Bei Berenberg gehört künstliche Intelligenz (KI) schon seit einigen Jahren zum Team, inzwischen sogar entscheidend in einem Publikumsfonds. Berenberg-CIO Matthias Born und KI-Experte Nico Baum erläutern, wie und wo sie KI im Investmentprozess nutzen
04.04.2024 | 07:15 Uhr von «Uli Kühn»
TiAM: An welchen Stellen im Investmentprozess setzen Sie
bei Berenberg
künstliche Intelligenz ein?
Matthias Born: Berenberg hat vor einigen Jahren das Innovation & Data Team innerhalb der Investmentplattform etabliert. Dieses Team aus KI- und Technologieexperten sowie Portfoliomanagern verfolgt das Ziel, neue Alpha-Potenziale zu entdecken und Plattformeffizienzen zu heben – mittels neuester Technologie. Wir nutzen KI aktuell im Researchprozess und im Portfoliomanagement. Darüber hinaus haben wir eine exklusiv auf KI basierende Sentiment-Strategie entwickelt. Diese kommt in einigen Spezialmandaten zum Einsatz und seit kurzer Zeit auch in einem Publikumsfonds, dem Berenberg Sentiment Fund.
TiAM: Wie lange arbeiten Sie schon mit Ihrem Sentiment-Ansatz?
Nico Baum: Der Publikumsfonds Berenberg Sentiment Fund verwendet seit Oktober 2022 unsere KI-Strategie und wurde in einer schon älteren und bestehenden Fondshülle umgesetzt. Mit dem zugrunde liegenden Sentiment-Ansatz arbeiten wir jedoch schon seit 2021 in mehreren Kundenmandaten, primär im FX-Overlay und in FX-Alpha-Mandaten. Insgesamt werden mit dem Sentiment-Ansatz heute mehr als 3,3 Milliarden Euro verwaltet. Und wir haben inzwischen einen Track-Record von circa drei Jahren.
TiAM: Bei welchen Anlageklassen funktioniert Ihr KI-Ansatz?
Baum: Wir nutzen den Sentiment-Ansatz schon länger im Währungsmanagement mit G-10 und EM-Währungen. Der Berenberg Sentiment Fund investiert in Währungen, Rohstoffe und Aktien.
TiAM: Wie und aus welchen Daten leitet ihre KI die Signale ab?
Baum: Die KI wertet in
erster Linie aktuelle makroökonomische Nachrichten aus, zu Finanzmärkten,
Geldpolitik, geopolitischen Entwicklungen, Unternehmen und vielem mehr. Aktuell
fließen jeden Monat rund 600 Millionen Nachrichten in das System ein.
Diese werden dann von der KI gefiltert, einer Mustererkennung entlang der
historischen Daten der vergangenen 26 Jahre unterzogen und in Handels-
signale transformiert. Allerdings ist für gute Ergebnisse die Datenqualität
entscheidend. Wenn die Inputdaten schon keine Prognosekraft haben, kommt nichts
dabei heraus.
TiAM: Wie gehen Sie mit dieser Herausforderung um?
Baum: Unsere KI filtert die Nachrichten und ordnet sie dann unseren selbst definierten, proprietären makroökonomischen Kategorien zu und weist – je nach Tonalität – einen numerischen Wert zu.
TiAM: Und wie geht es dann weiter?
Baum: Einmal am Tag werden per Mustererkennung entlang der Historie für die verschiedenen Assets Long- oder Short-Signale erzeugt. Aber das bedeutet natürlich nicht, dass wir jeden Tag unsere Positionierung anpassen. Teilweise ergeben sich wochenlang keine Veränderungen.
TiAM: Planen Sie, die KI-Strategie auch bei anderen Anlageklassen und Fonds einzusetzen?
Born: Im Moment läuft der von Nico Baum und seinem Team verfolgte Sentiment-Ansatz separat von den restlichen Berenberg-Strategien. Bei der Selektion von Aktien und Anleihen kommt es ja auch sehr auf die Interpretation von Fundamentaldaten und die langfristige Einschätzung von Geschäftsmodellen an. Hier setzen wir auf unsere diskretionäre Expertise, hilfreich ist KI aber auch hier als Assistent beim Screening und der Aggregation von großen Datenmengen, um somit Effizienzsteigerung im Researchprozess zu heben.
TiAM: Der Sentiment Fund investiert nicht in Anleihen. Ist KI für den Rentenbereich nicht geeignet?
Baum: Der Verzicht auf Renteninvestments in der Fondsallokation hat andere Gründe. Unsere KI generiert Signale auf Basis von aktuellen Nachrichten. Das ist im Anleihebereich deutlich schwieriger umzusetzen, weil dort zum einen weniger differenzierte Nachrichten für unsere Analyse zur Verfügung stehen und zum anderen die Kategorisierung schwieriger ist.
Born: KI wird wohl nicht alles im Asset-Management übernehmen können, denn nicht alle investitionsrelevanten Informationen können vollständig in Daten erfasst werden, und die Finanzmärkte entwickeln sich ständig weiter. Die Kombination Mensch und Maschine bleibt entscheidend.
TiAM: Wird die KI denn nicht von selbst immer schlauer?
Baum: Bislang muss der Mensch der KI die Muster vorgeben und beibringen. Gerade im Investmentbereich ist es auch eine gewaltige Herausforderung, denn die Finanzmärkte verändern sich schließlich laufend und die Muster sind oft diffus.
TiAM: Wie also steuert die KI den Fonds?
Baum : Der Fonds investiert in zehn gleichgewichtete Strategien. Für jede dieser Strategien bekommen wir von der KI täglich eine Positionierung.
TiAM Und der Handel läuft dann vollautomatisch?
Baum: Das würde im Prinzip funktionieren. Bei uns setzt allerdings ein Portfoliomanager die Signale um. Das hat zum einen regulatorische Gründe, andererseits bleibt das Team so auch eng an den Signalen und am Markt, was bei der Weiterentwicklung hilft. Bislang haben wir uns noch nie gegen eine Entscheidung der KI gestemmt. Es ist theoretisch jedoch vorstellbar, vor großen Marktevents das Exposure etwas zu reduzieren, zum Beispiel vor der Wahl zum US-Präsidenten oder vor der Brexit-Wahl.
TiAM: Setzen Sie KI noch an anderen Stellen in Ihren Investmentprozessen ein?
Born: Wir probieren immer wieder neue KI-Techniken und Ansätze aus, und wir haben auch bereits einige vorzeigbare Tools entwickelt. Eine von uns entwickelte Anwendung nennen wir BeGo-Chat. Das ist ein spezielles generatives KI-Tool, mit dem wir als Assistenten den Portfoliomanager bei der Konsumierung von Research über einen Chatbot für den Researchprozess unterstützen.
TiAM: Was genau kann dieses KI-Tool für Analysten und Portfoliomanager tun?
Born: BeGo-Chat beschleunigt den Researchprozess. Der Portfoliomanager kann dem KI-Tool Fragen zu einzelnen Aktien stellen, beispielsweise: „Was ist das Hauptländerrisiko des Unternehmens XY?“, und bekommt dann sofort eine Antwort und muss nicht lange Unternehmensberichte wälzen. Zurzeit analysiert das Tool in erster Linie Unternehmensberichte, auch von kleinen Firmen. Künftig wollen wir jedoch weitere Datenquellen hinzunehmen. Alles in allem gibt es viele Möglichkeiten, die Technologie an verschiedenen Stellen unserer Wertschöpfungskette einzusetzen.
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