Besonders Deutschland wehrt sich gegen einen Schuldenerlass oder eine Schuldenrestrukturierung für Griechenland. Das sei falsch, urteilt Kenneth Rogoff, Harvard Professor und ehemaliger Chef-Ökonom des IWF.
06.08.2015 | 06:45 Uhr
Die Erkenntnis des IWF, dass die griechischen Schulden untragbar geworden sind, könnte der Wendepunkt in der Debatte um die griechische Schuldenkrise sein, meint Kenneth Rogoff, US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler. In einem Kommentar des „Project Syndicates“ schreibt er, dass die Themen Schuldenerlass und Schuldenrestrukturierung ein essentieller Bestandteil der Lösung der Schuldenkrise seien.
Internationales Aufsehen erregte der Harvard-Professor für Ökonomie und ehemalige Chefökonom des Internationalen Währungsfonds 2010 mit seinem Paper „Growth in a Time of Debt“, welches er zusammen mit Carmen Reinhart veröffentlichte. Ihre Erkenntnis: Ab einer kritischen Verschuldungsgrenze von 90 Prozent des Bruttoinlandproduktes eines Landes, verringere sich dessen Wirtschaftswachstum. Rogoffs Forschung wurde Grundlage der Sparpolitik vieler Länder. Weltbekannt wurde der Professor für Public Policy schließlich, als sich herausstellte, dass ihm und Reinhart in den Berechnungen mehrere Fehler unterlaufen waren und der Zusammenhang zwischen Verschuldung und Wirtschaftswachstum gar nicht so eindeutig ist, wie behauptet.
Trotzdem bleibt der Großmeister des Schachs ein vielgehörter Forscher in Sachen Finanzkrisen. Drei grundlegende Denkweisen sieht Rogoff seit Ausbruch der Krise in Griechenland einander gegenüber stehen: Zum einen sei dort die Troika, bestehend aus Europäischer Kommission, EZB und IWF. Sie fordere strenge Disziplin und Sparmaßnahmen, um zu vermeiden, dass aus einer kurzfristigen Liquiditätskrise eine dauerhafte Zahlungsunfähigkeit werde. Im Gegenzug für strukturelle Reformen ge-nehmige die Troika Überbrückungskredite. „In Spanien, Portugal und Irland haben diese Maßnahmen, funktioniert“, resümiert Rogoff, „aber dafür wurden massive Rezessionen und die Gefahr, die Weltwirtschaft in Mitleidenschaft zu ziehen, in Kauf genommen.“ In Griechenland hätten diese Maßnahmen jedoch keine Früchte getragen.
Die zweite Denkschule porträtiere die Krise als reine Liquiditätskrise. Das eigentliche Problem seien nicht zu hohe Schulden, sondern, dass Schulden nicht annähernd hoch genug steigen dürften. Die Gegner einer strikten Sparpolitik würden daran glauben, dass auch wenn Märkte das Vertrauen in Länder verlieren, eine antizyklische Fiskalpolitik helfen könne: „Mit anderen Worten, die Eurozone leidet nicht unter einer Vertrauenskrise, sondern unter einem Mangel an Kompetenz“, beschreibt Rogoff die Ansicht der Gegner des Spardiktats. „Dabei übersehen sie, dass die Eurozone weder eine Fiskalunion noch eine vollständige Bankenunion besitzt.“ Auch das Moral-Hazard Problem würde außer Acht gelassen. Anstelle dessen herrsche der Glaube, dass ein schnelles Wirtschaftswachstum für alles bezahlen werde. „Diese Ansicht ist in sich stimmig, aber naiv, Deutschland hätte in der Realität nicht die Schulden aller europäischen Krisenstaaten besichern können, ohne seine eigene Zahlungsfähigkeit zu gefährden.“
So gibt es für Rogoff nur einen Weg aus dem Dilemma: Das europäische Schuldenproblem hätte von Beginn an als Insolvenzproblem diagnostiziert werden und mit Schuldenrestrukturierung und Schuldenerlass behandelt werden sollen, unterstützt durch erhöhte Inflation und strukturelle Reformen: „Natürlich hätten dann nationale Regierungen – besonders Deutschland und Frankreich - das Geld ihrer Steuerzahler in die Hände nehmen müssen, um ihre Banken, die den Ländern der Peripherie zu viel geliehen haben, zu rekapitalisieren“, so Rogoff. Aber die Öffentlichkeit hätte letztendlich die Tragweite des Problems verstanden. Eine Schuldenrestrukturierung, ist sich der Ökonom sicher, hätte Europa den Neustart ermöglicht, den es braucht. „Nichts ist umsonst“, schließt er.
(TL)
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