„Mike Tysons k.o. sagte niemand voraus“

Wie kann man das Risiko an den Kapitalmärkten kontrollieren? Viele versuchen es mit mathematischen Modellen. Die französische Fondsgesellschaft Comgest beschreitet einen anderen. Wie die Franzosen dies machen, besprachen wir mit Wolfgang Fickus, Mitglied des Investmentkomitees von Comgest

19.03.2021 | 07:15 Uhr von «Jörn Kränicke»

Herr Fickus, wie versuchen Sie bei Comgest das Risiko unter Kontrolle zu halten?

Wolfgang Fickus: Wir arbeiten nicht mit den üblichen Standard-Risikomodellen, denn sie passen nicht zu unserem konzentrierten bottom-up Ansatz. Es schlummern auch Risiken in diesen Modellen. Ich verdeutliche dies mit dem Schwergewicht Boxkampf zwischen Mike Tyson und James Douglas im Jahr 1991 in Tokio. Bis dahin hatte Tyson seine 37 vorherigen Boxkämpfe allesamt gewonnen. Das Risiko, dass er verliert, war mit dem Blick in die Vergangenheit äußerst gering. So wie niemand Tysons K.o. kommen sah, war es auch bei der Insolvenz von Lehman Brothers 2008. Das Problem der Risikomodelle liegt darin, dass sie in der Vergangenheit einen Leitfaden für die Zukunft suchen. Das ist jedoch gerade dann nicht der Fall, wenn es drauf ankommt nämlich beim 'Black Swan' Ereignis.

Was machen Sie nun konkret anders?

Wir als Stockpicker können natürlich Risiken wie Lehman oder die COVID-19 Pandemie nicht vorhersehen. Wir investieren in Unternehmen und nicht in Märkte. Wir konzentrieren uns auf die Fundamentaldaten und unternehmenspezifische Chancen und Risiken unserer Qualitätswachstumstitel. Dabei suchen wir nach Unternehmen, die über starke wirtschaftliche „Moats“ (ökonomische Burggräben) verfügen. Diese sind der wichtigste Faktor für ein stabiles Portfolio. Diese Moats schützen uns vor übermäßiger Volatilität und reduzieren nachweislich Drawdowns. Wichtig ist uns zum Beispiel auch die Visibilität des langfristigen Wachstums.

Wie können Sie das bei jungen Unternehmen prognostizieren?

Das prognostizierte Wachstum sollte nah am Realisierten liegen. Wir mögen eben keine Überraschungen, sondern bauen unsere Portfolios sehr risikoavers auf. Daher investieren wir auch nicht in IPOs, da dort die Unternehmenshistorie fehlt. Wir können nicht abschätzen, welche Qualität solche Unternehmen haben, ohne etwa das Management zu kennen. Uns ist ein Unternehmen lieber, dass Jahr für Jahr doppelstellig wächst als ein Unternehmen, das einen sehr volatilen Wachstumskurs aufweist. Wir nennen unsere zuverlässigsten Wachstumsunternehmen auch gerne 'Swiss Clocks'. Damit sollte klar sein, was hier gemeint ist. Der Zinseszins aus dem langfristigen und regelmäßigen Gewinnwachstum ist der Werttreiber für unsere Portfolios und hilft uns, Risiken zu kontrollieren. Daher sind auch unsere Portfolios viel robuster als die herkömmlichen Indizes etwa während der COVID-Krise.

Warum sind solche Titel so robust?

In der Krise zählt die Qualität mehr als das Wachstum in unserer Qualitätswachstumsgleichung. Wenn die Nachfrage schrumpft, können starke Unternehmen mit Preissetzungsmacht, Innovationskraft und Agilität hohe operative Margen im Vergleich zur Konkurrenz verteidigen. Dies stützt das Gewinnwachstum. Man hat etwa jüngst gesehen, dass Unternehmen wie L‘Oréal in Regionen wie Asien, die nicht so stark von der Krise getroffen waren, durch eine stärkere Onlinepräsenz stark zulegen konnten. Ein anderes Beispiel ist Inditex. Auch sie konnten die Ladenschließungen durch den Onlinehandel zum Teil kompensieren. Denn im Gegensatz zur Konkurrenz, haben diese Unternehmen es früh verstanden, die Digitalisierung von Shopping und Medien für sich zu nutzen.

Stichwort Asien: In China greift der Staat auch immer stärker in die Wirtschaft ein und hat etwa den Börsengang von Ant Financial verhindert. Sehen Sie als Investor dies kritisch?

Man darf in China natürlich nicht naiv agieren. Wir sind seit mehr als 25 Jahren in Hongkong und verstehen die lokalen Gegebenheiten. Ant Financial hat gezeigt, was passiert, wenn man sich gegenüber dem chinesischen Staat tölpelhaft benimmt. Jack Ma hat sich bei der Kritik an den chinesischen Staatsbanken im Ton vergriffen. Als Parteimitglied hätte er wissen müssen, was er sagen darf und was nicht. Chinesischer Kapitalismus ist nicht westlich, sondern hat sein eigenes, chinesisches Antlitz. Dort können wir unsere westlichen Maßstäbe nicht einfach eins zu eins übertragen.

Das bedeutet?

Das man dort einfach mit Dingen rechnen muss, die man in Europa nicht kennt und die dann auch im Verkauf von Unternehmen münden können. Es handelt sich oft um Probleme mit ESG Hintergrund. So haben wir etwa Anfang 2020 die Aktie von Hikvison verkauft. Das ist der größte Anbieter von Überwachungs- Hard- und Software. Bei Gesprächen mit der Firma mussten wir feststellen, dass sie Produkte für die Überwachung der muslimischen Minderheiten in Xinjiang lieferten. Wir haben beim Engagement mit Hikvision eine Deadline zum Ausstieg aus diesem Projekt gesetzt. Als die abgelaufen war haben wir verkauft. Egal wie gut ein Unternehmen ist, es gibt gewisse Grenzen, die wir nicht überschreiten wollen auf der Suche nach Rendite.

Welche anderen Probleme gibt es dort noch?

Der Staat ist der wichtige Aktionär in Shenzhen und Shanghai. Das kann zu Governance-Problemen führen. In Schwellenländern wie China wollen wir möglichst sicherstellen, dass die Unternehmensführung auch am langfristigen Erfolg interessiert ist, was durch Unternehmensbeteiligung und langfristige Inzentivierung am besten sichergestellt ist. Als Aktionäre sitzen die Top Manager dann in einem Boot mit uns als Minderheitsaktionären. Es gibt in China aber auch viele stark wachsende, gut aufgestellte und hoch profitable Firmen. Und unsere Aufgabe als Investor ist es, in solche Firmen langfristig zu investieren. Die Marktöffnung Chinas steht erst am Anfang. Die Rolle China's für ausländische Anleger wird im kommenden Jahrzehnt noch sehr stark wachsen. Das wird die Vermögensklasse globale Schwellenländer neu definieren.

Kein Anlagestil funktioniert immer. Wann stößt „Quality Growth“ an seine Grenzen?

In diesem Jahr könnte dies der Fall sein. In einer starken Erholungsphase der Wirtschaft laufen Zykliker, die wir natürlich nicht halten. Und derzeit ist so ein Markt. Die Rezession verlief im Zeitraffer und die Erholung tut dies auch. Die Underperformance in solchen Märkten hält in der Regel nicht mehr als sechs Monate an. Allerdings haben wir auch Reopening Nutznießer wie Amadeus IT, Heineken, Flughafen Tokio oder MTU Aero Engines in den Portfolios, um ein paar Wenige zu nennen. So haben wir den Grundstein gelegt, um auch von den weltweiten Öffnungen im Jahresverlauf mit gezielten Investments in Qualitätswachstumstitel zu profitieren.

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