Dr. Helmut Becker, Leiter des Instituts für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation (IWK), ist Keynote Speaker beim Fund Forum Hybrid am 7.Juli, für das Sie sich am Ende des Textes anmelden können. Im Interview äußert sich der ehemalige Chefvolkswirt der BMW AG zum problematischen Umstieg auf die Elektromobilität.
31.05.2022 | 12:30 Uhr von «Matthias von Arnim»
TiAM FundResearch: Herr Dr. Becker, Sie haben vor elf Jahren ein Buch geschrieben mit dem Titel „Darwins Gesetz in der Automobilindustrie“, in der Sie begründen, warum deutsche Hersteller zu den Gewinnern zählen. Stehen Sie noch zu dieser Aussage? Oder würden Sie die Überschrift heute neu formulieren?
Helmut Becker: Nein, das müsste ich nicht. Manche Dinge haben Bestand – auch in der Autoindustrie. Wenn ich auf deren Entwicklung blicke, sehe ich nach wie vor eine Evolution. Da gibt es zwar unentwegt neue Trends, aber das ist nichts Neues. Seit der Erfindung des Rades bis zum heutigen Tag haben wir eine endlose Abfolge von evolutionären Entwicklungen in der Mobilität. Die deutsche Automobilindustrie hat in den vergangenen 120 Jahren eine entscheidende Rolle gespielt und wesentliche Impulse gesetzt. Solange man den Markt und nicht die Politik entscheiden lässt, wird das auch in Zukunft so bleiben.
TiAM FundResearch: Wie begründen Sie das?
Helmut Becker: Um die Zusammenhänge zu verstehen, muss man sich das ganze System anschauen. Die Automobilindustrie ist ein Oberbegriff für eine sehr komplexe Branche. Es gibt zum Beispiel auf Seiten der Produzenten die Hersteller und eine endlose Wertschöpfungskette von Zulieferern erster, zweiter und dritter Kategorie bis hin zum Bäcker um die Ecke. Da sind jeweils völlig unterschiedliche Kompetenzen gefragt. Und dann gibt es das Produkt selbst, also das Auto. Das muss immer wieder weiterentwickelt werden, weil es von außen immer wieder technischen Fortschritt gibt, zum Beispiel synthetische Treibstoffe. Und dann gibt es noch den Prozess der Herstellung, der sich fortlaufend ändert. Produkt und Herstellung muss man in der Analyse strikt voneinander trennen.
TiAM FundResearch: Hängen Entwicklung, Herstellung und Vertrieb nicht eng miteinander zusammen?
Helmut Becker: Natürlich benötigen Sie alle drei Bereiche, um ein Auto erfolgreich im Markt zu platzieren. Am Ende ist es der Markt, der über Erfolg und Misserfolg entscheidet. Aber wenn es um Marktanteile und Zukunftsfähigkeit geht, haben sie doch sehr unterschiedliches Gewicht. Um es anschaulich zu machen: Daimler und Benz haben damals das Produkt erfunden, Bosch hat es bedienbar gemacht. Henry Ford hat die Massenfertigung entwickelt, also den Produktionsprozess optimiert. Und Toyota hat das Produktionsprinzip enorm verfeinert und damit die Welt der Automobilindustrie revolutioniert. Aber nur im Bereich der Produktion. Geht es um das Produkt selbst, sind die Deutschen immer noch Weltmeister. Das ist entscheidend. Denn wie man effizient mit Kuka-Robotern produziert, ist mittlerweile Allgemeinwissen. Den Unterschied macht das Produkt.
TiAM FundResearch: Die Deutschen sind vielleicht Weltmeister bei Verbrennerfahrzeugen. Aber hängt Tesla nicht gerade die deutsche Automobilindustrie beim Thema Elektromobilität ab? Ist der Verbrenner-Motor nicht ein Auslaufmodell?
Helmut Becker: Ich danke Ihnen sehr für diese Frage. Sie gibt mir Gelegenheit, mit einem weit verbreiteten Irrtum aufzuräumen. Der Verbrenner ist kein Auslaufmodell. Auslaufmodelle sind der fossile Brennstoff in Form von Benzin und Diesel, von Kerosin und Schwerölen. Leider haben der Vereinfachungszwang und der Schlagzeilentrieb die Presse zu dieser Vereinfachung getrieben.
TiAM FundResearch: Klären Sie uns gerne über die Details auf.
Helmut Becker: Es ist ja mittlerweile unstrittig, dass wir alle umweltschonender leben sollten. Und dass wir dafür sorgen müssen, dass auch unsere Wirtschaft klimaneutral funktioniert. Dazu müssen auch der Verkehrs Sektor und das Automobil beitragen. Aber bedeutet das, dass der Verbrenner dazu nicht in der Lage ist? Es kommt doch nicht darauf an, dass er grundsätzlich etwas verbrennt, sondern was genau er verbrennt. Wenn ich koffeinfreien Kaffee trinken will, muss ich doch nicht meine Kaffeemaschine zerschlagen. Es reicht völlig aus, wenn ich entkoffeiniertes Pulver in den Filter einfülle.
TiAM FundResearch: Um im Bild zu bleiben: Wie stellen Sie sich entkoffeinierten Diesel vor? Wie soll der Verbrenner CO2-neutral werden?
Helmut Becker: Vereinfacht formuliert, nehmen wir Wasserstoff, kippen noch ein bisschen Kohlenstoff und CO2 dazu. Das kommt dann in den „Thermo-Mix“. Die daraus entstehende Liquidität füllen wir als eFuel in den Tank. Fertig. Das Ergebnis nennt sich synthetischer Treibstoff, der entweder mehr benzinähnlich oder mehr dieselähnlich, je nach Rezept, aus dem Mixer kommt. Das kann jeder konventionelle Motor verbrennen. So erreichen Sie eine klimaneutrale Verbrennung.
TiAM FundResearch: Wenn Sie vor der Verbrennung CO2 hinzugeben, ist die Verbrennung doch nicht CO2-frei, oder?
Helmut Becker: Nein, aber CO2-neutral. Und das ist der große Unterschied! Heute verbrennen wir bei jeder Fahrt mit dem Auto, dem Flugzeug oder dem Schiff zusätzlichen fossilen Brennstoff, den wir täglich frisch aus dem Boden holen. Bei synthetischem Treibstoff ist das anders. Da kommt aus dem Auspuff nicht mehr CO2 heraus, als Sie vorher in den Tank gegeben haben. Vereinfacht gesprochen: Bei synthetischem Treibstoff wird bereits vorhandenes CO2 aus der Luft oder aus der Stahlherstellung quasi recycelt, wir produzieren im Verbrennungsprozess also kein neues CO2.
TiAM FundResearch: Warum gilt dann das Elektroauto als Königsweg beim Erreichen der Klimaneutralität?
Helmut Becker: Das weiß der Himmel, da müssen Sie die verantwortlichen Politiker fragen. Die Elektromobilität an sich ist nichts Neues. Die ersten Automobile, die im neunzehnten Jahrhundert im Deutschen Reich entwickelt wurden, wurden von Elektromotoren angetrieben. Die Autos von Tesla sehen modern aus, bauen aber im Wesentlichen auf dem alten Prinzip auf. Neu sind die Batterien und die Batterietechnik. Die Herausforderung besteht im Batteriemanagement. Das ist der Schlüssel. Und man muss sagen: Die deutschen Automobilhersteller sind hier tatsächlich auf dem falschen Fuß erwischt worden. Sie haben die Kraft des Klimawandels schlicht unterschätzt und die Folgen für das Produkt Auto als fossilem Verbrenner. Bei der Batterieentwicklung und -herstellung waren deutsche Firmen mal führend. Das Feld wurde leider zu lange vernachlässigt. Jetzt müssen die Hersteller sich strecken, um hier den Anschluss zu halten. Aber es ist eigentlich der falsche Weg. Er führt in die Sackgasse.
TiAM FundResearch: Warum glauben Sie das?
Helmut Becker: Es bedarf keines Mathematikdiploms, um sich auszurechnen, dass eine komplette Umstellung des weltweiten Individualverkehrs auf Elektromobilität nicht realistisch ist. Und schon gar nicht klimaneutral. Wie wollen Sie so viel grünen Strom produzieren und wie zu den Nutzern bringen, in Tundra und Taiga, in die Wüste, Savanne und in den Dschungel? Überall dort sind heute Autos mit Verbrenner unterwegs. Elektroautos sind nur etwas für hochentwickelte Volkswirtschaften – und dort auch nur für Ballungszentren, nicht für die Landbevölkerung. Es geht hier zudem um insgesamt 1,6 Milliarden Fahrzeuge, die neu gebaut und ebenso viele Fahrzeuge, die verschrottet werden müssten, eine Verschwendung von knappen Ressourcen ohne Ende. Was ist das denn für eine Vorstellung von Klimaschutz?
TiAM FundResearch: Naja, vielleicht fangen wir ja erstmal in Deutschland an…
Helmut Becker: Gerne. Deutschland ist ein Musterbeispiel dafür, was man alles falsch machen kann. Es fängt schon damit an, dass wir als Industriestaat gleichzeitig aus der Kohle- und der Atomkraft aussteigen, ohne dafür Sorge zu tragen, dass wir ausreichend Energie zur Verfügung haben. Das Ziel der fossilfreien Energieerzeugung an sich ist ja richtig. Aber das Timing ist katastrophal. Allein mit Wind- und Sonnenkraft können wir kaum unsere hochentwickelte Volkswirtschaft am Laufen halten. Was machen wir, wenn wir gleichzeitig noch einige Millionen Elektrofahrzeuge auf die Straße bringen? Wo soll der Strom herkommen? Vermutlich aus französischen Atommeilern und polnischen Kohlegruben. Dann füttern wir unsere E-Autos mit Atom- und Kohlekraft. Soll das das Ziel sein? Dass die Stadtbevölkerung guten Gewissens, aber egomanisch emissionsfrei fährt, in Summe der CO2 Ausstoß aber größer ist als mit Verbrenner-Autos? Wie bescheuert kann eine Umweltpolitik denn sein?
TiAM FundResearch: Die neue Regierungskoalition hat mehr Tempo bei der Energiewende angekündigt.
Helmut Becker: Das ist begrüßenswert, hilft aber kaum weiter. Wir werden in Deutschland nicht genügend Energie aus regenerativen Quellen erzeugen können, um unseren wachsenden Energiehunger zu stillen. Man muss also Energie im Ausland erzeugen und nach Deutschland importieren. Das geht nur mit Wasserstoff und seinen Derivaten und ist ein gigantischer logistischer Aufwand. Konzepte liegen vor, Investitionskapital ist in Fülle da. Man muss einfach nur machen. Deutschland war früher einmal ein Land der Macher, der kühnen Entwürfe. Heute ist es zum Land der Bedenkenträger, Einsprüche und Querdenker degeneriert. Wenn ich mir ansehe, wie mühsam der Bau von Stromtrassen in Deutschland voranschreitet, bin ich wenig zuversichtlich, dass wir in Zukunft nicht wieder häufiger abends die Küche mit Kerzen beleuchten müssen und Mensch-ärgere-dich-nicht spielen anstatt den Fernseher in Gang zu setzen. Der komplette Umstieg auf Elektromobilität im Individualverkehr ist vor diesem Hintergrund eine Utopie.
TiAM FundResearch: Auch synthetische Treibstoffe müssen erzeugt und transportiert werden.
Helmut Becker: Richtig. Aber das ist kein Hirngespinst. Die Konzepte stehen, die Verfahren sind bekannt, die Logistik ist bereit. Weltweit werden bereits Anlagen zur Herstellung von synthetischen Treibstoffen gebaut. Ihr Vorteil: Sie können genauso abgefüllt und transportiert werden wie die fossilen Treibstoffe. Die Lieferwege müssen nicht neu erfunden werden. Und der Weg zur Tankstelle und von dort in den Autotank in gewohntem Zweitaufwand bleibt derselbe. Mit anderen Worten: Die Infrastruktur steht bereits.
TiAM FundResearch: Die Erzeugung synthetischen Treibstoffs kostet aber Energie. Diese wiederum muss auch erstmal erzeugt werden. Das Verfahren gilt als ineffizient.
Helmut Becker: Das ist absolut richtig, die Produktion von eFuel ist ineffizienter, weil stromintensiver und wird dadurch buchhalterisch erheblich teurer. Denn man kann synthetischen Treibstoff nicht einfach zum Nulltarif ohne Entgelt für Mutter Erde aus dem Boden holen, sondern man muss sie aus regenerativen Energien erzeugen. Die rein betriebswirtschaftliche Kostensicht ist aber falsch! Für mich kommt es auf die volkswirtschaftlichen Kosten an. Volkswirtschaftlich gehen die Kosten des Klimawandels durch zusätzliches CO2 in die Billionen. eFuels kosten nur einen Bruchteil davon. Man muss die Aufgabe nur richtig angehen. Nötig sind viel Wasser, Kohlenwasserstoffe und viel, viel Sonnenenergie. Große Solaranlagen können wir hierzulande zwar nicht bauen. Aber in Saudi-Arabien zum Beispiel gibt es viel Platz dafür. Dort entstehen bereits große Anlagen und Produktionskapazitäten für synthetische Treibstoffe. Ebenso in Lateinamerika. Auch deutsche Energiekonzerne haben das Potenzial erkannt und investieren weltweit.
TiAM FundResearch: Zu welchem Preis würde ein Liter synthetischer Treibstoff an die Tankstelle kommen?
Helmut Becker: Ein Liter davon ist heute noch etwa fünfmal so teuer wie ein Liter Diesel. Aber die Produktion wird mit wachsenden Econimies of Scale schnell effizienter. Perspektivisch sollte es bis 2030 Preisparität geben.
TiAM FundResearch: Mal angenommen, der synthetische Treibstoff würde sich durchsetzen: Muss man dann nicht Millionen an Fahrzeugen umrüsten?
Helmut Becker: Nein, nur marginal, aber technisch ist das ohne hohe Kosten machbar. Auch heute wird dem Benzin in Deutschland bereits synthetischer Treibstoff aus Biomasse beigefügt. Ganz Brasilien ist damit schon unterwegs. Nicht der Treibstoff ist das Problem, sondern der politische Wille. Und eFuel ist als klimaneutraler Treibstoff in Deutschland in der Umweltbilanz anerkannt. So wie heute auch schon – unausgesprochen – Atomstrom aus Frankreich zum Betrieb von E-Autos auf deutschen Straßen.
TiAM FundResearch: Herr Dr. Becker, vielen Dank für das Gespräch.
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