Robert Halver zur Russland-Ukraine-Eskalation: "Putin, nein, du kriegst uns nicht klein"

Der Kapitalmarktexperte der Baader Bank warnt davor, den Ukraine-Konflikt zu unterschätzen. Er finde in Europa statt und könnte sogar die Nato und Russland gegeneinander aufbringen. Anlegern rät er dringend dazu, Verkäufe zu unterlassen, Schwankungen auszuhalten und kühlen Kopf zu bewahren.

24.02.2022 | 13:10 Uhr von «Wolfgang Ehrensberger»

Was bedeutet die Eskalation für die Weltbörsen und den DAX?

Robert Halver: Jetzt gibt es den Drang in die sicheren Häfen Gold und Staatsanleihen. Öl und Gas werden weiter steigen, aber auch Agrarrohstoffe wie Weizen, denn die Ukraine steht für knapp 25 Prozent des globalen Agrarhandels. Die Schwankungen werden auf den Märkten hoch bleiben, zumal ja auch die Sanktionen des Westens zu massiven Kollateralschäden bei uns in Form geringerer Energiesicherheit und noch höheren Preisen, höherer Inflation und Kaufkraftverlusten bei Verbrauchern führen, die nun noch mehr geschröpft werden. Allerdings muss der Westen das jetzt gemeinsam aushalten. Es darf keine Beschwichtigungspolitik geben, sonst macht Putin weiter. Der Westen darf sich nicht von Putin wie ein Ochse in der geopolitischen Arena herumführen lassen. Da müssen wir jetzt durch.

Welche Auswirkungen hat es speziell auf die deutsche Wirtschaft und die Unternehmen?

Die unmittelbaren Wirtschaftseinschränkungen sind zwar gering, weil der Handel mit Russland seit 2014 ohnehin stark eingeschränkt ist. Aber die mittelbaren Schäden haben es in sich. Die Einstandskosten der Unternehmen werden nochmals steigen, da die Energiesicherheit zu tragbaren Preisen gefährdet ist. Diese Preise können die Unternehmen nicht ohne Weiteres an die Verbraucher weitergeben, die ja schon einen Kaufkraftverlust erleiden. Es geht also zu Lasten der Marge. Immerhin sollte ein anderer fundamentaler Faktor nicht vergessen werden. Corona lässt als Belastungsfaktor immer mehr nach, was der Weltwirtschaft neuen Schwung verlieht. Und nicht zuletzt, die Chinesen wollen keine Beeinträchtigung der Weltwirtschaft. Sie wolle als Exportnation weiter Geschäfte mit Europa und auch mit Amerika, ihrem größten Außenhandelspartner, machen.

Kaufen wenn die Kanonen donnern - was halten Sie von dem Spruch?

Ich bin kein Freund von einfachen Börsenweisheiten wie "Politische Börsen haben kurze Beine", "Kaufen, wenn die Kanonen donnern" oder umgekehrt "An Gewinnmitnahmen ist noch niemand gestorben". Denn in punkto Dauer, Intensität und Folgen geopolitischer Konflikte bieten sie Anlegern keine wirklichen Handlungsanweisungen und haben insofern einen ähnlich geringen Nutzen wie Kühlschränke am Nordpol. Der Ukraine-Konflikt ist nicht irgendein Konflikt irgendwo in der Welt. Er findet in Europa statt und könnte theoretisch die Nato und Russland gegeneinander aufbringen. Man muss kühlen Kopf bewahren. Zum Versuch der Einschätzung muss man daher mehr ans Eingemachte gehen.

Wie sollten sich Anleger jetzt verhalten?

Grundsätzlich macht es keinen Sinn, auf diesem Niveau noch Aktien zu verkaufen. Natürlich sollten Aktien im Bestand und Neuengagements auf Robustheit und Geschäftsmodell abgeklopft werden. Ansonsten auf Nimmerwiedersehen. Für sie ist kein Platz im Depot. Dennoch, da wir nicht wissen, wie lange die Ukraine-Krise anhält, müssen Anleger je nach Nachrichtenlage vorerst auch hohe Kursschwankungen aushalten. Hier können (Teil-)Absicherungen vorgenommen werden. Unbedingt sollten jedoch regelmäßigen Aktiensparpläne als kontrollierte Aktien-Offensive betrieben werden. So können wir uns bei schwächeren Kursen immerhin damit trösten, dass es mehr Aktienanteile für das gleiche Geld gibt.

Was ist mit den sogenannten defensiven Aktien?

Defensiven Aktien mit ihren hohen Dividendenrenditen bieten eine vergleichsweise kursstabile Substanz. Und wenn Corona als Belastungsfaktor immer mehr nachlässt, stützt das die Konjunkturaktien zum Beispiel aus den Branchen Chemie-, Auto- und Maschinenbau, die man sich langsam wieder anschauen kann.

Wie stark könnten die Aktienmärkte noch einbrechen?

Historisch sind die Aktienmärkte erst dann eingebrochen, wenn - wie jeweils im Vorfeld der Asienkrise 1997, dem Platzen der Dotcom-Blase 2001 oder dem Bersten der Immobilienblase 2008 - die Notenbanken knallhart restriktiv wurden. Bevor in der jetzigen Krise, die theoretisch zu einer veritablen Konjunkturkrise werden kann, die Geldpolitik wirklich restriktiv wird, wird Putin eher Chef der russischen Heilsarmee. Leider kann im Moment tatsächlich nur der Versuch einer Einschätzung der weiteren geopolitischen Lage vorgenommen werden. Doch wie auch immer: Wladimir, nein, du kriegst uns nicht klein!

Dieser Artikel erschien zuerst am 24.02.2022 auf boerse-online.de

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