Der neue Premierminister Großbritanniens heißt Boris Johnson. Schon wenige Minuten nach seiner Ernennung bekräftigte der 55-Jährige seinen harten Kurs in der Brexit-Frage. Dennoch geben sich Marktbeobachter gelassen: Sie wittern die Chance auf einen günstigen Einstieg.
25.07.2019 | 15:29 Uhr von «Alexandra Jegers»
Boris Johnson ist am Ziel: Er hat die Nachfolge von Theresa May angetreten und ist der neue britische Premierminister. Der 55-Jährige setzte sich in der Stichwahl gegen Außenminister Jeremy Hunt durch, gab die Parteiführung am Dienstag in London bekannt. In der Urabstimmung erhielt er 92.153 von rund 159.000 Stimmen – fast doppelt so viele wie sein Kontrahent Hunt. In seiner Ansprache bedankte sich Johnson bei May für ihre Arbeit. Und er betonte, Großbritannien bis zum 31. Oktober aus der EU zu führen – „komme, was wolle“. Zudem wolle er das „großartige Land“ wieder einen und weiterbringen, versprach Johnson und ratterte anschließend eine Liste bekannter Wahlversprechen herunter: von besserer Bildung über zusätzliche Polizisten bis hin zu Glasfaser-Breitband für alle Regionen.
An den Kapitalmärkten dürfte vor allem die erste Botschaft angekommen sein: Seit Monaten grassiert unter Anlegern die Angst vor einem ungeregelten Ausstieg Großbritanniens aus der EU. Die Aussicht auf einen Brexit-Hardliner als neuen Premierminister hat das britischen Pfund jüngst auf Talfahrt geschickt. Kurz vor Bekanntgabe des Wahlergebnisses am Dienstag kostete ein Euro gerade mal knapp 90 Pence – der tiefste Stand seit mehr als zwei Jahren.
Investoren sollten dennoch keine vorschnellen Entscheidungen treffen, warnt Tristan Hanson, Anlagestratege des britischen Investmenthaus M&G Investments: „Das Risiko eines No-Deal-Brexit mag gestiegen sein, aber es gilt als sicher, dass das Parlament versuchen wird, ein solches Ereignis zu vereiteln“, sagt Hanson. Dann würden die Briten erneut über den Parteivorsitz abstimmen – und die Karten würden neu gemischt. „Der weitere Weg bleibt also genauso unsicher und unvorhersehbar wie bisher“, sagt der Anlageprofi.
David Zahn, Leiter des europäischen
Anleihebereichs bei Franklin Templeton, sieht das ähnlich. „Johnson erbt eine
Regierung mit hauchdünner Mehrheit und muss sicherstellen, dass er die Einheit
der Konservativen Partei aufrechterhalten kann“, sagt der Anleiheexperte. Zieht
auch nur eine Handvoll Abgeordneter ihre Unterstützung zurück, verliert Johnson
diese Mehrheit – und die Wahrscheinlichkeit für Neuwahlen steigt.
Zahn rechnet damit, dass die Volatilität an den Kapitalmärkten für die nächsten Wochen anhalten wird, solange Johnson seine Regierung neu zusammenstellt. Sein Kabinett hat der britische Premier schon umgekrempelt: Bereits wenige Stunden nach seinem Amtsantritt vergab Johnson die meisten der Ministerämter neu und besetzte Schlüsselpositionen mit Brexit-Hardlinern wie der designierten Innenministerin Priti Patel.
Für Investoren ist Volatilität immer auch eine gute Nachricht. Denn sie eröffnet gemeinhin Chancen für einen günstigen Einstieg – wenn Anleger auf die richtigen Titel setzen. Franklin-Templeton-Experte Zahn empfiehlt Investoren, sich auf internationale Unternehmen zu konzentrieren, deren Engagement in Großbritannien gering ist. Auch inlandsorientierte Unternehmen hält er weiterhin für attraktiv.
Von exportstarken Unternehmen mit Sitz in Großbritannien sollten Investoren dagegen besser die Finger lassen, bis die Brexit-Frage geklärt ist. Für sie hätte ein „No Deal“ in der Tat schwerwiegende Folgen, sind sich Finanzexperten einig. Denn Großbritannien würde in einem solchen Szenario als Drittstaat gelten, wie Japan, nur ohne Handelsabkommen. Heißt: Britische Unternehmen müssten ihre Produkte bei Exporten in die EU verzollen. Auf Autos fallen beispielsweise derzeit rund zehn Prozent Abgaben an.
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