In einem durch das Project Syndicate veröffentlichten Kommentar fragt Stiglitz, ob Europa sich noch selbst retten kann. Der prominente US-Wissenschaftler unterstützt in Teilen die sture Haltung der griechischen Regierung.
12.06.2015 | 06:45 Uhr
Joseph E. Stiglitz, geboren am 9. Februar 1943 in Gary, Indiana, beschäftigte sich seit jeher mit der Frage ob und wann Märkte zusammenbrechen. 2001 erhielt er gemeinsam mit George Akerlof, verheiratet mit der derzeitigen Chefin der FED, und Michael Spence den Wirtschaftsnobelpreis für Ihre Forschung zum Thema Informationsökonomik. Asymmetrische Informationsverteilung, das heißt ein Partner hat nicht die Möglichkeit, sich vollständig über die Handlungen des Anderen zu informieren bzw. ihn zu kontrollieren, kann zu Misstrauen und Anreizproblemen führen – und Märkte zum Kollaps bringen.
Vertrauen und Transparenz sind zwei Schlagwörter, die auch die Europäische Union betreffen. In einem eindringlichen Appell hat der Wirtschaftswissenschaftler deutlich gemacht, an welchen Stellen es Europa an Vertrauen und Transparenz mangele – und wie gefährlich dieser Mangel werden könne.
Griechenland wirkt seit Jahren wie eine Never-Ending-Story sich wiederholender Ereignisse. Regelmäßig steht das Land vor dem Bankrott. Die „Troika“ – bestehend aus Europäischer Kommission, EZB und IWF – fährt daher einen harten Kurs und fordert Sparmaßnahmen und Lohnkürzungen. Doch das sei fatal, urteilt der Nobelpreisträger. Griechenland habe die Forderungen seiner Gläubiger mehr als ausreichend erfüllt. Der Wandel von einem defizitären Haushalt hin zu einem Überschuss sei bereits einzigartig und unerwartet, die Forderung, Griechenland solle ein Primärüberschuss von 4,5 Prozent seines BIP erreichen, dagegen unverantwortlich. Das Land werde gezwungen ein Programm fortzuführen, welches nicht funktionieren kann und das keine ökonomische Unterstützung erhalte. „Tragischerweise hatte die griechische Regierungen damals keine Wahl, als dem Programm zuzustimmen“, schreibt Stiglitz. Angesichts eines Rückgangs des BIP von 25 Prozent seit Beginn der Krise sei ein weiteres Bestehen auf den Forderungen Wahnsinn. Die Wünsche der Troika, dass durch die Maßnahmen das BIP in Griechenland steigen könne, seien falsch gewesen und seien es immer noch. Der Wechsel der Regierung sei daher folgerichtig.
Der Wirtschaftswissenschaftler fügt hinzu: „Die griechische Regierung tut gut daran, sich zu weigern, die Auflagen weiterhin umzusetzen.“ Yanis Varoufakis, griechischer Finanzminister, äußerte sich am Montag bei einer Veranstaltung in Berlin selbst zu dem Thema: „Bitte erlaubt uns Reformen", war sein deutlicher Aufruf an Europa – und vor allem Deutschland.
Stiglitz mahnt die europäischen Führer, dass eine Einigung in den aktuellen Verhandlungen mit Griechenland nur möglich sei, wenn die Gläubiger Griechenlands Konsequenzen und Möglichkeiten für Griechenland realistischer einschätzen würden.
Den Grexit zu unterschätzen sei dabei eine der größten Gefahren. Die Einstellung in Europa erinnere ihn an die USA, vor dem Zusammenbruch von Lehman Brothers.
Noch immer sei das Nachbeben der damaligen Ereignisse zu spüren – und immer noch würden mangelnde Transparenz und inadäquate Regulierungen das Finanzsystem gefährden. Dabei befeuere die Struktur der Eurozone nicht wie geplant eine Konvergenz zwischen den Ländern, sondern ein Auseinanderdriften: Kapital und talentierte Leute kehren Krisen gebeutelten Ländern den Rücken. Die Länder selbst wiederum geraten in Schwierigkeiten, weil sie Ihre Schulden nicht begleichen können.
Für die nächste Krise, sagt Stiglitz, sei Europa nicht gut gerüstet – und sie wird kommen, „denn das ist die Natur des Kapitalismus“, betont er.
Mario Draghis Ausruf „zu tun, was auch immer nötig sei“, um den Euro zu stützen, ist für Stiglitz glatt gelogen. Bis jetzt konnte die EZB dadurch das Vertrauen der Märkte erhalten – doch das Wissen darum, dass der Euro keine bindende Zusage sei, werde dieses Vertrauen aufweichen. Anleiherenditen könnten durch die Decke gehen – und es gäbe dann kein Mittel mehr sie wieder herunter zu bringen. Das Beispiel Griechenlands zeige, dass nur getan werde, was einer kurzsichtigen Wahlkampfpolitik zu Gute kommt. Stiglitz größte Furcht - die Schwächung der Europäischen Solidarität. Der Euro sollte die Gemeinschaft eigentlich stärken, doch er habe das Gegenteil bewirkt.
Dabei könne es, mit dem Mittleren Osten im Chaos und einem neuerlich aggressiven Russland, nicht im Sinne Europas sein, sich wieder aufzuspalten.
Eindringlich ruft Stiglitz daher die Europäischen Entscheider dazu auf, sich auf ihre ursprüngliche Idee zu besinnen. Als Visionäre hätten sie entgegen der kurzfristig orientierten Denkweise politischer Entscheider den Euro geschaffen. Heute jedoch, seien sie wieder ihren eigenen Ambitionen zum Opfer gefallen.
Die Zukunft Europas hänge nun davon ab, ob die Verantwortlichen ein Mindestmaß an ökonomischen Verständnis aufbringen können und es wieder mit einem visionären Blick vereinen.
„Die Antwort auf die Frage, ob der Vorhang für Europa fallen wird, erfahren wir“, so Stiglitz, „in den nächsten Wochen“.
(TL)
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