Braucht Deutschland den Euro?

Handelserleichterungen des Euro für deutsche Wirtschaft weniger wichtig. Aufwertung einer D-Mark schwächt Wachstum.

18.07.2012 | 07:45 Uhr

Überlebt der Euro die Krise, steht das Ende der Gemeinschaftswährung kurz bevor – und welche Auswirkungen hätte ein Zerfall auf Deutschland? FundResearch gibt Antworten auf ein brisantes Thema. „Jeder zweite Deutsche wünscht sie die D-Mark zurück“, titelte die BILD-Zeitung. „Europa braucht zwei Währungen“, glaubt Hans-Olaf Henkel, ehemaliger BDI-Präsident. „Der Euro ist die Grundlage unseres Wohlstands“, wird Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht müde zu betonen.

Fest steht: Der Zerfall einer Währungsunion von 17 souveränen Staaten wäre ein Novum. Zwar sind in den vergangenen 100 Jahren schon verschiedene Gemeinschaftswährungen – wie Österreich-Ungarn 1927, die Sowjetunion zwischen 1992 und 1994 oder Jugoslawien im gleichen Zeitraum – zerbrochen. Die Gründe waren jedoch immer politischer Natur. Das Ende der Europäische Währungsunion (EWU) liefe dagegen auf ökonomische Gründe heraus. Das hat es in der Geschichte noch nicht gegeben. Ebenso wenig gibt es Erfahrungen mit Ländern, deren Währung anschließend aufgewertet wurde. Dies aber wäre bei Deutschland vermutlich der Fall.

Eurozone: Zerfall aus ökonomischen Gründen wäre ein Novum

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Griechenland: Drachme würde abwerten – Rezession – doch dann käme die Erholung

Mit Griechenland steht ein Mitglied der EWU am Rande eines Austritts. Für weitere Staaten wäre dieses Exempel in den Details komplett different, in der Tendenz aber ähnlich. Die Hellenen wären – anders als Deutschland – ein Kandidat für die Abwertung einer neuen nationalen Währung. Mit ähnlichen Konstellationen haben Ökonomen in der Vergangenheit bereits Erfahrungen machen können: So hat das ifo-Institut ein ähnliches Szenario durchgespielt und hierfür sämtliche Staaten herangezogen, die seit 1980 eine Währungskrise durchliefen und dabei abwerten mussten.  „Nach dem Beginn der Abwertung mussten die Länder im Durchschnitt noch ein Jahr lang sinkende Wachstumsraten hinnehmen, bevor die wirtschaftliche Erholung einsetzte“, heißt es in der ifo-Studie „Austritt Griechenlands aus der Europäischen Währungsunion“. Der Vorkrisentrend sei erst nach durchschnittlich zwei Jahren wieder erreicht worden. Die Leistungsbilanzsalden hätten sich im Durchschnitt jedoch innerhalb eines Jahres verbessern können. Nach der Schulden- und Währungskrise in Argentinien im Jahr 2002 habe das Land bereits ein Quartal nach Freigabe des Wechselkurses die Rezession überstanden. In Thailand, nach der Asienkrise 1997, und in Italien, nach dem Austritt aus dem Europäischen Währungssystem 1992, hielt der ökonomische Niedergang noch über ein Jahr an, bevor sich die Volkwirtschaft erholte: „Alle drei Länder konnten im Jahr der Abwertung bzw. im Folgejahr Leistungsbilanzüberschüsse realisieren“, so die ifo-Analysten. Die griechischen Probleme seien jedoch ungleich größer: Weder die Leistungsbilanzdefizite, noch die Staatsschulden- sowie Auslandsverschuldungsquoten waren in den drei Beispielfällen derart hoch wie in Griechenland. „Dies spricht dafür, dass Griechenland im Fall eines Austritts aus der Europäischen Währungsunion nicht nur ein längerer Anpassungsprozess, sondern auch eine deutlichere Abwertung bevorsteht“, heißt es aus dem ifo-Institut. 

Abwertung kann Leistungsbilanz verbessern

Für griechische Exporte würde eine Abwertung allerdings bis zu einem gewissen Grad stimulierend wirken. Der Zuwachs des Warenexports dürfte nach Ansicht der Münchner Experten zwar eher gering ausfallen. Der Dienstleistungsexport werde aber deutlich profitieren. Auf der Importseite verteuerte eine Abwertung die Einfuhr von Gütern und Dienstleistungen z.B. aus Deutschland. „Wenn der damit verbundene Rückgang der Nachfrage nach ausländischen Produkten groß genug ist, ist bereits kurzfristig eine deutliche Verbesserung der Leistungsbilanz möglich“, erwarten die Münchner Volkswirte. Aus der Sicht Deutschlands jedoch: Während der Rezession kann weniger nach Griechenland exportiert werden. Zieht die Konjunktur wieder an, käme es wohl auf die Qualität der deutschen Produkte an. Bliebe diese hoch, wären wieder anziehende Exporte nach Hellas auch bei höheren Preisen zumindest möglich.

Wie hoch Griechenlands Währung abwerten müsste, darüber gibt es nur Schätzungen:  Diese lägen bei 20 bis 30 Prozent – nach den historischen Erfahrungen mit externen Abwertungen könne der reale Abwertungsbedarf aber eher bei 50 Prozent liegen, so die ifo-Experten. 

Deutschland: D-Mark würde aufwerten – höhere Zinsen – starke Wachstumsverluste

Würde der Euro zerbrechen und es in Deutschland wieder die D-Mark geben, wäre eine starke Aufwertung gegenüber anderen europäischen Währungen naheliegend. Mit diesem Szenario hat sich ein Expertenteam der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) befasst. Dabei gehen die Volkswirte davon aus, dass in sämtlichen Ländern der heutigen Eurozone nationale Währungen bestünden und die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in allen Staaten den tatsächlichen Gegebenheiten entspreche. Die Divergenzen zwischen den Ländern nähmen also zu und einige Länder – vor allem Deutschland – zeigten sehr starkes Wachstum, wohingegen andere in Krisensituationen gerieten und mit hohen Defiziten, zunehmender Verschuldung und schwachem Wachstum, bzw. wirtschaftlichem Siechtum zu kämpfen hätten.

In diesem Umfeld käme es zu einer Aufwertung des effektiven Außenwertes der neuen deutschen Währung (wahrscheinlich D-Mark). Die Aufwertung läge schätzungsweise bei zehn bis 20 Prozent. In der Studie wird der Mittelwert von 15 Prozent angenommen. Mit Blick auf den Schweizer Franken sei dies eine moderarte Annahme: „Die Währung eines Landes mit prosperierender Wirtschaft und stabilen ökonomischen und wirtschaftlichen Verhältnissen kann in Phasen erhöhter Unsicherheit bzw. Krisen in anderen Ländern noch viel deutlicher aufwerten“, sagen die KfW-Analysten. So oder so: Eine Währungsaufwertung von 15 Prozent, gegenüber der tatsächlichen BIP-Entwicklung, führe zu einem Wachstumsverlust von 1,7 Prozent in zwei Jahren. Oder: zu einem Minus von etwa 0,85 Prozent jährlich.

Neben einer Aufwertung käme es auch zu steigenden Zinsen. Dies wiederum würde sich auf Investitionen auswirken. „Es wird angenommen, dass unter der Annahme einer separaten Währung für Deutschland die Notenbankzinsen um 100 bis 150 Basispunkte höher lägen als es unter den Euro-Bedingungen tatsächlich der Fall war“, heißt es in der KfW-Studie. Der isolierte Wachstumsdämpfer auf das BIP aus einem Anstieg der Notenbankzinsen um den Mittelwert von 125 Basispunkten (entspricht 1,25 Prozent) betrage etwa 0,6 Prozent ein Jahr später. Zusammengenommen bis an diese Stelle: Die Effekte der Aufwertung und der steigenden Zinsen führten zu einem um 2,3 Prozent niedrigeren realen Zuwachs in zwei Jahren als es derzeit in der EWU der Fall ist. Pro Jahr um mindestens 1,15 Prozent, wenn linear gerechnet wird. Klar ist auch: Dabei würde es vermutlich nicht bleiben. Eine höhere Aufwertung der D-Mark könnte ein Szenario sein. Dies führte ggf. zu stärkeren BIP-Verlusten. Zurückgehende Importe nach Europa würden Arbeitsplätze und weiteres Wachstum kosten.

Nur zur Info an dieser Stelle: Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel geht für 2013 von einem Wirtschaftswachstum von 1,7 Prozent in Deutschland aus. Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung in Düsseldorf ist hingegen weit weniger optimistisch: Aufgrund der Schuldenkrise werde das BIP nur um 0,3 Prozent wachsen. Die oben erwähnten Minimaleffekte würden also bei einem Euro-Zerfall für Deutschland die sichere Rezession bedeuten. 

Handelserleichterungen durch Euro nicht so wichtig

Interessant ist die Bewertung der deutschen Wirtschaft:  Die Kienbaum Consultants International GmbH. Das Stuttgarter Unternehmen hat 250 Führungskräfte von Unternehmen aus verschiedenen Branchen befragt. Auf die Frage, welche Vorteile der Euro für die Unternehmen gebracht habe, gab eine Mehrheit von 19 Prozent den Wegfall von Währungsrisiken an. Auffällig: Die Antwort „Bessere Ex- und Importbedingungen“ rangiert mit 8,1 Prozent nur an fünfter Stelle. Einen höheren Stellenwert haben für die Führungskräfte die Vereinfachung des Zahlungs- und Warenverkehrs im Euro-Raum (18,5 Prozent), die Preis-Transparenz und –Vergleichbarkeit (13,7 Prozent) sowie die Stabilität (9,0 Prozent).

„Bessere Ex- und Importbedingungen“ nur an fünfter Stelle

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Quelle: Kienbaum Managements Consultants GmbH

Der einheitliche Währungsraum sei auch für die Finanzwirtschaft ein wichtiger Wettbewerbsvorteil, so die Kienbaum-Berater. Den Banken werde der Marktzugang erleichtert. Die gesamte Preisgestaltung, der Marktangang sowie Risikobewertungen würden durch die einheitliche Währung erleichtert. Zerbreche der Euro in nationale Währungen, fehle diese Zugangsprivilegierung. Zudem hätten deutsche Banken in hohem Maße Staatsanleihen angeschlagener Länder im Portfolio. Ohne den Euro müssten sie einen Teil ihrer Investitionen abschreiben, was zu Milliardenausfällen für die deutsche Finanzwirtschaft führen könnte. Vor allem mit Blick auf Griechenland fürchtet Dr. Sönke Siemens, Bereichsleiter Renten bei Sal. Oppenheim jr. & Cie., dass der Austritt aus der EWU zu einem Zusammenbruch des Bankensystems führen könnte. Weiter gedacht würde dies bei einer Ansteckung anderer Länder bedeuten, dass auch deutsche Banken womöglich vor dem Aus stünden. Was bliebe, um Wirtschaft und Privaten weiter die Versorgung des „Schmierstoffes“ Geld zu gewährleisten, lässt sich am Beispiel der Commerzbank beobachten: Die zumindest vorrübergehende Verstaatlichung der betroffenen Institute.

(PD)

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