Das Coronavirus breitet sich zunehmend aus, der Ölpreis kollabiert und der DAX eröffnet tiefrot. Die Zeichen der weltweiten Börsen stehen auf Sturm. Anleger erwarten in Krisenzeiten von ihren Beratern Orientierung.
09.03.2020 | 15:15 Uhr von «Christian Bayer»
Die Experten des US-Asset Managers MFS haben bereits vor Ausbruch des
Coronavirus-tendenziell ein eher skeptisches Bild für 2020 gezeichnet. Aus
Sicht der Strategen könnte mit Blick auf die Corporate Bonds der hohe
Verschuldungsgrad von Unternehmen Sorgen bereiten, der in den USA so hoch liegt
wie seit 40 Jahren nicht mehr. Zudem steigt im Investmentgrade-Bereich der
Anteil der BBB-Titel an der Schwelle zum High Yield-Sektor. MFS-Investmentexperte
Robert Almeida weist darauf hin, dass die Gewinne von US-Unternehmen dank niedriger
Zinsen und Steuern zwar höhere Margen erwirtschaftet haben. Allerdings sei die
Qualität der Gewinne sehr niedrig. Mit Blick auf das Coronavirus warnt MFS vor
alarmistischen Marktkommentaren. „Volkswirte, Analysten und Investoren scheinen
zu Medizinern geworden zu sein. Sie spekulieren über Art, Dauer und
Auswirkungen eines weltweiten Risikos, das es vor zwei Monaten schlichtweg noch
nicht gab. Ein Risiko, von dem – seien wir ehrlich – nur wenige etwas
verstehen“, so William Adams, Chief Investment Officer Global Fixed Income bei
MFS. „Angesichts der vielen Risiken empfiehlt sich ein konservativer
Investmentansatz. Stichworte sind das Coronavirus, die hohen Bewertungen,
Zweifel an der Kreditqualität, weltpolitische Spannungen und die Konjunktur.“
Mohamed El-Erian, Chief Economic Advisor der Allianz und ehemaliger CEO bei
Pimco, sieht als mögliche Folge der Corona-Epidemie ein Umdenken bei
Unternehmen. Viele der Konzerne dürften aus seiner Sicht zu dem Ergebnis
kommen, dass „just in time“-Lieferketten zwar kostengünstig, aber im Krisenfall
auch extrem riskant sein können. Als Konsequenz könnten Unternehmen ihre
Abhängigkeit von Lieferketten reduzieren. Die Folge für Industrieländer wäre,
dass wieder verstärkt vor Ort und weniger in Schwellenländern produziert würde.
Die Entwicklung käme den Plänen der aktuellen US-Regierung entgegen, die schon
länger beabsichtigen, den Produktionsstandort USA wieder zu stärken.
Beim Auftreten krisenhafter Entwicklungen ist der Ruf nach den Notenbanken und
weiteren Zinssenkungen nicht weit. Unter den wichtigsten Notenbanken hat die
Fed die Zinsen bereits außerplanmäßig gesenkt. Lidia Treiber, Research-Expertin
beim ETF-Anbieter WisdomTree, hält allerdings neben einer Lockerung der
Geldpolitik auch fiskalpolitische Maßnahmen für nötig, um den Konsum
anzukurbeln, der besonders stark unter der Coronavirus-Ausbreitung leidet. Aus
ihrer Sicht hat die EZB auf der geldpolitischen Seite kaum noch Spielraum. Umso
wichtiger sind aus ihrer Sicht fiskalpolitische Anreize: „Jetzt könnte der
Zeitpunkt gekommen sein, die finanzkräftigen Länder zur fiskalischen Expansion
zu veranlassen. Das könnte das geeignete Instrument sein, um die Nachfrageseite
anzukurbeln und der Abschwächung des Wachstums in der ersten Hälfte des Jahres
2020 gegenzusteuern.“
Die Strategen von Pictet Asset Management haben ihren Ausblick für das laufende
Jahr nach unten gesetzt. Die Erwartung für das weltweite Bruttoinlandsprodukt
wurde von 2,8 Prozent auf 2,5 Prozent revidiert. Die Wachstumsrate läge damit am
Rande einer globalen Rezession, von der bei einem Wert von unter 2,5 Prozent
ausgegangen wird. Das Gewinnwachstum bei den Unternehmen des S&P 500 sehen
die Experten aktuell bei 3,1 Prozent nach zuvor 3,8 Prozent. Für die Aktien des
STOXX Europe 600 erwartet Pictet ein Gewinnwachstum von 3,4 Prozent, zuvor lag
die Prognose noch bei 4,4 Prozent. Den Jahresschlussstand beim S&P 500 prognostiziert
Pictet nun bei 3200 statt bei 3280 Punkten. Gerechnet vom Freitagsschlusskurs der
Benchmark für US-Aktien bei 2973 Punkten würde das noch ein Potential von 7,6
Prozent bedeuten. Mit Blick auf die Asset Allocation halten die Pictet-Strategen
defensive Währungen und Anleihen von Emittenten mit hoher Kreditqualität für
vergleichsweise attraktiv.
Kopflose Panik war nie ein guter Ratgeber bei Investmententscheidungen. Berater sollten die Lage faktenbasiert analysieren und die Krise zum Anlass nehmen, bei Bedarf die Risikotragfähigkeit des Kunden genauer unter die Lupe zu nehmen und bei der Asset Allocation entsprechend zu berücksichtigen. Eines ist klar: Auch künftig wird das Bonmot des Börsenaltmeisters Kostolany seine Richtigkeit behalten: „Börsengewinne sind Schmerzensgeld. Erst kommen die Schmerzen, dann das Geld.“
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