Einst Hedgefondsmanager in London, verwaltet der 54-Jährige seit einigen Monaten den norwegisches Staatsfonds - und definiert dabei die Regeln neu.
04.06.2021 | 07:30 Uhr von «Andreas Hohenadl»
Auf Vielfalt und Verschiedenartigkeit zu achten, hat nichts mit Politik zu tun, sondern mit Logik." Diese Ansicht, die Nicolai Tangen einmal in einem Interview äußerte, ist kein Lippenbekenntnis. Sie ist wichtiger Teil seiner Agenda als neuer Chef des norwegischen Staatsfonds. Kurz nachdem Tangen im September 2020 sein Amt angetreten hatte, stutzte er die Führungsebene des Fonds und besetzte etliche Posten des bis dahin männerdominierten Gremiums mit Frauen.
Ziel des 54-Jährigen: Über kurz oder lang sollen Frauen mindestens ein Drittel der Top-Positionen einnehmen. Bereits im vergangenen Jahr waren 44 Prozent der neu eingestellten Mitarbeiter weiblich, wie aus einem Artikel der Nachrichtenagentur Bloomberg hervorgeht. Auch auf die Unternehmen, an denen sich der Staatsfonds beteiligt hat, will Tangen Druck ausüben, damit sie ähnliche Ziele bei ihrer Personalentwicklung verfolgen.
Der Hüter des "norwegischen Sparschweins", wie der Staatsfonds auch mal flapsig genannt wird, versucht nichts Geringeres, als neue Rahmenbedingungen für zeitgemäßes Investieren zu definieren. "Gier ist out, Diversität und Klimaziele sind in", beschreibt es Bloomberg- Autor Lars Erik Taraldsen. "Das heißt, dass Arbeitgeber wie der norwegische Staatsfonds heute ein größeres Netz auswerfen müssen, um Talente aufzuspüren."
Genau das macht Tangen. Mit der Überzeugung, dass das Portfoliomanagement von heute kaum mehr mit dem vor zehn Jahren zu vergleichen ist und dass Technologie eine immer größere Rolle spielt. So bezeichnet Tangen den Staatsfonds schon mal als "IT-Business". Um dieses Business besser gegen Cyberangriffe abzuschirmen, sind ihm auch Spezialisten willkommen, die nicht den klassischen Bildungsweg gegangen sind und keine Abschlüsse vorweisen können. Erst jüngst rekrutierte der Staatsfonds solche Mitarbeiter in New York und Singapur.
Genauso wie Tangen unkonventionelle Leute sucht, passt auch der 54-Jährige selbst in keine Schublade. Geboren 1966 in der südnorwegischen Hafenstadt Kristiansand, arbeitete er schon als 16-Jähriger für die örtliche Bank und träumte von einer Karriere als Investor. Zunächst aber leistete er seinen Militärdienst ab und besuchte in dieser Zeit eine Eliteschule der norwegischen Streitkräfte. Dort lernte er Russisch und Verhörtechniken.
Nicht von ungefähr kommt Tangens Interesse, auch Konferenzgespräche mit Unternehmen von forensischen Linguisten analysieren zu lassen. Denn diese könnten möglicherweise am Tonfall oder an der Wortwahl etwas für Investoren Bedeutsames hinter den üblichen Floskeln entdecken. Bereits jetzt, so ist zu erfahren, durchforsten sprachwissenschaftlich geschulte Berater für den Staatsfonds Unternehmensberichte.
Nach seinem Abstecher in die Geheimdienstsphäre wandte sich Tangen wieder mehr der Ökonomie zu und studierte Wirtschaftswissenschaften an der Prestige-Universität Wharton in Pennsylvania. Danach folgten Stationen bei der britischen Investmentbank Cazenove und dem Hedgefonds Egerton Capital. Mit den dort gewonnenen Erfahrungen gründete Tangen 2005 seinen eigenen Hedgefonds AKO Capital in London, mit dem er relativ unbemerkt zu einem der reichsten Norweger wurde. AKO Capital kümmert sich um das Vermögen von Universitäten oder reichen Familien und verwaltet aktuell rund 20 Milliarden Euro.
Nicolai Tangen kann mit Geld umgehen, das ist unbestritten. Doch dass sein Horizont weit über Zahlen und Bilanzen hinausreicht, das macht ihn für viele seiner Landsleute so faszinierend. Neben seinem Studium an der Wharton Business School kann der Norweger auch einen Abschluss in Kunstgeschichte und einen in Sozialpsychologie vorweisen. Ersterer datiert aus den Jahren vor Gründung seines Hedgefonds, Letzteren erhielt er 2017 an der London School of Economics.
Die Lust am lebenslangen Lernen und der Mut, sich immer wieder auf neue Themen einzulassen, zeichnet Tangen aus. Und ebenso seine Gabe, sein vielfältiges Wissen kreativ mit aktuellen Herausforderungen zu verknüpfen. "Während meines Studiums der Sozialpsychologie habe ich mir angesehen, wie man zu guten Entscheidungen kommt", so der Norweger in einem Interview. "Man muss so viele unterschiedliche Meinungen wie möglich in eine Diskussion bekommen. Dann denkt man über Dinge nach, auf die man allein nie gekommen wäre. Am Ende steht eine bessere Lösung, und man verdient mehr Geld."
Den eigenen Wohlstand zu maximieren scheint für Tangen indes nicht das oberste Lebensziel. "Geld verdienen macht Spaß", hat er einmal gesagt, "aber es zu verschenken, macht doppelt so viel Spaß." Vor acht Jahren gründete er mit seiner Frau die AKO Foundation, die Projekte im Bereich Bildung, Kunst und Klimaschutz fördert. Und seiner Geburtsstadt Kristiansand vermachte er vor einigen Jahren einen Großteil seiner Kunstsammlung.
Auch seine Entscheidung, sich als Chef für Norwegens staatlichen Ölfonds, den "Oljefondet", zu bewerben, ist einkommenstechnisch ein massiver Rückschritt. 6,65 Millionen norwegische Kronen, rund 660.000 Euro, beträgt Tangens Jahresgehalt als Staatsangestellter. Eine stolze Summe - in den Augen von Normalverdienern. Aber nicht mal ausreichend, um die Steuern zu bezahlen, die in Norwegen jährlich auf sein Vermögen anfallen.
Nach eigener Aussage zahle Tangen diese Steuern jedoch gern für die "fantastische Ehre", den größten Staatsfonds der Welt managen zu dürfen. Für seinen "Traumjob" war der Norweger sogar bereit, seinen Hedgefonds zu verschenken. Seine 78-prozentige Beteiligung an AKO Capital - Wert: rund eine Milliarde Euro - übertrug er der unabhängigen AKO Foundation. Und sein im Hedgefonds angelegtes Privatvermögen von rund 500 Millionen Euro deponierte er auf Bankkonten und in kurz laufenden Anleihen.
Zu diesem radikalen Schritt hatte sich Tangen entschlossen, nachdem seine Berufung zum Chefverwalter der Ölmilliarden einen Sturm der Entrüstung in dem skandinavischen Land ausgelöst hatte. Aufs Tapet kamen dabei eine opulente Einladung, mögliche Interessenskonflikte und die Steuerethik Tangens.
Ein norwegisches Boulevardblatt enthüllte nämlich, dass Tangen 2019 - im Jahr vor seiner Berufung auf den Staatsfondsposten - eine Reihe einflussreicher Norweger zu einem Luxusseminar in die USA eingeladen hatte. Inklusive eines Privatkonzerts mit Popstar Sting sowie Transfer in gecharterten Boeings.
Das Pikante dabei: Der Einladung folgte auch Yngve Slyngstad, der damalige Chef des Staatsfonds. Dieser hatte nur wenige Wochen vor dem Seminar seinen Rücktritt für den Herbst 2020 erklärt. Viele Norweger fragten sich damals, ob Tangen so seinen neuen Job bekommen habe. Slyngstad erklärte später, er habe mit der Auswahl seines Nachfolgers nichts zu tun gehabt, entschuldigte sich aber für sein Verhalten.
Bald darauf entbrannte eine heftige Debatte um Interessenskonflikte. Tenor: Tangen müsse sein Engagement beim Hedgefonds AKO Capital beenden, wenn er sich künftig ums norwegische Volksvermögen kümmern will. Dieser Forderung kam der dreifache Vater - AKO sind die Initialen von Tangens Kindern - schließlich nach. Zudem versicherte er, seine Steuerverpflichtungen an den norwegischen Staat vollumfänglich zu erfüllen. Kritiker hatten moniert, dass AKO-Fonds häufig in Steuerparadiesen angesiedelt seien.
Seit einem Dreivierteljahr muss Tangen nun beweisen, dass ein ehemaliger Hedgefondsmanager klug und umsichtig mit den Ölmilliarden Norwegens umgehen kann. Unter anderem hat er strengere Investitionsregeln angekündigt. Der Staatsfonds will künftig mehr Unternehmen aus dem Portfolio verbannen, die nicht seinen Kriterien hinsichtlich Ökologie, Sozialstandards und Corporate Governance genügen.
Und Tangens Masterplan für sein eigenes Leben? Das führe er im Sowjet-Style, scherzte der Finanzprofi in einem Interview. "Mit Fünfjahresplänen. Und jetzt ist die Zeit für Dienst an der Allgemeinheit."
Nicolai Tangen wurde 1966 in der norwegischen Hafenstadt Kristiansand geboren. Seine berufliche Karriere ist eng mit London verknüpft, wo er mit seinem eigenen Hedgefonds AKO Capital ein Milliardenvermögen aufgebaut hat. Tangen studierte an der renommierten Wharton Business School in Pennsylvania. Darüber hinaus besitzt er Master-Abschlüsse in Kunstgeschichte und Sozialpsychologie, auch eine Lehre als Koch absolvierte er einmal. Mit seiner Frau Katja gründete der dreifache Vater eine wohltätige Stiftung, die Bildungs-, Kultur- und Klimaprojekte fördert.
Der norwegische "Statens pensionsfond" ist mit einem Anlagevermögen von aktuell knapp 1,1 Billionen Euro der größte Staatsfonds der Welt. Neben dem Teilbereich, der die Mittel der Sozialversicherung verwaltet, gibt es den Staatlichen Pensionsfonds Ausland, der aus dem 1990 gegründeten Ölfonds hervorging. Er nimmt die direkten Einnahmen aus der Erdölförderung auf und investiert diese in ausländische Aktien, Anleihen und Immobilien. Der Staatsfonds hält im Schnitt 1,5 Prozent aller Aktien weltweit, in Europa sind es sogar 2,6 Prozent der Anteilscheine.
Dieser Artikel erschien zuerst am 29.05.2021 auf boerse-online.de
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