Die EU-Kommission hat am 24.
Mai 2023 ihre Kleinanlegerstrategie vorgestellt. Das vorgegebene Ziel der
Initiative sind höhere und rentablere Investitionen in Anlagen durch Kleinanleger,
indem Maßnahmen wie irreführendes Marketing, Interessenkonflikte und zu hohe
Produktkosten untersagt werden sollen. Ein dafür ursprünglich von der
zuständigen EU-Kommissarin Mairead McGuiness geplantes und vor allem von freien
Anlage- und Versicherungsvermittlern befürchtetes vollständiges Provisionsverbot wurde abgewehrt – aufgrund des
Widerstandes einiger EU-Mitgliedstaaten wie Deutschland. Experten sehen
stattdessen von der EU-Kleinanlegerstrategie ausgerechnet die Anbieter günstiger
Finanzprodukte mit am stärksten betroffen. „Nachdem
EU-Finanzkommissarin Mairead McGuinness auf Druck der Finanzlobby ein
völliges Verbot von Abschluss- und Bestandsprovisionen von Anlage- und
Versicherungsprodukten unter den EU-Mitgliedstaaten nicht durchsetzen konnte,
soll das Provisionsverbot nun beim beratungsfreien Verkauf von Anlageprodukten gelten.
Betroffen sind davon Direktbanken und die zuletzt stark gewachsenen
Neobroker, weil diese keine Anlageberatungsdienstleistung, bei der eine
persönliche Empfehlung abgegeben wird, anbieten“, erläutert Max Biesenbach, CFA
und Partner bei der Unternehmensberatung Simon-Kucher & Partners in Köln.
Nach der Studie „The Future of Neobanking“ von Simon Kucher gelten Neobroker oder Neobanker, als Broker
oder Banken, die ihre ausschließlich digital anbieten und traditionelle Banken
mit extrem günstigen Kosten Kunden abwerben.
Auch wenn das Wachstum neu gegründeter Neobanker zuletzt weltweit etwas
abflacht (siehe Grafik1), hatten sie weltweit bereits eine Marktbewertung von
mehr als 300 Milliarden US-Dollar erreicht.
Anzahl neuer Neobroker:
EU bedroht Geschäftsmodell der Neobroker und
Direktbanken
Auch in Deutschland
expandieren Neobroker aufgrund sehr günstiger oder gar zum Teil kostenfreier
Depot- und Ordermodellen stark. „Weil ihre Gebühren gegen null
gingen, sind vor allem Neobroker wie Scalable und Trade Republic, aber
auch die im Marktvergleich immer noch sehr günstigen Direktbanken wie ING,
Consorsbank oder Comdirect zuletzt stark gewachsen.“, bestätigt Biesenbach.
Nach einer Umfrage durch das DeutscheInstituts für Wirtschaftsforschung (DIW) unter 216.000 Kunden des
Neobrokers Trade Republic in Berlin im Jahr 2022 sind die Neobroker-Kunden zu
68 Prozent zwischen 18 und 34 Jahre alt und decken alle Einkommensschichten ab.
„Die meisten NutzerInnen wollen langfristig investieren und mit ihren
Portfolios einen Beitrag zur Altersvorsorge leisten. Sie investieren vorwiegend
in Aktien und ETFs; Erstanleger:innen investieren häufiger in diversifizierte
und weniger riskante Anlageprodukte“, so das Fazit der DIW-Studie. Der
Hauptgrund, weshalb Kunden zu Fintechs wie den Neobroker wechseln, ist laut der
McKinsey-Erhebung „Europäische Fintech-Champions – Made in Germany“ der günstige Preis der Digital- oder
Direktbanken (siehe Grafik2). Mit dem von der EU vorgesehenen Provisionsverbot
für beratungsfreie Wertpapier-Vermittler sind allerdings ausgerechnet diese
günstigen Depot- und Order-Modelle gefährdet, die für kostengünstige Anlagen
entsprechend dem EU-Ziel sorgen. Der
Vorschlag der EU-Kommission steht den Zielen der Kommission entgegen, neue
Möglichkeiten für Sparer:innen und Anleger:innen zu schaffen und die EU zu
einem Ort für langfristiges Sparen und Investieren zu machen, so die
Beurteilung des Neobrokers Scalable.
Gründe zu Fintechs zu wechseln:
Günstige Depots und Order werden oft mit Kickbacks
finanziert
Denn ihre günstigen
Gebührenmodelle finanzieren Neobroker und Direktbanken durch die Provisionen
von Fondsgesellschaften oder anderen Anlagegesellschaften. „Zuwendungen, die
Produkthersteller aus ihren eigenen Marketingmitteln an die Broker leisten,
ermöglichen historisch niedrige Ordergebühren und sogar gebührenfreie ETF-Sparpläne“,
bestätigt Ina Froehner von Scalable. „Somit haben Menschen Zugang zu einem
nachhaltigen Vermögensaufbau, wie sie es sich zuvor, aufgrund hoher Gebühren,
nicht leisten konnten.“ Mit dem Provisionsverbot sind die Neobroker und
Direktbanken gezwungen ihre Gebührenmodelle umzustellen. „Wenn sie für
Anlageprodukte wie Fonds von den Anbietern künftig keine im Hintergrund
fließenden Provisionen – Kickbacks
– mehr erhalten oder diese für im Bestand gehaltene Anlageprodukte an
die Kunden weitergeben müssen, werden sie gezwungen sein, ihre direkten
Gebühren gegenüber den Anlegern zu erhöhen“, folgert Biesenbach. Die Art der
Gebühren wird sich dabei auf das Anlageverhalten der Kunden ausrichten, die
sich je nach Neobroker oder Direktbank sehr unterscheiden können. Wie eine Analyse des Beratungsunternehmen OliverWyman zeigt, sind die Kunden des Neobrokers Trade Republic oder die Direktbanken
ING DiBa und DKB eher auf „Buy & Hold“ fokussiert, während die Kunden des
Neobroker Flatex über eher sehr handelsfreudige Anleger wie Daytrader verfügt.
Auch sind die Anleger der Direktbanken Consorbank und der Comdirect im
Vergleich zu den Flatex-Kunden deutlich mit Trades zurückhaltender (siehe
Grafik unten).
Positionierung deutscher Neobroker:
Kommt das Abomodell bei Banken ähnlich wie bei der Bahncard?
Die Neobroker und
Direktbanken müssen daher die künftig höhere Gebühren wegen des Wegfalls der
Kickbacks so gestalten, dass sie auch weiterhin für ihre Anleger attraktiv
sind. „Wahrscheinlich werden Abogebühren
erhoben, wie sie sich in Großbritannien mit den Subscription Fees bei
interactive investor oder dem Low Cost Broker BUX durchgesetzt haben“,
vermutet Biesenbach von Simon Kucher. Die Broker und Banken könnten auch ihre
Transaktionskosten erhöhen. „Weil jedoch eine Mehrheit der Kunden selten
Transaktionen durchführt, wird es wohl – ähnlich wie bei der Bahncard –
verschiedene Abomodelle geben. Statt den Fahrpreis wie bei der Bahncard zu
ermäßigen, können die Abopreise der Broker und Banken mit Rabatten auf die
Transaktionskosten gebündelt werden“, erläutert Biesenbach. Wenn die
Produkthersteller wie die Fondsgesellschaften keine Provisionen mehr zahlen,
dann sollten die Anleger immerhin von dieser Seite mit geringeren Kosten
belastet werden. „Für neu veranlagte Anlageprodukte wie Fonds ist zu
erwarten, dass die laufenden Verwaltungskosten wegen der wegfallenden
Kickbacks für Kleinanleger geringer und die Performance entsprechend
höher ausfallen. Noch unklar ist aktuell aber, wie im Bestand
gehaltene „Altfonds“ zum Zeitpunkt der rechtlichen Umstellung behandelt
werden sollen“, so Biesenbach.
Auch Filialbanken werden massiv vom Provisionsverbot
betroffen sein
Doch nicht nur Neobroker und
Direktbanken trifft das Provisionsverbot für beratungsfreie Transaktionen. Der
Bankexperte weist auch darauf hin, dass auch bei Filialbanken viele Order ohne
Beratung durchgeführt werden. „Gemäß unserer Projekterfahrung werden in
beratenen Wertpapierdepots dort zwischen 50 Prozent und 70 Prozent der
Transaktionsvolumina beratungsfrei in Auftrag gegeben, also ohne vorherige
Beratung und direkt in der App oder im E-Banking“, so Biesenbach. Die
Filialbanken werden deshalb entweder eine stärkere Trennung zwischen
beratenen und beratungsfreien Transaktionen vornehmen müssen, oder gar direkt
auf ein vollständig kickback-freies Gebührenmodell umstellen müssen, wenn sie
einen drastischen Ertragseinbruch vermeiden wollen.
Auch Vermittler sollten sich
nicht zu früh freuen. Schließlich ist – wie der AfW Bundesverband Finanzdienstleistungen warnte – mit der
Revisionsklausel der EU-Kleinanlegerstrategie auch das generelle
Provisionsverbot nicht vom Tisch. Die EU-Kommission behält sich vor, drei Jahre
nach Umsetzung der EU-Kleinanleger-Strategie deren Folgen zu bewerten.
Sollte die Kommission zu dem Schluss kommen, dass die für die
Verbraucher gewünschten Folgen nicht erreicht wurden, kann ein vollständiges
Provisionsverbot in Betracht gezogen werden. Banken, Broker und auch freie
Vermittler sollten für diesen Fall einen Plan B ausarbeiten.
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