Zwar wird es mit der EU-Kleinanlegerstrategie vorerst kein vollständiges Provisionsverbot geben, allerdings soll es für beratungsfreie Anlagevermittler und die Vermögensberatung gelten. Betroffen wären vor allem die stark wachsenden Neobroker und Direktbanken.
21.06.2023 | 07:30 Uhr von «Ulrich Lohrer»
Die EU-Kommission hat am 24. Mai 2023 ihre Kleinanlegerstrategie vorgestellt. Das vorgegebene Ziel der Initiative sind höhere und rentablere Investitionen in Anlagen durch Kleinanleger, indem Maßnahmen wie irreführendes Marketing, Interessenkonflikte und zu hohe Produktkosten untersagt werden sollen. Ein dafür ursprünglich von der zuständigen EU-Kommissarin Mairead McGuiness geplantes und vor allem von freien Anlage- und Versicherungsvermittlern befürchtetes vollständiges Provisionsverbot wurde abgewehrt – aufgrund des Widerstandes einiger EU-Mitgliedstaaten wie Deutschland. Experten sehen stattdessen von der EU-Kleinanlegerstrategie ausgerechnet die Anbieter günstiger Finanzprodukte mit am stärksten betroffen. „Nachdem EU-Finanzkommissarin Mairead McGuinness auf Druck der Finanzlobby ein völliges Verbot von Abschluss- und Bestandsprovisionen von Anlage- und Versicherungsprodukten unter den EU-Mitgliedstaaten nicht durchsetzen konnte, soll das Provisionsverbot nun beim beratungsfreien Verkauf von Anlageprodukten gelten. Betroffen sind davon Direktbanken und die zuletzt stark gewachsenen Neobroker, weil diese keine Anlageberatungsdienstleistung, bei der eine persönliche Empfehlung abgegeben wird, anbieten“, erläutert Max Biesenbach, CFA und Partner bei der Unternehmensberatung Simon-Kucher & Partners in Köln. Nach der Studie „The Future of Neobanking“ von Simon Kucher gelten Neobroker oder Neobanker, als Broker oder Banken, die ihre ausschließlich digital anbieten und traditionelle Banken mit extrem günstigen Kosten Kunden abwerben. Auch wenn das Wachstum neu gegründeter Neobanker zuletzt weltweit etwas abflacht (siehe Grafik1), hatten sie weltweit bereits eine Marktbewertung von mehr als 300 Milliarden US-Dollar erreicht.
Anzahl neuer Neobroker:
EU bedroht Geschäftsmodell der Neobroker und Direktbanken
Auch in Deutschland expandieren Neobroker aufgrund sehr günstiger oder gar zum Teil kostenfreier Depot- und Ordermodellen stark. „Weil ihre Gebühren gegen null gingen, sind vor allem Neobroker wie Scalable und Trade Republic, aber auch die im Marktvergleich immer noch sehr günstigen Direktbanken wie ING, Consorsbank oder Comdirect zuletzt stark gewachsen.“, bestätigt Biesenbach. Nach einer Umfrage durch das DeutscheInstituts für Wirtschaftsforschung (DIW) unter 216.000 Kunden des Neobrokers Trade Republic in Berlin im Jahr 2022 sind die Neobroker-Kunden zu 68 Prozent zwischen 18 und 34 Jahre alt und decken alle Einkommensschichten ab. „Die meisten NutzerInnen wollen langfristig investieren und mit ihren Portfolios einen Beitrag zur Altersvorsorge leisten. Sie investieren vorwiegend in Aktien und ETFs; Erstanleger:innen investieren häufiger in diversifizierte und weniger riskante Anlageprodukte“, so das Fazit der DIW-Studie. Der Hauptgrund, weshalb Kunden zu Fintechs wie den Neobroker wechseln, ist laut der McKinsey-Erhebung „Europäische Fintech-Champions – Made in Germany“ der günstige Preis der Digital- oder Direktbanken (siehe Grafik2). Mit dem von der EU vorgesehenen Provisionsverbot für beratungsfreie Wertpapier-Vermittler sind allerdings ausgerechnet diese günstigen Depot- und Order-Modelle gefährdet, die für kostengünstige Anlagen entsprechend dem EU-Ziel sorgen. Der Vorschlag der EU-Kommission steht den Zielen der Kommission entgegen, neue Möglichkeiten für Sparer:innen und Anleger:innen zu schaffen und die EU zu einem Ort für langfristiges Sparen und Investieren zu machen, so die Beurteilung des Neobrokers Scalable.
Gründe zu Fintechs zu wechseln:
Günstige Depots und Order werden oft mit Kickbacks finanziert
Denn ihre günstigen Gebührenmodelle finanzieren Neobroker und Direktbanken durch die Provisionen von Fondsgesellschaften oder anderen Anlagegesellschaften. „Zuwendungen, die Produkthersteller aus ihren eigenen Marketingmitteln an die Broker leisten, ermöglichen historisch niedrige Ordergebühren und sogar gebührenfreie ETF-Sparpläne“, bestätigt Ina Froehner von Scalable. „Somit haben Menschen Zugang zu einem nachhaltigen Vermögensaufbau, wie sie es sich zuvor, aufgrund hoher Gebühren, nicht leisten konnten.“ Mit dem Provisionsverbot sind die Neobroker und Direktbanken gezwungen ihre Gebührenmodelle umzustellen. „Wenn sie für Anlageprodukte wie Fonds von den Anbietern künftig keine im Hintergrund fließenden Provisionen – Kickbacks – mehr erhalten oder diese für im Bestand gehaltene Anlageprodukte an die Kunden weitergeben müssen, werden sie gezwungen sein, ihre direkten Gebühren gegenüber den Anlegern zu erhöhen“, folgert Biesenbach. Die Art der Gebühren wird sich dabei auf das Anlageverhalten der Kunden ausrichten, die sich je nach Neobroker oder Direktbank sehr unterscheiden können. Wie eine Analyse des Beratungsunternehmen OliverWyman zeigt, sind die Kunden des Neobrokers Trade Republic oder die Direktbanken ING DiBa und DKB eher auf „Buy & Hold“ fokussiert, während die Kunden des Neobroker Flatex über eher sehr handelsfreudige Anleger wie Daytrader verfügt. Auch sind die Anleger der Direktbanken Consorbank und der Comdirect im Vergleich zu den Flatex-Kunden deutlich mit Trades zurückhaltender (siehe Grafik unten).
Positionierung deutscher Neobroker:
Kommt das Abomodell bei Banken ähnlich wie bei der Bahncard?
Die Neobroker und Direktbanken müssen daher die künftig höhere Gebühren wegen des Wegfalls der Kickbacks so gestalten, dass sie auch weiterhin für ihre Anleger attraktiv sind. „Wahrscheinlich werden Abogebühren erhoben, wie sie sich in Großbritannien mit den Subscription Fees bei interactive investor oder dem Low Cost Broker BUX durchgesetzt haben“, vermutet Biesenbach von Simon Kucher. Die Broker und Banken könnten auch ihre Transaktionskosten erhöhen. „Weil jedoch eine Mehrheit der Kunden selten Transaktionen durchführt, wird es wohl – ähnlich wie bei der Bahncard – verschiedene Abomodelle geben. Statt den Fahrpreis wie bei der Bahncard zu ermäßigen, können die Abopreise der Broker und Banken mit Rabatten auf die Transaktionskosten gebündelt werden“, erläutert Biesenbach. Wenn die Produkthersteller wie die Fondsgesellschaften keine Provisionen mehr zahlen, dann sollten die Anleger immerhin von dieser Seite mit geringeren Kosten belastet werden. „Für neu veranlagte Anlageprodukte wie Fonds ist zu erwarten, dass die laufenden Verwaltungskosten wegen der wegfallenden Kickbacks für Kleinanleger geringer und die Performance entsprechend höher ausfallen. Noch unklar ist aktuell aber, wie im Bestand gehaltene „Altfonds“ zum Zeitpunkt der rechtlichen Umstellung behandelt werden sollen“, so Biesenbach.
Auch Filialbanken werden massiv vom Provisionsverbot betroffen sein
Doch nicht nur Neobroker und Direktbanken trifft das Provisionsverbot für beratungsfreie Transaktionen. Der Bankexperte weist auch darauf hin, dass auch bei Filialbanken viele Order ohne Beratung durchgeführt werden. „Gemäß unserer Projekterfahrung werden in beratenen Wertpapierdepots dort zwischen 50 Prozent und 70 Prozent der Transaktionsvolumina beratungsfrei in Auftrag gegeben, also ohne vorherige Beratung und direkt in der App oder im E-Banking“, so Biesenbach. Die Filialbanken werden deshalb entweder eine stärkere Trennung zwischen beratenen und beratungsfreien Transaktionen vornehmen müssen, oder gar direkt auf ein vollständig kickback-freies Gebührenmodell umstellen müssen, wenn sie einen drastischen Ertragseinbruch vermeiden wollen.
Auch Vermittler sollten sich nicht zu früh freuen. Schließlich ist – wie der AfW Bundesverband Finanzdienstleistungen warnte – mit der Revisionsklausel der EU-Kleinanlegerstrategie auch das generelle Provisionsverbot nicht vom Tisch. Die EU-Kommission behält sich vor, drei Jahre nach Umsetzung der EU-Kleinanleger-Strategie deren Folgen zu bewerten. Sollte die Kommission zu dem Schluss kommen, dass die für die Verbraucher gewünschten Folgen nicht erreicht wurden, kann ein vollständiges Provisionsverbot in Betracht gezogen werden. Banken, Broker und auch freie Vermittler sollten für diesen Fall einen Plan B ausarbeiten.
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