Expertenausblick: „Gelegenheit für selektive Käufe“

Jede Woche veröffentlichen führende Vermögensverwalter weltweit zahlreiche fundierte Einschätzungen zu den Finanz- und Kapitalmarktmärkten. Um einen Überblick zu erhalten, fasst TiAM FundResearch regelmäßig die wichtigsten Aussagen für Sie kompakt zusammen.

18.10.2024 | 14:30 Uhr von «Peter Gewalt»

Diese Woche analysieren die Finanzmarktexperten insbesondere den Zinsentscheid der EZB und die Aussichten für verschiedene Anlageklassen nach den Wahlen in den USA.


Ulrike Kastens, Volkwirtin Europa, DWS, sieht noch Handlungsspielraum für die EZB:
„Die Europäische Zentralbank (EZB) hat heute (17.10.2024 ; Anmerk. der Redaktion) den Einlagensatz um 25 Basispunkte auf 3,25 Prozent gesenkt. Nach Meinung der EZB setzt sich der Disinflationsprozess weiter fort. Gleichzeitig betonte EZB-Präsidentin Lagarde, dass sich die Konjunkturerwartungen weiter eintrüben. Insofern war es richtig, heute zu handeln. Wie erwartet gab es keine Änderungen in der geldpolitischen Kommunikation: Es bleibt bei der Datenabhängigkeit. Entscheidungen werden von Sitzung zu Sitzung gefällt, ohne jegliche Vorfestlegung auf einen Zinspfad. Letzteres stellte EZB-Präsidentin Lagarde in der Pressekonferenz nochmals klar.

Obwohl keine neuen Projektionen zur Verfügung standen, ist unser Eindruck, dass mehr Zuversicht hinsichtlich des Erreichens des Inflationsziels im Laufe des Jahres 2025 besteht. Auch die gesamte Beurteilung der konjunkturellen Situation fiel nochmals schwächer als im September aus. Die Risiken für die Konjunktur sind zudem weiter abwärtsgerichtet, eine Rezession wird aber nicht erwartet. Hinzu kommt der Hinweis auf restriktive Finanzierungsbedingungen. In realer Rechnung sind die Leitzinsen heute sogar restriktiver als im September 2023, zum Zeitpunkt der letzten Zinsanhebung.

Obwohl die EZB die Datenabhängigkeit weiter betont, ist unserer Meinung nach der Weg frei für weitere deutliche Zinssenkungen in den kommenden Monaten, zumal die Diskussion um die Schwäche der Konjunktur bis zur nächsten EZB-Sitzung im Dezember weiter an Fahrt gewinnen wird. Für uns ist der nächste Zinsschritt im Dezember 2024 gesetzt.“

Quelle: Trading Economics

Konstantin Veit, Portfolio-Manager und Leiter der European Rates- und Short-Term Desks, PIMCO, meint zum Zinsschritt der EZB:
„Wie erwartet hat die EZB den Zinssatz für die Einlagefazilität um 25 Basispunkte auf 3,25 Prozent gesenkt, ohne sich dabei auf einen festen weiteren Zinspfad festzulegen.“

„Das makroökonomische Umfeld ist etwas schwächer als zuvor erwartet und Risikomanagement scheint eine wichtige Rolle in den Überlegungen der EZB gespielt zu haben.“

„Aufwärtsgerichtete Rückschläge bei der Inflationsentwicklung könnten durch ein langsameres Tempo bei den Zinssenkungen aufgefangen werden. Der heutige Zinsschritt bietet hingegen zusätzlichen Schutz vor Abwärtsrisiken.“

„Vor dem Hintergrund der nach wie vor hohen Binneninflation – hauptsächlich getrieben vom anhaltenden Preisdruck im Dienstleistungssektor – wird die Geldpolitik vorerst restriktiv bleiben.“

„Die Datenlage in den kommenden Monaten wird das Tempo der weiteren Lockerung bestimmen.“

„Wir erwarten, dass sich der EZB-Rat im nächsten Jahr mit dem angemessenen neutralen Zinsniveau beschäftigen wird, sobald der Leitzins unter 3 Prozent fällt.“

„Wir gehen davon aus, dass die EZB die Zinsen im Dezember erneut senken wird. Ein Endzinssatz von etwa 1,85 Prozent für die zweite Jahreshälfte 2025 erscheint uns realistisch.“

Quelle: Trading Economics

Dr. Harald Preißler, Kapitalmarktstratege des Asset Managers BANTLEON, schätzt die geldpolitische Situation wie folgt ein:
„Bei drei ist nicht Schluss: Angesichts des zuversichtlichen Inflationsausblicks und der schwachen Wachstumsperformance kann die EZB gar nicht anders, als den Restriktionsgrad der Geldpolitik weiter zu lockern. Selbst anerkannte Falken im EZB-Rat, wie die deutschen Vertreter Isabel Schnabel und Joachim Nagel, haben sich zuletzt deutlich für monetäre Lockerungen ausgesprochen – die sonst üblichen Flügelkämpfe der konkurrierenden geldpolitischen Denkschulen spielen somit gegenwärtig keine Rolle.

In den nächsten Monaten könnte der Handlungsdruck auf die Währungshüter sogar noch zunehmen. Dies gilt insbesondere im Falle eines Wahltriumphs von Donald Trump am 5. November. Dann müsste die ohnehin darniederliegende Industrie der Eurozone nicht nur die weltweite Nachfrageschwäche verkraften, sondern darüber hinaus auch noch neue Handelsbeschränkungen verdauen. Dadurch ergeben sich ernste Konsequenzen für das weltweite Inflations- und Konjunkturklima sowie die Devisenmärkte, was vor allem den europäischen Währungshütern ein beherztes Vorgehen abverlangen würde.

Wir rechnen in unserem Basisszenario weiterhin damit, dass die EZB die Leitzinsen bis ins Frühjahr 2025 hinein zügig senken und auf ein neutrales Niveau von ca. 2,25 Prozent zurückführen wird. Je nach Entwicklung der geopolitischen Gemengelage könnte der Senkungszyklus auch bis in den Sommer 2025 anhalten und entsprechend umfangreicher ausfallen.
Allerdings kehren sich die Vorzeichen im Falle eines Harris-Sieges und einer erfolgreichen Reflationierung der chinesischen Wirtschaft um, dann könnte der Zinssenkungszyklus bereits bei knapp 2,75 Prozent zu Ende sein, deutlich früher als gegenwärtig eingepreist.

Damit gilt für die Geldpolitik mehr denn je: Flexibilität ist Trumpf.“

Quelle: Trading Economics

Die Aussichten für den Aktienmarkt haben sich zuletzt etwas verbessert, meint Oliver Schmidt, Chief Investment Officer von Metzler Asset Management.  „Die Perspektive sinkender US-Leitzinsen und einer sanften Landung der US-Wirtschaft sollte die Aktienmärkte nach den jüngsten Schwankungen grundsätzlich stützen. Im Vergleich zum ersten Halbjahr ist die Anzahl der Aktien mit neuen Höchstständen gestiegen. Das werten wir als robustes Zeichen für die Aktienmärkte, solange das wirtschaftliche Umfeld nicht in eine Rezession abdriftet.“ Angesichts dessen hat Metzler Asset Management Aktien von einem moderaten Untergewicht auf eine neutrale Position heraufgestuft.

Positiv für Aktien stimmt die Experten, dass die von ihnen erwartete Bewertungskorrektur hochkapitalisierter Einzelwerte inzwischen eingetreten ist. Gleichzeitig habe der breite Markt zuletzt relative Stärke gezeigt. „Im Zuge dieser gesunden Marktrotation favorisieren wir aktuell zum Beispiel Sektoren, die einen höheren Fremdkapitalbedarf aufweisen“, sagt Schmidt. Denn diese Sektoren dürften von den Zinssenkungen besonders profitieren. „Dazu zählen viele zyklische Unternehmen, die wir derzeit – insbesondere im Vergleich zu defensiven Sektoren – als attraktiv bewertet einstufen.“

Zyklische Aktien hätten zuletzt eine deutliche Korrektur erfahren, besonders im Vergleich zu defensiven Titeln. Dies sei in erster Linie auf die sich abschwächenden makroökonomischen Indikatoren zurückzuführen. Ein weiterer Grund dafür ist Metzler Asset Management zufolge die sehr verhaltene Konjunkturentwicklung in China, die vor allem für die zyklischen Sektoren in Europa relevant ist. „Wenn es den Zentralbanken gelingt, eine sanfte Landung der Wirtschaft herbeizuführen, wäre diese Schwächephase eine Gelegenheit für selektive Käufe“, sagt Schmidt. „Sektoren wie die Bauwirtschaft und bestimmte Industriesegmente könnten vor einer Erholung stehen und somit antizyklische Einstiegsmöglichkeiten darstellen.“

Quelle: Trading Economics

Paolo Bernardelli, Head of Fixed Income and Forex bei Eurizon Capital SG, analysiert die Wachstumsaussichten der USA und der Eurozone:
„In den USA und im Euroraum haben die Zentralbanken den Weg der Zinssenkungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten und mit unterschiedlichen Methoden eingeschlagen, eben weil ihr makroökonomisches Umfeld zwar Ähnlichkeiten, aber auch einzigartige Merkmale aufweist. In beiden Gebieten ist die Inflation in Richtung der Zielwerte gesunken, und die Wirtschaft dürfte im dritten Quartal 2024 weiter wachsen, wenn auch mit unterschiedlichem Tempo. Die Prognosen gehen davon aus, dass sich die US-Wirtschaft zwar abschwächt, aber stärker wächst als die Eurozone, die unter der Schwäche des verarbeitenden Gewerbes leidet. Konkret gehen die von Eurizon verwendeten Prognosemodelle für die USA von einem Wachstum von über 2 Prozent aus, während für den Euroraum ein Wachstum von knapp unter 1 Prozent erwartet wird.

Mit Blick auf die Zukunft dürfte der Rückgang der Inflation in Europa die Erholung der Kaufkraft der Verbraucher unterstützen und sich positiv auf den Industriesektor auswirken, insbesondere auf die energieintensiven Branchen, die von den niedrigeren Energiekosten profitieren würden. Die stärkste Unterstützung für die europäische Wirtschaft dürfte jedoch von der EZB kommen, die angesichts eines zunehmend disinflationären Umfelds bei der Umsetzung eines geldpolitischen Lockerungszyklus selbstbewusster auftreten könnte.

Aussichten und Chancen auf dem europäischen Staatsanleihenmarkt

Gemäß Basisszenario bietet der europäische Staatsanleihenmarkt weiterhin attraktive Renditechancen. Darüber hinaus ermöglicht die Vielfalt der Emittenten, die diesen Markt kennzeichnet, eine effiziente Diversifizierung der Anlagen.

Derzeit erscheint die Kernduration, insbesondere entlang der deutschen Renditekurve, attraktiv, da die impliziten Renditen die jüngste Verlangsamung der Inflation nicht vollständig widerspiegeln. In gewisser Weise scheint die deutsche Zinskurve der der US-Staatsanleihen über den Sommer hinterhergehinkt zu sein, und angesichts des Basisszenarios weiterer Zinssenkungen durch die EZB stellt sie eine solide Anlagemöglichkeit dar.

Europäische Staatsanleihen bieten auch interessante Möglichkeiten zur Risikodiversifikation. So kann beispielsweise das lange Ende der deutschen Zinskurve als Absicherung gegen die mit einem Rezessionsszenario verbundenen Tail-Risiken dienen. Andererseits bietet eine Positionierung in italienischen inflationsgebundenen Anleihen Schutz vor dem Risiko eines plötzlichen Wiederauflebens des Inflationsdrucks.

Die Attraktivität dieser Anlagen zeigt sich auch in den hohen Zuflüssen in europäische festverzinsliche Wertpapiere in den letzten Monaten. Diese Zuflüsse wurden durch die hohen Renditen europäischer Anleihen und die Erwartung von Zinssenkungen im Falle einer allmählichen Verschlechterung der wirtschaftlichen Bedingungen in der Region begünstigt. Dieser positive Trend könnte sich fortsetzen, da es derzeit keine Anzeichen für eine kurzfristige Änderung der Faktoren gibt, die ihn bisher gestützt haben."

Eine nachlassende Wachstumsdynamik in den USA, weltweit sinkende Inflationsraten und eine uneinheitliche Entwicklung der Staaten der Europäischen Union ergeben zusammen ein sehr gemischtes Bild auf die Zukunft. Dieser Ansicht ist Desiree Sauer, Investmentstrategin bei Lazard Asset Management. Sie setzt auf aktives Rentenmanagement und erwartet ein Comeback zuletzt verschmähter Aktiensegmente:
Zu den aktuellen Risiken gehören die anstehenden Wahlen, insbesondere in den USA. Sorge bereiten Desiree Sauer außerdem der zunehmende Protektionismus, ein möglicher weiterer Rechtsruck und ein potentielles Wiederaufflammen der Inflation. „Dennoch bleibt unser Ausblick für die Anleihemärkte, sowohl für Investment- als auch für Hochzinsanleihen, positiv. Unternehmensanleihen gehören zu den Nutznießern der stabilen und teilweise aufhellenden Wirtschaftsaussichten. Wir sind der Ansicht, dass Euro-Hochzinsanleihen im Durchschnitt immer noch etwas zu teuer gehandelt werden, während ausgewählte Emittenten und Anleihen weiterhin ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis bieten.“

Aktives Management ist aus Sicht der Expertin als Schlüssel zum Erfolg. Sie hält nordische Anleihen für eine interessante Nische, da diese Anleihen auf der Grundlage starker Fundamentaldaten und höherer Spreads ein beträchtliches Performancepotenzial böten. „Insgesamt könnten festverzinsliche Anlagen durch weitere Zinssenkungen Auftrieb erhalten. Es besteht jedoch weiterhin das Risiko, dass die Inflation zurückkehrt, was an den Märkten zu einigen Turbulenzen führen könnte. Das ist jedoch nicht unser Basisszenario“, hält Sauer fest.

Rotation der Aktiensegmente?

Auch für die Aktienmärkte ist Desiree Sauer positiv gestimmt. Sie rechnet jedoch aufgrund der bevorstehenden US-Wahl in den nächsten Monaten mit einer erhöhten Volatilität an den Märkten. Bei den Favoriten unter den Aktientiteln könne es zu einem Wechsel kommen: „Unserer Meinung nach werden Aktiensegmente, die in den letzten Jahren in den Hintergrund geraten sind, wieder mehr Anlegerinteresse wecken. Dazu gehören beispielsweise Small- und Mid-Cap-Aktien, die von der Aussicht auf weitere Zinssenkungen und eine stabile Konjunktur profitieren könnten. Dies würde wiederum die Performance von Wandelanleihen beflügeln, deren Emittenten hauptsächlich aus dem Mid-Cap-Growth-Bereich stammen“, argumentiert die Expertin.

Auch Schwellenländeraktien könnten Nutznießer des derzeitigen Umfelds sein. Diese lägen nach wie vor in ihren Bewertungen weit zurück, obwohl sich das makroökonomische Umfeld verbessert habe. Doch die Zinssenkungen der US-Notenbank Federal Reserve und ein potentiell schwächerer Dollar könnten eine Phase einläuten, in der Schwellenländeraktien wieder outperformen könnten."

Quelle: Trading Economics

Phil Orlando, Chief Market Strategist bei Federated Hermes, wirft einen Blick auf die US-Wahlen:
„Jahre mit Präsidentschaftswahlen sind oft durch eine erhebliche Marktvolatilität und Unsicherheit im Vorfeld gekennzeichnet. Zwei Schlüsselindikatoren stehen deshalb derzeit im Mittelpunkt unserer Beobachtungen.
Der erste ist die Wirtschaft. Historische Daten zeigen, dass bei starkem Wirtschaftswachstum vor der Wahl das Weiße Haus in 100 Prozent der Fälle bei der amtierenden Partei verbleibt. Umgekehrt gewinnt die herausfordernde Partei in 100 Prozent der Fälle die Wahl, wenn sich die Wirtschaft abkühlt oder in einer Rezession befindet. Derzeit befinden wir uns nicht in einer Rezession und es ist unwahrscheinlich, dass das National Bureau of Economic Research vor dem Wahltag eine Rezession meldet. Daher achten wir sehr genau auf Indikatoren wie die Sahm-Regel, führende Wirtschaftsindikatoren, den ISM-Index für das verarbeitende Gewerbe und die inverse Zinskurve, um das Wirtschaftswachstum zu bewerten.

Der zweite entscheidende Indikator ist der Aktienmarkt. Wenn der S&P 500 in den letzten 100 Jahren in den drei Monaten vor der Wahl (August, September, Oktober) im Durchschnitt um 5,5 Prozent im Plus lag, gewann die amtierende Partei in 83 Prozent der Fälle die Wahl. War der Aktienmarkt in diesen Monaten jedoch im Minus – im Durchschnitt um vier Prozent –, gewann die herausfordernde Partei ebenfalls in 83 Prozent der Fälle. Wir werden die Marktvolatilität in den kommenden Monaten genau beobachten, da die Stimmung der Anleger eine wesentliche Rolle für die Kursentwicklung spielen wird.

Nach der Wahl, wenn die damit verbundene Unsicherheit nachlässt, erwarten wir eine kräftige Jahresendrallye, die den Aktienmarkt auf neue Höchststände treiben könnte."

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