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Ampel-Aus: „It‘s the economy, stupid“ – und das gilt auch für Deutschland"

Ungewisse Aussichten für Bundeskanzler Olaf Scholz
Regierung

Das Ende der Ampel-Koalition in Berlin sorgt für Unruhe auch in der Finanzbranche. Gleichzeitig wird analysiert, wie es politisch und wirtschaftlich weitergehen könnte. TiAM FundResearch hat die wichtigsten Reaktionen der Experten für Sie gesammelt.

07.11.2024 | 15:00 Uhr von «Peter Gewalt»

DWS-CIO Björn Jesch analysiert die Folgen des Endes der Berliner Ampelkoalition für die Anlagemärkte wie folgt:

[...] „Insgesamt rechnen wir mit überschaubaren Reaktionen an den Märkten, auch wenn es mittelfristig Aktien etwas Rückenwind und Anleihen leichten Gegenwind gewähren könnte.

Anleihen und Währungen:

Die Renditen deutscher Bundesanleihen haben sich unter dem Eindruck rückläufiger Inflationszahlen und schwächerer Wirtschaftszahlen seit Anfang Sommer abwärts bewegt, konnten sich jedoch seit Anfang Oktober dem von US-Staatsanleihen ausgehenden Renditeschub nicht entziehen. Auch die US-Wahl konnte daran wenig ändern, auch wenn die von der neuen US-Regierung geplanten Zölle auf dem deutschen Wirtschaftswachstum lasten könnten. Die Haupttreiber für deutsche Anleiherenditen dürften weiterhin der Wirtschaftsausblick, die Inflationsentwicklung und am kurzen Ende das Zinssenkungstempo der Europäischen Zentralbank (EZB) bleiben. Dass die Aussicht auf einen Regierungswechsel zu einem Renditeanstieg führen könnte, da mit Mehrausgaben gerechnet werden könnte, halten wir eher für unwahrscheinlich. Auf 12-Monatssicht rechnen wir weiter mit einem Renditerückgang deutscher Staatsanleihen und einer leichten Versteilerung der Zinskurve.

Aktien:

Auch der deutsche Aktienmarkt wird vorerst stärker von der US- als der deutschen Politik geprägt. Die drohenden Zölle sowie das globale Wachstumsbild, insbesondere in der verarbeitenden Industrie, prägen den Dax. Doch sollte nach der Neuwahl eine wirtschaftsfreundlichere Politik eingeschlagen werden, halten wir eine Bewertungsausweitung in Deutschland über die nächsten zwölf Monate für wahrscheinlich, auch wenn die Gewinnschätzungen erst mit deutlicher Verzögerung angehoben werden würden. Dabei schließen wir jedoch nicht aus, dass Teile der Anleger schon aufgrund der Aussicht auf eine neue Regierungskoalition dem deutschen Markt gegenüber wieder freundlicher gesinnt sein könnten, auch wenn die Auswirkungen eines Regierungswechsels sich frühestens Ende 2025 zeigen dürften. Angesichts der globalen Ausrichtung des Dax dürften jedoch eher Nebenwerte davon profitieren."


Zu den Herausforderung Deutschlands nach dem Ende der Berliner Regierungskoalition meint Edgar Walk, Chefvolkswirt von Metzler Asset Management:
[...] „Deutschland steht vor erheblichen Herausforderungen, darunter hohe Energiepreise, eine schwache technologische Position und die Notwendigkeit einer Reform des sozialen Sicherungssystems. Es ist dringend notwendig, sich von der Fokussierung auf den Export zu lösen und die Binnennachfrage durch Konsum und Investitionen zu stärken.

Dies könnte meiner Ansicht nach erreicht werden durch folgende Maßnahmen:

  • Schuldenbremse abschaffen: Um mehr Spielraum für öffentliche und private Investitionen zu schaffen.
  • Sozial- und Rentensystem reformieren: Kürzungen in den Renten und im Bürgergeld, um Anreize zur Arbeitsaufnahme zu erhöhen.
  • Einwanderer effizienter integrieren: Maßnahmen zur besseren Arbeitsmarktintegration seien notwendig.

[...]

Modernisierung und Bürokratieabbau

Ein umfassender Bürokratieabbau und eine Modernisierung des Wirtschaftsstandorts Deutschland sind notwendig. Dies umfasst meiner Meinung nach auch die Möglichkeit, Atomkraftwerke erneut in Betracht zu ziehen und in die Energiewende zu investieren, um Energiepreise langfristig zu senken und die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.

Fazit

Insgesamt sehe ich das Ende der Ampelkoalition als eine Chance, dringend notwendige wirtschaftliche und politische Reformen in Deutschland anzugehen, die Wachstum und Stabilität fördern könnten. Eine neue Regierung sollte sich daher auf Investitionen, Reformen im Sozialsystem und die Stärkung der Binnenwirtschaft fokussieren, um das Land auf eine zukunftsfähige Basis zu stellen.“


Zum Scheitern der Ampelregierung erklärt Marija Kolak, Präsidentin des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR):
„Deutschland braucht schnellstmögliche Entscheidungen und klare Verhältnisse, die nur durch unverzügliche Neuwahlen geschaffen werden können. Das ist eine Verantwortung, die jetzt alle politischen Mandatsträger ernst nehmen müssen. Die internationalen Herausforderungen benötigen starke politische Antworten, dies gilt ganz besonders angesichts des Ukrainekriegs und im Nachgang der US-Präsidentschaftswahl. Deshalb muss Deutschland in der Lage sein, mit seinem vollen politischen Gewicht auf europäischer Ebene die Zukunftsstrategien für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union und für die Sicherheitspolitik mitzugestalten.
Genauso dringend müssen in Deutschland wirksame Maßnahmen zur Verbesserung der Standortbedingungen auf den Weg gebracht werden. Ohne eine neue Priorisierung der Ausgaben wird eine nachhaltige Erhöhung der Wachstumskräfte nicht möglich sein.
Deutschland braucht eine überzeugende wirtschaftspolitische Gesamtstrategie, an der sich die Politik in den kommenden Jahren orientieren kann und die den Bürgerinnen und Bürgern sowie den Unternehmen Planungssicherheit gibt. Der gewaltige Investitionsstau in Deutschland kann nur durch stärkere Investitionsanreize, Bürokratieabbau und ein klares wirtschaftspolitisches Zukunftsbild aufgelöst werden.“


Prof. Dr. Jan Viebig, Chief Investment Officer, ODDO BHF SE, sagt zum Bruch der Ampelkoalition:
„Das Zerwürfnis zwischen den Regierungsparteien in Deutschland hat am Mittwochabend zum Bruch der Ampelkoalition zwischen SPD, FDP und Grünen geführt. Damit ist die Ampelkoalition nach drei Jahren gescheitert. SPD und Grüne führen nun eine Minderheitsregierung, bis Scholz über eine Vertrauensfrage Neuwahlen herbeiführen wird. Deutschland steht vor großen wirtschaftspolitischen Herausforderungen und benötigt zeitnah Neuwahlen.

Wir erwarten bei den Neuwahlen einen politischen Schwenk nach rechts. In der aktuellen Forsa-Wahlumfrage vom 5. November liegen CDU und CSU bei 33 Prozent. Es folgen die AfD und die SPD mit jeweils 16 Prozent. Die Grünen erreichen 10 Prozent und das Bündnis Sahra Wagenknecht 6 Prozent. FDP und die Linke kommen auf jeweils 3 Prozent. Damit ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der Kanzlerkandidat von CDU und CSU, Friedrich Merz, die nächste Bundesregierung als Kanzler führen wird.

SPD und Grüne werden nun versuchen, im Bundeshaushalt 2025 die Schuldenbremse auszusetzen. Die jetzige Regierung war und ist nicht bereit, staatlichen Konsum durch höhere Investitionen zu ersetzen und die Wirtschaft zu deregulieren.

Die wirtschaftspolitischen Notwendigkeiten für den Standort Deutschland liegen auf der Hand. Die deutsche Wirtschaft leidet unter einer überbordenden Bürokratie und einer überzogenen Regulierung. Die großen Belastungen, mit denen die Unternehmen durch ein komplexes Steuersystem, hohen Steuern, Fachkräftemangel und hohen Energiepreisen zu kämpfen haben, müssen reduziert werden.

Schon heute profitieren die Aktien amerikanischer Unternehmen gerade im Vergleich zu deutschen von einer strukturell höheren Kapitalrendite, einer großen Innovationskraft und einem höheren Potenzialwachstum der Wirtschaft insgesamt. Durch die Wirtschaftspolitik, die der kommende US-Präsident Donald Trump angekündigt hat, drohen sich die Rahmenbedingungen zwischen den USA und Deutschland weiter zum Nachteil Deutschlands zu verschlechtern. Die Aufgabe der deutschen Politik muss es sein, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft wiederherzustellen. Dazu ist eine klare Priorisierung der Staatsausgaben unerlässlich."


Sandra Rhouma, European Economist – Fixed Income bei AllianceBernstein, kommentiert das Ampel-Aus wie folgt:
„Der zur Diskussion stehende Haushalt für 2025 impliziert eine Straffung der Finanzpolitik um 0,75 Prozent im kommenden Jahr. Die vorgezogenen Neuwahlen haben zwar die Hoffnung auf mehr fiskalische Unterstützung für die Wirtschaft geweckt, bedeuten aber gleichzeitig ein höheres Risiko für eine weitere Straffung der Finanzpolitik im Jahr 2025 und darüber hinaus. In der Zwischenzeit dürfte die Phase bis zu möglichen Wahlen im Frühjahr die Unsicherheit und die Abwärtsrisiken für die deutsche Wirtschaft erhöhen.

Bis zum Jahresende dürfte der Fokus der Regierung auf dem Haushalt 2025 liegen. Die beiden verbleibenden Ampelparteien SPD und Grünen werden wahrscheinlich daran arbeiten, eine Mehrheit für die Verabschiedung des Haushalts zu finden. Falls dies nicht gelingt, würde ein vorläufiger Haushalt auf Grundlage der Ausgaben von 2024 in Kraft treten. Dann würde erst ein vollständiger Haushalt verabschiedet werden, wenn eine neue handlungsfähige Regierung im Amt ist (April/Mai 2025 gemäß dem oben genannten Zeitplan).

Die CDU hat sich klar gegen eine Reform der Schuldenbremse ausgesprochen. Diese würde eine Zweidrittelmehrheit erfordern. Die Schuldenbremse begrenzt die Neuverschuldung des Bundes auf 0,35 Prozent des BIP pro Jahr. Damit wird sie als starkes Hindernis gesehen, wenn es darum geht, die deutsche Wirtschaft, insbesondere den Industriesektor, anzukurbeln. Aus dem Programm der CDU geht hervor, dass sie Maßnahmen umsetzen würde, die auf angebotsseitige Arbeitsmarktreformen und Steuersenkungen abzielen. Die Messlatte liegt daher hoch, wenn es darum geht, ihre Ansichten zur Schuldenbremse zu ändern. Eine Alternative wäre, die Ausweichklausel auszulösen und die Schuldenbremse für ein Jahr auszusetzen, was den fiskalischen Spielraum für diesen bestimmten Zeitraum vergrößern würde. In diesem Fall würden die fiskalpolitischen Debatten in Deutschland weitergehen und die Abwärtsrisiken für die Wachstumsaussichten fortbestehen."


Christian Subbe, Geschäftsführer und Chief Investment Officer von HQ Trust, zu den Konsequenzen des Aus der Ampelkoalition und dem Sieg von Donald Trump bei den US-Wahlen:
„Es war der Tag des doppelten Weckrufs. Die Wahl von Donald Trump war ein Weckruf für Europa, das Ampel-Aus einer für Deutschland. Hoffen wir, dass beide erhört werden.“

„Außerdem wurden gleich zwei Regeln bestätigt: Die Wahlprognosen, die ein Kopf-an-Kopf-Rennen prognostiziert haben, waren mal wieder falsch. Umso richtiger war dafür „It‘s the economy, stupid“ – und das gilt auch für Deutschland.“­

Reaktion der Märkte

„Die Reaktion der US-Börsen bestätigt unsere Analyse positiver US-Aktienmärkte in Folge einer Wahl. In der Vergangenheit brachten die zwölf Monate nach einer Präsidentschaftswahl im Mittel überdurchschnittliche Renditen für Aktien- und Rentenanleger.“

„Auf das Ende der Ampelkoalition reagierten die Märkte kaum. Die initiale Erholung des DAX könnte als Zeichen der Erleichterung gedeutet werden, dass eine neue Regierung dringend notwendige Reformen anstoßen könnte.“


Carsten Mumm, Chefvolkswirt bei der Privatbank DONNER & REUSCHEL, analysiert das Ende der Berliner Regierungskoalition wie folgt:
„Das Ende der Ampel-Regierung war überfällig und kam insofern nicht allzu überraschend. Eventuell hätte man nicht den Tag der Wiederwahl Donald Trumps nehmen sollen, um ihm nicht einen ersten vermeintlichen Triumph zu gönnen? Allerdings dürften die USA derzeit kaum Notiz von einer Regierungskrise in Deutschland nehmen. Womit wir bei einem der größten Probleme der Politik und des Standorts Deutschlands sind: die drohende Bedeutungslosigkeit. Daher ist ein politischer Neuanfang in Berlin zu begrüßen. Es war schon lange zu offensichtlich, dass die Ampel-Koalition keine wesentlichen Entscheidungen treffen konnte und das in einer Zeit, in der reihenweise grundlegende Neuausrichtungen von Unternehmen und vor allem auch von der Politik gefragt sind. Wir gehen davon aus, dass eine neue Regierung bei einigen Themen gänzlich andere Akzente und Schwerpunkte setzen wird – selbst, wenn eine der heutigen Ampel-Parteien dieser angehören sollte. Energiewende, Sicherheit, Migration, Infrastruktur, Technologie – man könnte die Liste der dringend anzupackenden To-dos noch verlängern. Ein schnellstmöglicher Neustart wäre wünschenswert, denn die Zeit drängt. In den USA, in China, Russland, Israel und an weiteren Brennpunkten werden tagtäglich Fakten geschaffen, die Deutschland gerade nicht aktiv mitgestalten kann. Bis zum Start der neuen US-Regierung am 20. Januar sollte Deutschland idealerweise ebenfalls wieder voll handlungsfähig sein. Jetzt besteht die Chance eines ökonomischen und politischen Aufbruchs, idealerweise in enger Koordination mit der Wirtschaft, aber auch zusammen mit der neuen EU-Kommission und anderen Staaten Europas."

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