Trotz Pandemie schütten deutsche Topkonzerne so viel aus wie nie. Doch Großzügigkeit allein ist noch kein Grund für den Kauf einer Dividendenaktie.
14.02.2022 | 12:15 Uhr von «Sven Parplies»
Ein bisschen ist es wie ein Volksfest. Die Hauptversammlung (HV) von Siemens lockt in normalen Zeiten Tausende Aktionäre in die Münchner Olympiahalle. Das Büfett ist beliebt, die Reden sind meist dröge. Und draußen vor der Tür lärmen gelegentlich Protestgruppen. In Corona-Zeiten fällt das Rahmenprogramm aus: Die Hauptversammlung am 10. Februar wurde erneut über das Internet abgehalten. Nicht verzichtet wird auf das wichtigste Ritual: die Dividende.
Unter Punkt 2 der Tagesordnung steht der Dividendenvorschlag der Konzernführung zur Abstimmung: Vier Euro soll es für jede Aktie geben. Das sind 50 Cent mehr als im vergangenen Jahr, zehn Cent mehr als vor der Pandemie. Exakt 3.216.245.552 Euro (also knapp 3,22 Milliarden) liegen zur Auszahlung bereit, so viel wie nie zuvor.
Siemens liefert den ersten großen Zahltag der DAX-Dividendensaison 2022. Da das Geschäftsjahr des Konzerns bereits im September endet, fließt das Geld bei den Münchnern entsprechend früh. Die heiße Phase im DAX beginnt mit dem April und läuft bis Mai. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass es ein besonderes Jahr wird: Nach Hochrechnung der Redaktion werden die 40 deutschen Topkonzerne rund 46 Milliarden Euro ausschütten. Das wären fast 40 Prozent mehr als im Vorjahr und zugleich ein neuer Rekord. Die alte Bestmarke liegt laut Daten der Commerzbank knapp über 38 Milliarden Euro.
Die größten Beträge im DAX dürften in diesem Jahr Mercedes-Benz Group (4,4 Milliarden Euro) und Allianz (4,3 Milliarden) ausschütten. Jeweils mehr als drei Milliarden Euro erwartet die Redaktion bei Volkswagen, Siemens, Deutsche Telekom und BASF.
Einer der Gründe ist banal: Der DAX ist größer geworden. Seit September sind zehn zusätzliche Unternehmen im Index. Der Effekt auf die Dividende hält sich aber in Grenzen. Lediglich Siemens Healthineers, Porsche und Airbus steuern signifikante Beträge bei. Zusammen dürften die zehn Neuen weniger als drei Milliarden Euro ausschütten. Selbst in der alten, kleineren Zusammensetzung würde es für den DAX also für einen neuen Rekord reichen.
Wichtiger als die zusätzlichen Mitglieder ist ein anderer Faktor: Die Erholung der Weltwirtschaft nach dem Corona-Crash hat das Geschäft der meisten Konzerne kräftig angeschoben. Sparmaßnahmen und Effizienzverbesserungen steigern die Dynamik. Allein im dritten Quartal sind die operativen Erträge der Indexmitglieder nach Berechnung der Unternehmensberatung EY um mehr als 150 Prozent nach oben geschossen und erreichten das höchste Niveau, das der Index jemals in einem dritten Quartal verzeichnet hat.
Starke Geschäftsergebnisse sind die Basis für attraktive Dividendenzahlungen. Denn die Ausschüttung gilt als Beteiligung der Aktionäre am letztjährigen Bilanzgewinn. Ausgeschüttet wird das Geld bei deutschen Unternehmen in der Regel am dritten auf den Beschluss der Hauptversammlung folgenden Geschäftstag.
Nach drei Jahren Abstinenz meldet sich die Deutsche Bank im Kreis der Dividendenzahler zurück: 20 Cent je Aktie sollen zum Comeback gezahlt werden. Das dürfte auf eine Gesamtsumme von etwas mehr als 400 Millionen Euro hinauslaufen. Zur Orientierung: Für das Jahr 2007, also vor der für die Branche verheerenden Finanzkrise, verteilte die Deutsche Bank fast 2,4 Milliarden Euro an ihre Aktionäre.
Die Dividende ist für viele ein wichtiges Kriterium bei der Aktienauswahl. Bei entsprechenden Investmentsummen kann man mit den Ausschüttungen sogar seinen Lebensunterhalt finanzieren, ohne die Vermögenssubstanz anzutasten.
Wie es im günstigen Fall laufen kann, zeigt die Allianz: Wer vor zehn Jahren die Aktie kaufte, zahlte rund 90 Euro für jedes Papier. Inzwischen ist dessen Wert auf über 200 Euro gestiegen. Nebenbei wurden für jede Aktie insgesamt 67,75 Euro ausgezahlt. Selbst wenn man die Steuern abzieht, ist mehr als die Hälfte des Kaufpreises zurückgeflossen.
Nicht nur die Höhe der Dividende ist wichtig, sondern auch die Zuverlässigkeit. Die Corona-Krise war ein Härtetest für die Widerstands- und Willenskraft der Unternehmen. Die meisten sind durchgefallen: Die Hälfte der aktuellen DAX-Konzerne hat die Ausschüttung in der Pandemie gesenkt oder vorübergehend gar kein Geld gezahlt. Das kann in einer extremen Sondersituation richtig sein, weil man die Finanzkraft schützt. Auch das öffentliche Ansehen kann leiden, wenn Unternehmen in Krisenzeiten Geld unter ihren Aktionäre verteilen. In der Corona-Krise gerieten insbesondere die Industriekonzerne in die Kritik, weil sie über Kurzarbeitergeld von Staatshilfen profitierten und gleichzeitig Dividende ausschütteten.
Die Entscheider in den Unternehmen brauchen also Fingerspitzengefühl. Letztlich aber hängen die Jobs des Managements vom Wohlwollen der Kapitalseite ab. Dort kalkulieren viele fest mit einer Dividendenzahlung, insbesondere Pensionsfonds und Stiftungen, die ihrerseits finanzielle Verpflichtungen erfüllen müssen.
In den USA gibt es Unternehmen, die ihre Zahlung seit mehr als 50 Jahren durchgehend steigern. Die Konsumgüterhersteller Coca-Cola, Procter & Gamble oder der Industriekonzern 3M gehören zu diesem Kreis.
Im DAX sucht man solche Serien vergeblich. Fresenius kann immerhin 28 Jahre mit stetig steigender Ausschüttung vorweisen. Fresenius Medical Care dürfte die 25. Erhöhung in Serie vorschlagen. Beide Aktien kommen allerdings auf Dividendenrenditen unter drei Prozent.
Auch Deutschlands Topkonzerne bekennen sich in wachsender Zahl zu einer offensiven Dividendenpolitik. Jedes Jahr mindestens fünf Prozent mehr Geld, selbst wenn das Geschäft mal schlechter laufen sollte, verspricht die Allianz. "Unsere Aktionäre haben die Gewissheit, dass die Dividende auch in schwierigen Zeiten wachsen wird", sagt Finanzvorstand Giulio Terzariol.
Siemens hat seine Richtlinien ebenfalls zugespitzt. Ab dem Geschäftsjahr 2022 strebe man eine höhere Dividende je Aktie als im Vorjahr an, mindestens aber auf dem Niveau des Vorjahres. Bislang galt ein Korridor von 40 bis 60 Prozent des Jahresgewinns als Richtmaß für die Ausschüttung. Das gab dem Vorstand etwas Handlungsspielraum, aber in einem schlechten Jahr auch Argumente für eine Dividendenkürzung. Selbst von der Deutschen Bank kommt eine klare Ansage: Man sei "fest entschlossen, die Ausschüttung an unsere Eigentümer in den kommenden Jahren Stück für Stück zu steigern", so Konzernchef Christian Sewing.
Solche Ankündigungen sollen Vertrauen schaffen, sind allerdings nur Absichtserklärungen. Machen verlockende, aber letztlich unverbindliche Aussagen überhaupt Sinn? "Viele Unternehmen im DAX haben starke Geschäftsmodelle, die eine kontinuierliche Dividendenzahlung ermöglichen. Die Dividende ist außerdem ein disziplinierendes Element: Wenn der Vorstand weiß, dass er eine Dividende finanzieren muss, wird er in seinen Entscheidungen mit der angebrachten kaufmännischen Vorsicht und Weitsichtigkeit handeln", argumentiert Joachim Schallmayer, Leiter Kapitalmärkte und Strategie bei der DekaBank.
Ein anderes Instrument verschafft Unternehmen mehr Flexibilität als die Dividende: Aktienrückkäufe. In den USA sind sie bei vielen Firmen als Ergänzung zur Geldausschüttung seit Langem selbstverständlich. Auch in Deutschland wächst die Akzeptanz. Das Prinzip: Ein Unternehmen kauft eigene Aktien über die Börse und zieht diese Papiere dann dauerhaft aus dem Verkehr. Der Wert des Konzerns verteilt sich damit über weniger Aktien, sodass jede einzelne an Wert gewinnen sollte. Zugleich muss das Unternehmen bei künftigen Zahlungen weniger Papiere bedienen, was Dividendenanhebungen erleichtert. Anders als bei der Bargeldausschüttung profitiert ein Aktionär bei Rückkäufen also indirekt.
Weiterer Vorteil: In Krisenzeiten kann ein Unternehmen Rückkäufe relativ geräuschlos aussetzen, weil das von der medialen Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird. Eine Dividendenkürzung sorgt dagegen fast immer für deutliche Kursturbulenzen. Zu den prominenten Rückkäufern in Deutschland gehören aktuell BASF und Adidas. Auch die Deutsche Bank startet ein neues Programm.
€uro am Sonntag hat aus dem Kreis der 40 DAX-Mitglieder sechs Dividendenfavoriten herausgefiltert. Im Schnitt werfen die sechs Favoriten eine Dividendenrendite von mehr als vier Prozent ab und bieten zusätzlich die Aussicht auf eine in den kommenden Jahren steigende Ausschüttung.
Der Top-Dividendenwert bleibt die Allianz. Anders als Industriekonzerne muss ein Versicherer keine teuren Fabriken unterhalten. Die Kunden zahlen ihre Prämien vorab, sodass der Konzern das Geld anlegen und auf diesem Weg seine Profite steigern kann. Die Digitalisierung hilft auch, Kosten zu drücken und die Profitabilität zu verbessern. Als zweites Standbein neben dem Versicherungsgeschäft hat die Allianz ihre Vermögensverwaltung, die zuletzt für Kunden knapp 1,9 Billionen Euro betreute.
Ein wichtiger Trend dort sind Produkte für umweltfreundliche und sozial verträgliche Investments. Die Redaktion kalkuliert bei der Allianz für die nächste Zahlung mit 10,50 Euro. Damit kommt die Aktie auf rund viereinhalb Prozent Dividendenrendite.
Bei fünf Prozent bewegt sich derzeit die Dividendenrendite der BASF-Aktie.
Das operative Geschäft dort ist allerdings deutlich kapitalintensiver. Da die Ludwigshafener Kunden aus vielen verschiedenen Branchen beliefern, vor allem die Automobilindustrie, hängt die Geschäftsentwicklung zudem stark an der Weltkonjunktur. Investitionen in wachstumsstarke Bereiche wie Batteriematerialien und das Geschäft in den aufstrebenden Schwellenländern Asiens sollen den Konzern nach vorn bringen. €uro am Sonntag kalkuliert bei BASF mit einer Anhebung der Ausschüttung um zehn Cent auf 3,40 Euro. Das würde dem Rhythmus in den Jahren vor der Pandemie entsprechen.
Viel Geld in guten Zeiten, aber auch immer wieder schwächere Jahre gibt es bei Mercedes-Benz, ehemals Daimler. Die Autobranche hat hohe Basiskosten, der Absatz geht in Krisenphasen deutlich nach unten. Fünf Mal wurde die Ausschüttung seit der Jahrtausendwende gekürzt. Die Zukunft soll weniger turbulent sein: Mercedes-Benz hat die Fixkosten deutlich gesenkt. Nach der Abspaltung der Truck-Sparte liegt der Fokus jetzt klar auf Premium- und Luxus-Pkw. Die aktuellen Lieferengpässe haben den Nebeneffekt, dass beim Verkauf Rabatte reduziert werden können. Unter dem Strich ist der Gewinn 2021 kräftig gestiegen und ermöglicht einen deutlichen Dividendenaufschlag. Die Redaktion kalkuliert vorsichtig mit 4,10 Euro.
Die Netze der Telekomkonzerne sind die Autobahnen des digitalen Zeitalters. Innovationen wie das autonome Fahren werden das Verkehrsaufkommen im Netz und damit das Marktpotenzial der Telekomkonzerne deutlich erhöhen. Allerdings ist der Konkurrenzkampf intensiv, die Kosten für den Ausbau der Infrastruktur sind hoch. Das macht die Dividende für die Deutsche Telekom zu einem Balanceakt. 64 Cent soll es dieses Mal geben, vier Cent mehr als im Vorjahr. Wachstumstreiber bleibt die Mobilfunktochter T-Mobile US. Das Funkmastengeschäft oder auch die Sparte T-Systems könnten verkauft werden, um die hohen Schulden zu senken. Mit knapp vier Prozent Dividendenrendite liegt die T-Aktie über DAX-Schnitt.
Auch nach dem turbulenten Weihnachtsgeschäft gibt es bei der Deutschen Post viel zu tun: Durch die schnelle Konjunkturerholung nach dem Corona-Crash ist der Warenverkehr weltweit stark gestiegen. Weil Frachtschiffe und Flugzeuge ausgelastet sind, können Logistikriesen wie die Deutsche Post höhere Preise durchsetzen. Gleichzeitig wächst auch unabhängig von der Pandemie der Onlinehandel und damit das Paketvolumen. Im nationalen Briefgeschäft hat die Post zum Jahreswechsel das Porto angehoben. Nach dem starken Geschäftsjahr 2021 dürfte die Dividende deutlich steigen: Die Redaktion rechnet für den Logistikkonzern vorsichtig mit einem Aufschlag von 30 Cent auf 1,65 Euro je Aktie. Analysten halten sogar einen Anstieg der Post-Dividende auf 1,75 für machbar.
Erst die Elektrifizierung, dann die Automatisierung, jetzt die Digitalisierung: Siemens durchlebt seit Gründung 1847 die dritte große Innovationswelle. Entsprechend groß ist die Wandlungsfähigkeit des Konzerns. In der neuen Aufstellung konzentriert sich Siemens auf Industriedigitalisierung, Infrastruktur und Mobilität. Zusätzlich ist Siemens Hauptaktionär des im DAX notierten Gesundheitskonzerns Healthineers. Die Fokussierung soll die Profitabilität verbessern und den Konglomeratsabschlag reduzieren, der den Börsenwert komplexer Konzerne drückt. Die Dividendenerhöhung jetzt spiegle auch "das große Vertrauen in die zukünftige Entwicklung des Unternehmens wider", heißt es bei Siemens. Analysten erwarten schon 2023 den nächsten Dividendenrekord. Dann wieder mit dem vollen Begleitprogramm.
Gestärkt aus der Krise
Die Dividende der DAX-Konzerne hat sich seit der Jahrtausendwende nahezu verdreifacht. Zwischendurch gab es häufiger Rücksetzer. Selbst in der Pandemie aber blieb die Summe auf hohem Niveau. Der Rückgang war deutlich geringer als in der globalen Finanzkrise 2007 bis 2009. Für das Geschäftsjahr 2021 werden jetzt 46 Milliarden Euro erwartet.
Sicherheitspuffer
Die Ausschüttungsquote ist ein Instrument, um die Dividende zu stabilisieren: In wirtschaftlich starken Jahren wird ein geringerer Teil des Gewinns verteilt, in schlechten Jahren geht die Quote nach oben. Für die Jahre 2008 und 2009 zahlten die DAX-Konzerne mehr als die Hälfte ihrer Gewinne aus, in der Pandemie mehr als 40 Prozent. Jetzt rutscht die Quote wieder auf das Normalniveau.
Was wirklich bleibt
Dividenden müssen versteuert werden. Das Finanzamt zieht bei den Zahlungen deutscher Unternehmen 25 Prozent Kapitalertragsteuer ab, zusätzlich 5,5 Prozent Solidaritätszuschlag. Der Soli wird nicht auf die volle Dividende erhoben, lediglich auf die Kapitalertragsteuer. Unter dem Strich werden also 26,375 Prozent abgezogen. Ein Schlupfloch ist der Freistellungsauftrag: Einzelpersonen können jedes Jahr 801 Euro Kapitaleinkünfte steuerfrei kassieren, zusammen Veranlagten 1.602 Euro. Die Depotbank überweist die fälligen Abgaben automatisch an den Fiskus.
Dieser Artikel erschien zuerst am 11.02.2022 auf boerse-online.de
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