Das knappe Angebot macht das schwarze Gold extrem teuer. Der Ausbau der Kapazitäten dauert. Wie Investoren agieren.
17.03.2022 | 12:30 Uhr von «Klaus Schachinger»
Der US-amerikanische Präsident Joe Biden erhöht den Druck auf das Regime von Wladimir Putin und hat den Stopp von Öl- und Gaslieferungen aus Russland verfügt. Ein mutiger Schritt mit erheblichem Risiko: Mit rund einem Fünftel des weltweiten Öl- und Gaskonsums sind die USA der größte Verbraucher dieser fossilen Rohstoffe.
Vor allem dank des Frackings ist die größte Volkswirtschaft der Welt aber auch der weltweit größte Ölproduzent. Bei der ökologisch umstrittenen Technologie werden die Rohstoffe mit Chemikalien und Wasser unter hohem Druck aus ölhaltigem Schiefergestein gelöst. Wenig überraschend begrüßt Scott Sheffield, Chef von Amerikas größtem Frackingkonzern Pioneer Natural Resources, den Boykott. Jedoch warnte er auch, dass die USA die Öl- und Gasimporte aus Russland in diesem Jahr wohl nicht ausgleichen können.
Gegenwärtig werden in Amerika laut Sheffield 11,6 Millionen Barrel pro Tag gefördert, deutlich weniger als die 13 Millionen Barrel 2019 vor dem Ausbruch der Pandemie. In diesem Jahr werde die tägliche Förderung in Amerikas größter Frackingregion im Westen von Texas um 700.000 Barrel erhöht, 2023 und 2024 nochmals deutlich um 1,4 Millionen Barrel.
Das werde jedoch nicht reichen, um Lieferungen aus Russland auszugleichen, sagte Branchenkenner Sheffield der "Financial Times". Auch die USA seien auf eine globale Koordination von Ersatzlieferungen angewiesen.
Vor dem Krieg in der Ukraine lieferte Russland "rund fünf Millionen Barrel pro Tag" ins westliche Ausland, schätzt der Konzernchef. China könnte einen Teil der fehlenden Importe ausgleichen, dennoch blieben "zwei bis 2,5 Millionen Barrel täglich" übrig, so Sheffield.
Seine Firma Pioneer will die Produktion in diesem Jahr um bis zu fünf Prozent erhöhen. In der Branche bremsen währenddessen Engpässe an vielen Ecken den Ausbau der Förderung: beim Personal, bei der Ausrüstung, sogar der ölhaltige Schiefer soll in einigen Regionen knapp sein.
An den Börsen sind die Aktien von Ölkonzernen und ihren Ausrüstern wie Halliburton und Schlumberger die neuen Favoriten der Anleger. Die Indizes des Energiesektors legten seit Jahresbeginn in Europa und den USA um jeweils gut elf und sogar 39 Prozent zu. Die branchenübergreifenden Aktienbarometer Stoxx Europe 600 und S & P 500 büßten währenddessen mehr als elf Prozent und sieben Prozent ein.
An der Wall Street besonders im Fokus steht Texas’ größter Frackingspezialist Occidental Petroleum. Amerikas bekannter Investor Carl Icahn nutzte die deutlichen Wertzuwächse bei Occidental, um den Rest seiner Beteiligung von einst zehn Prozent zu verscherbeln. Investorenlegende Warren Buffett erhöhte währenddessen seinen Anteil und verfügt nach Angaben seines Beteiligungskonzerns Berkshire Hathaway nun über 9,7 Prozent an Occidental im Wert von mehr als fünf Milliarden Dollar.
Buffett hatte Occidental-Chefin Vicki Hollub im Sommer 2019 mit einem Kredit über zehn Milliarden Dollar geholfen, den US-Konkurrenten Anadarko zu übernehmen. Bei dem Deal überbot der Konzern aus Houston Amerikas zweitgrößten Ölförderer Chevron. Als der Ölpreis im März 2020 auf historische Tiefs absackte, stieg Investor Icahn bei Occidental ein, kritisierte die Übernahme von Anadarko als überteuert und forderte den Rücktritt von Chefin Hollub.
Seinen Anteil von zehn Prozent hat Icahn zu Kursen von unter zehn Dollar erworben. Aktuell notiert die Aktie bei 57,50 Dollar - der Investor hat seinen Einsatz also vervielfacht. Hollub blieb an Bord, reduzierte die Kosten deutlich und erweiterte Occidentals aktionärsfreundliche Politik erheblich.
Im Gegensatz zu Europas Energieriesen sind nur wenige US-Konzerne in Russland präsent. Primus Exxon Mobil, bisher auf der rohstoffreichen Insel Sachalin im Norden des Japanischen Meers in einem Joint Venture mit dem russischen Staatskonzern Rosneft engagiert, stieg nun aus Protest gegen den Krieg aus dem Projekt aus. Zudem stoppte der Konzern alle Investitionen in Russland. Bei Amerikas größten Zulieferkonzernen und Dienstleistern im Ölgeschäft, Schlumberger, Halliburton und Baker Hughes, gibt es bisher keine Anzeichen für einen Rückzug aus Russland.
Schlumberger, die international breit aufgestellte Nummer 1, fährt nach Schätzungen der Bank JP Morgan acht Prozent des Umsatzes in Russland ein. Bei Halliburton sind es laut JP Morgan "deutlich weniger", bei Baker Hughes nur zwei Prozent. JP Morgan geht davon aus, dass die Dienstleister in Russland bleiben werden. Schlumberger könnte aber durch seinen signifikanten Anteil des Russland-Geschäfts durch die Abwertung des Rubels belastet werden.
Den nahezu geschlossenen Rückzug europäischer Energieriesen aus Russland - BP, Shell und die norwegische Equinor - haben Anleger nach einem kurzen Schock wegen drohender Abschreibungen in den Bilanzen nun akzeptiert. BP unterhält das größte Russland-Engagement, auch in Form einer Beteiligung von knapp 20 Prozent am Staatskonzern Rosneft. Hier sind Abschreibungen von bis zu 25 Milliarden Dollar möglich. Zudem liefert Russland ein Fünftel von BPs Gewinn mit der Förderung von Öl und Gas.
Auch Frankreichs Öl-und Gasriese Totalenergies ist in dem großen Land über einen 19,4-Prozent-Anteil an Novatek engagiert. Der russische Spezialist für Flüssiggas (LNG) ist jedoch kein staatliches Unternehmen, anders als BP-Partner Rosneft und bei Shell der Erdgaskonzern Gazprom. Vor allem deshalb wollen sich die Franzosen aus der Region, die einen signifikanten Beitrag zum Geschäft liefert, vorerst nicht zurückziehen.
Die Aktienkurse der europäischen Öl- und Gasmultis, auch jene von BP und Totalenergies, ziehen wieder an. Besonders stark Shell und Equinor, weil beide vergleichsweise wenig Geschäft in Russland haben. Bei Shell sind rund vier Prozent des Gewinns betroffen, bei Equinor macht Russland ein Prozent des Umsatzes aus. Die Norweger sind Europas zweitgrößter Gaslieferant. Die Aussicht auf steigende Gewinne durch die Rekordpreise für diesen Rohstoffe dürften die Kurse zusätzlich beflügeln.
So schreibt Equinor schon ab 35 Dollar pro Barrel Gewinn. Die von den Norwegern beim Durchschnittspreis von 60 Dollar pro Barrel in Aussicht gestellten jährlichen Mittelzuflüsse von 35 Milliarden Dollar bis 2026 sind im Vergleich zu den vergangenen sechs Jahren doppelt so hoch.
INVESTOR-INFO
Der zusätzliche, deutliche Preisschub für Öl und Gas durch Wladimir Putins Krieg in der Ukraine beschert den Energiesektor-Indizes in den breiten Aktienbarometern S & P 500 und Stoxx Europe 600 zusätzlichen Schub. Die amerikanischen und europäischen Energie-Indizes enthalten jeweils die großen Ölkonzerne und deren Zulieferer sowie Unternehmen aus dem Sektor regenerative Energien. So sind etwa im ETF iShares Stoxx Europe Oil & Gas (WKN: A0H 08M) neben Shell und Co auch Vestas Wind und Siemens Energy enthalten. Amerikas Energiesektor spiegelt der ETF iShares S & P 500 Energy (WKN: A14 2NX) wider. Seit Jahresbeginn legte der europäische Energie-ETF knapp elf Prozent zu, der ETF auf den S & P-500-Energie-Index gut 40 Prozent.
Dieser Artikel erschien zuerst am 16.03.2022 auf boerse-online.de
Diesen Beitrag teilen: