FRweekly-briefing: Griechenland am Abgrund

Immer zu Wochenbeginn informiert FundResearch über aktuelle Markteinschätzungen und –ausblicke.

29.06.2015 | 11:07 Uhr von «Patrick Daum»

Wie gewonnen, so zerronnen: Mit der Hoffnung auf eine Einigung im griechischen Schuldenstreit legte der Deutsche Aktienindex (DAX) am vergangenen Freitag rund 3,5 Prozent zu. Der heutige Start in die Handelswoche fiel ernüchternd aus: um 4,3 Prozent gab das Leitbarometer nach – rund 500 Punkte. Ähnlich sah es in Japan aus: Der Nikkei verlor zu Handelsbeginn zeitweise über 2,2 Prozent.

Das vergangene Wochenende hatte für Ernüchterung am Verhandlungstisch zwischen EU-Kommission, EZB und IWF auf der einen sowie der griechischen Regierung auf der anderen Seite gesorgt. Nachdem Athens Regierungschef Alexis Tsipras ankündigte, sein Volk über den Verbleib des Landes im Euro befragen zu wollen, entschied die EZB, die Notkredite für griechische Banken einzufrieren. Das Problem: Griechenland hat bis einschließlich morgen Zeit, 1,5 Milliarden Euro an den IWF zu zahlen – doch dafür fehlt das Geld. Gestern Abend verkündete Tsipras schließlich, dass vom heutigen Montag an die griechischen Banken schließen und Kapitalverkehrskontrollen eingeführt werden. Bis zum 6. Juli sollen die Geldhäuser geschlossen bleiben. Zwischen 60 und 100 Euro sollen die Bürger täglich pro Bankkarte am Geldautomaten erhalten.

Bei manch einem werden Erinnerungen an Zypern wach: Der Inselstaat musste vor zwei Jahren Kapitalverkehrskontrollen einführen, die bis heute gelten, jedoch gelockert sind. Stark betroffen ist die griechische Wirtschaft: Überweisungen auf ausländische Konten müssen von einer Kommission des Finanzministeriums genehmigt werden. Um das Geld im Land zu halten, werden nur solche Überweisungen erlaubt, die „ein öffentliches oder soziales Interesse schützen“. Dazu zählen beispielsweise Medikamentenimporte. 

Robert Halver: „Kursverluste ja, Crash nein“

Und jetzt? Gibt es jetzt den großen Crash? Dass der DAX mit hohen Verlusten in die Handelswoche starten würde, war für Tobias Basse, Aktienstratege der NordLB, schon gestern abzusehen. „Alles Weitere hängt dann von der Nachrichtenlage ab“, sagt er. Die griechische Börse – die heute ebenfalls geschlossen bleibt – werde noch stärkere Verluste hinnehmen müssen. Das Scheitern der Gespräche sei überraschend gekommen. „Mit dieser Entwicklung hatte der Markt nicht gerechnet“, meint Basse. „Sie erwischte die Anleger auf dem falschen Fuß.“ Grund zur Panik gebe es aber nicht. „Die Fakten sind schon länger bekannt“, sagt Daniel Saurenz, Marktexperte von Feingold Research. „Griechenland bleibt pleite und es geht nun darum, ob das Ende mit Schrecken kommt.“

„Es wird Kursverluste geben, aber keinen Crash“, meint auch Robert Halver, Börsenexperte der Baader Bank. „Beim DAX ist nach ersten Rückschlägen am Montag im Tagesverlauf sogar schon wieder eine Gegenbewegung möglich.“ Anders als bei der Lehman-Pleite im Herbst 2008 seien die Marktteilnehmer dieses Mal vorbereitet. Auch Christoph Geyer, technischer Analyst der Commerzbank, erwartet Rückschläge im DAX: „Ein Griechenland-Schock wird für den DAX unvermeidbar sein.“ Es stelle sich nur die Frage, wie heftig dieser ausfalle. Charttechnisch betrachtet könne der Leitindex bis auf 10.600 Zähler fallen, ohne dass ein Abwärtstrend gebrochen werde. „Die Woche dürfte turbulent starten, eine technische Änderung ist damit bislang aber nicht verbunden.“ Erholungspotenzial sei allemal vorhanden.

Finanzminister: „Integrität und Stabilität des Euro wahren“

Die Griechen selbst rechnen derweil schon wieder mit einer Fortzahlung der Notkredite durch die EZB: „Wir erwarten, dass die Finanzierung der griechischen Banken über Ela-Notkredite nach Dienstag normal fortgesetzt wird“, sagte die stellvertretende Finanzministerin Nadia Valavani am Sonntag im griechischen Fernsehen. „Die griechischen Banken werden in der neuen Woche ihren normalen Geschäftsbetrieb fortsetzen, wenn sie Notkredite erhalten, es ruhig bleibt und die Griechen nicht versuchen, alle ihre Ersparnisse abzuheben.“ Eine recht optimistische Haltung. Die Finanzminister der Euro-Staaten bereiten sich indes auf Erschütterungen für die Gemeinschaftswährung und die Märkte vor: „Die Mitgliedstaaten der Eurozone beabsichtigen, alle vorhandenen Instrumente zu nutzen, um die Integrität und Stabilität des Euro-Gebietes zu wahren“, heißt es in einer Erklärung. Und der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble betonte: „Unsere Entschlossenheit wird den Euro stabil halten.“ Gegenüber dem japanischen Yen verlor der Euro heute Morgen mehr als drei Prozent. Gegenüber dem US-Dollar konnte sich die Gemeinschaftswährung bei rund 1,10 US-Dollar stabilisieren. Am vergangenen Freitag kostete ein Euro noch 1,115 US-Dollar.

Norman Rudschuck, Analyst der NordLB, hält das Vorgehen der Institutionen für gerechtfertigt: „Angesichts der jüngsten ‚Spielchen‘ der griechischen Regierung (Referendum) bietet die härtere Gangart auch Chancen für die Wahrnehmung einer handlungsfähigeren Eurozone“, schreibt Rudschuck in einem aktuellen Kommentar. „Auf jeden Fall erwarten wir in den kommenden Tagen eine erhöhte Volatilität. Der Schwebezustand dürfte sich auch nach dem Referendum am kommenden Sonntag nicht sofort auflösen.“

(PD)

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