Rating herabstufen.

Szenario 2:

Im zweiten Szenario, bei dem die Barnier-Regierung einen Misstrauensantrag überleben würde, wäre ein allgemeines Gefühl der Erleichterung und somit eine Erholung der französischen Vermögenswerte vorprogrammiert. Eine Rückkehr zu etwa 70 Basispunkten beim Spread der OAT gegenüber der 10-jährigen Bundesanleihe scheint möglich, ebenso wie eine leichte Outperformance französischer Aktien von etwa 1-2 Prozent. Diese Erholung dürfte jedoch nur von relativ kurzer Dauer sein:

  • Erstens: Das Überleben der Barnier-Regierung wäre an die Rücknahme der Ausgabenkürzungen geknüpft, was automatisch zu einer Erhöhung des für 2025 geschätzten Haushaltsdefizits führen würde (das derzeit bestenfalls bei -5 Prozent liegt);
  • Zweitens: Diese Defizitberechnungen beruhen auf der Annahme einer Wachstumsrate von 1,1 Prozent für 2025, was unserer Meinung nach optimistisch ist. Leider erscheint uns ein Wachstum von etwa 0,6-0,7 Prozent realistischer.
  • Und drittens: Die bevorstehenden Wahlen im Juli 2025 werden die Anleger und deren Absicht, verstärkt in französische Vermögenswerte zu investieren, wahrscheinlich beeinträchtigen.

Selbst wenn die Rating-Agenturen Frankreich Zeit geben würden, würde dies den Verlust des AA-Ratings wahrscheinlich nur auf später verschieben, wenn aufgrund zu optimistischer Wachstumsziele die Defizitziele nicht erreicht werden.

Wir bleiben daher gegenüber französischen Assets aktuell sehr zurückhaltend. Die Herausforderungen, denen sich die französische Wirtschaft gegenübersieht, sind schwindelerregend: Überalterung der Bevölkerung, Verschuldung, mangelnde Produktivität usw., ganz zu schweigen davon, dass diese Probleme in den meisten europäischen Volkswirtschaften bestehen und die geopolitische Lage gelinde gesagt instabil ist.

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