Zehn Finanzminister haben sich in Brüssel auf Eckpunkte für eine Finanztransaktionssteuer geeinigt. Wichtige Fragen bleiben aber weiter ungeklärt. Die führenden Wirtschaftsverbände Deutschlands fordern derweil, das Projekt komplett zu stoppen.
11.12.2015 | 16:32 Uhr
„Die Finanztransaktionssteuer ist wieder lebendig“, bekräftigte Hans Jörg Schelling, Österreichs Finanzminister, nachdem er am Dienstag dieser Woche gemeinsam mit zehn Kollegen aus dem Kreis der EU-Staaten einen Kompromiss zur geplanten Finanztransaktionssteuer gefunden hatte. "Es gibt eine grundsätzliche Einigung, wofür die Steuer anfallen, wo sie gelten und was besteuert werden soll. Das ist ein Durchbruch“, so Schelling, der die Arbeitsgruppe der Finanzminister zu diesem Thema leitet.
Für Schelling ist die Vereinbarung über die Finanzmarktsteuer, die nun getroffen wurde, nach jahrelangen Verhandlungen ein Erfolg. Allerdings mit kleinen Schönheitsfehlern: Von den ursprünglich elf sind nur noch Staaten gewillt, das Projekt weiter voranzutreiben. Estland ist nicht mehr an Bord, weil es selbst dem Minimalkompromiss nicht zustimmen wollte.
Ein Kernpunkt der Kritik Estlands ist ein geänderter Passus. Ursprünglich sollten alle Händler in einem der zehn Länder (Sitzprinzip) und alle in diesen Ländern ausgegebenen Aktien (Ausgabeprinzip) für die Steuer berücksichtigt werden. Nun könnte womöglich nur das Ausgabeprinzip gelten.
Zwar ist bislang nur Estland ausgestiegen, doch weitere kleine Staaten sind kritisch. Denn die Steuer soll sich eigentlich für jedes teilnehmende Land rentieren. Das war einer der Kernpunkte der Idee. Dieser Grundsatz wird im jetzigen Entwurf allerdings nur noch als vages Prinzip festgehalten. Kleinere Länder fürchten nun, dass die Kosten für die Einhebung die Einnahmen auffressen.
Von den zuletzt elf sind jetzt nur noch zehn Staaten gewillt, die Steuer einzuführen. Estland ist nicht mehr an Bord.
Offen sind auch noch zentrale Fragen wie die Höhe der Steuersätze und wie beispielsweise verhindert werden soll, dass die Steuer negative Auswirkungen auf den Finanzfluss in der Realwirtschaft hat. Firmenanleihen und Pensionsfonds sollen nach jetzigem Stand der Dinge nicht von der Steuer befreit werden. Hier besteht noch Diskussionsbedarf.
Zu den weiterhin offenen Punkten zählt unter anderen die Frage, ob die Steuer tatsächlich eingeführt werde, räumte Schelling ein. Stattdessen gibt es nun eine neue Frist: Bis Ende Juni 2016 sollen Experten der Mitgliedstaaten in enger Zusammenarbeit mit der EU-Kommission klären, wie die gefundenen Eckpunkte in eine Finanzmarktsteuer gegossen werden sollen.
Derweil forderten die führenden Wirtschaftsverbände Deutschlands die europäischen Finanzminister auf, das Projekt zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer aufzugeben. Mit keinem der bisher diskutierten Modelle sei es gelungen, die negativen Auswirkungen auf Wachstum, Beschäftigung und Altersvorsorge oder die drohende Fragmentierung des europäischen Finanz- und Investitionsstandorts zu vermeiden, kommentierte der Bankenverband in einer offiziellen Stellungnahme die Verhandlungen in Brüssel.
Negative Auswirkungen auf die Realwirtschaft erwarten die Verbände unter anderem durch die steuerliche Belastung von Sicherungsgeschäften, etwa im Bereich des Außenhandels. Dies schwäche die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in Europa. Auch auf die Unternehmensfinanzierung wirke sich die Steuer negativ aus, da die Refinanzierungskosten der Banken deutlich stiegen.
Insgesamt würden sich die Belastungen der Finanztransaktionssteuer auf mehrere Milliarden Euro jährlich summieren und damit Wirtschaft und Bürgern massiv treffen. Auch nach mehr als zweieinhalb Jahren Arbeit an dem aktuellen Kommissionsentwurf lägen noch keine Lösungen für die zahlreichen seitens der Wirtschaft aufgezeigten Probleme vor. Im Interesse einer notwendigen Stabilisierung des europäischen Wirtschaftsraums wäre es daher am sinnvollsten, das Projekt einzustellen, lautet deshalb die Forderung der Wirtschaftsverbände.
(MVA)
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