FundResearch dokumentiert den derzeit nicht alltäglichen Alltag von Finanzprofis. Heute: Tilman Rüthers. Der Anlageberater mit 34f-Lizenz berät fast ausschließlich auf Honorarbasis und fährt auch in Krisenzeiten gut damit.
24.03.2020 | 09:10 Uhr
Herr Rüthers, wie sieht Ihr Tag aus?
Tilman Rüthers: Ich sitze in meinem Büro, denke viel über die Situation nach, ziehe meine Schlüsse daraus und telefoniere viel mit meinen Kunden.
Was hat sich in den vergangenen Wochen für Sie verändert?
Tilman Rüthers: Normalerweise arbeite ich mehr von zu Hause aus. Mein Büro in der Stadt nutze ich normalerweise nur für Verabredungen mit Klienten
oder potenziellen Kunden. Jetzt bin ich öfter dort, weil ich mich im Büro besser auf meine Arbeit konzentrieren kann. Ich habe vier Kinder. Die sind jetzt alle zu Hause. Das ist auf der einen Seite schön, auf der anderen aber auch nicht immer einfach. Die Corona-Krise hat unser Leben ganz schön durcheinandergewirbelt. Mein jüngster Sohn geht noch zur Grundschule, zwei meiner Söhne studieren, und meine Tochter geht auf das Gymnasium. Ob und wie die beiden Jungs jetzt ihre anstehenden Prüfungen und Abschlüsse machen, ist noch nicht ganz klar. Wenn ich mit Kunden telefoniere und mit ihnen über die aktuellen Marktentwicklungen an der Börse rede, kann ich das alles besser ausblenden, wenn ich im Büro bin. Und ruhiger als zu Hause ist es dort im Moment auch.
Haben Sie im Moment mehr oder weniger zu tun als vor der Corona-Krise?
Tilman Rüthers: Mehr. Eine Krise ist schließlich auch eine Chance. Und das gilt gerade jetzt.
Man hört eigentlich fast nur negative Nachrichten und pessimistische Marktausblicke. Woher nehmen Sie Ihren Optimismus?
Tilman Rüthers: Ich blicke nicht auf den Gesamtmarkt. Wer vor allem auf passive Instrumente vertraut, die beispielsweise in die Aktien des MSCI-Index oder den DAX investieren, ist in den vergangenen Wochen – wie alle anderen auch – von der Flut mitgerissen worden. Ob und wie sich die Weltwirtschaft von dem Virus-Schock erholt, steht in den Sternen. Ich schaue mir lieber gezielt Branchen an, die auf jeden Fall aussichtsreich sind – Virus hin oder her. Die entsprechenden Fonds empfehle ich meinen Kunden.
Welche Branchen meinen Sie?
Tilman Rüthers: Es sind Branchen, die schon vor der Virus-Krise interessant waren, deren Stärke jetzt während der Pandemie aber noch einmal besonders zum Tragen kommen: Cloud-Technologie, IT-Sicherheit und Gesundheit. Ich hatte schon vor ein paar Wochen auf eine Gelegenheit gehofft, meinen Kunden entsprechende Fonds ans Herz zulegen. Die Aktien von Unternehmen aus diesen Bereichen waren leider schon recht teuer. Jetzt gibt es Kaufgelegenheiten. Dass die Kurse so stark fallen würden, habe ich natürlich auch nicht ahnen können. Aber wenn die Chancen da sind, sollte man sie nutzen.
Haben Ihre Kunden jetzt dafür noch genügend Liquidität?
Tilman Rüthers: Wer mit mir zusammenarbeitet, dem empfehle ich kluges Money Management. Wer in Zeiten, in denen eine mit Krediten aufgepumpte Börse von einem Hoch zum nächsten geflogen ist, keine freien Mittel zurückgehalten hat, dem war nicht zu helfen. Meine Kunden haben in der Mehrzahl deshalb derzeit einen eher ruhigen Puls.
Die Wirtschaft wird derzeit stark in Mitleidenschaft gezogen. Man weiß kaum, wie die Welt morgen aussieht. Ganze Branchen stehen vor der Frage, wie sie den nächsten Monat überleben sollen. Da dürfte dem Einen oder Anderen doch die Lust auf Investitionen mit langfristiger Perspektive erstmal vergangen sein, oder?
Tilman Rüthers: Das ist individuell natürlich sehr unterschiedlich. Ich habe Kunden aus der Werbebranche. Die sind in den ersten beiden Monaten noch sehr gut ins Jahr gestartet, haben nun aber ein leeres Auftragsbuch. Von einem auf den anderen Moment. Andere wiederum haben freie Liquidität zurückgehalten und freuen sich jetzt über die Gelegenheit zum Handeln. Wiederum andere Kunden wollten einsteigen, als die Aktienindizes weltweit auf dem Höhepunkt waren, zögern jetzt aber, weil ihnen die Kurse noch zu hoch erscheinen. Die Gespräche mit all diesen Menschen sind derzeit sehr spannend.
Was sagen Sie Ihren Kunden, wenn Sie Ihnen jetzt Investitionen ans Herz legen? Wann, glauben Sie, wird die Krise vorbei sein?
Tilman Rüthers: Das weiß ich natürlich nicht. Aber ich habe alle Börsenkrisen seit den Achtzigerjahren mitgemacht. Und meine Erfahrung ist, dass es nach einem Crash immer wieder aufwärts geht. Das Besondere war diesmal vielleicht die enorme Geschwindigkeit, mit der die Kurse gen Süden gerauscht sind. Das führe ich auf einen Schneeballeffekt der sensiblen Handelssysteme zurück. Wenn immer schneller immer neue Stoppmarken gerissen werden, werden eben auch ständig neue Verkaufsorders platziert. Das bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass es nicht unwahrscheinlich ist, dass es ebenso schnell wieder aufwärts geht. Aus den gleichen Gründen, nur mit anderen Vorzeichen. Das sind überzeugende Argumente.
Offensichtlich vertrauen Ihnen Ihre Kunden. Ist denn da gar keine Angst oder Frust über die Entwicklung in den vergangenen Wochen?
Tilman Rüthers: Ich habe zwar eine 34f-Lizenz, berate aber fast ausschließlich auf Honorarbasis, habe also höchstes Interesse daran, dass meine Kunden ihr Geld möglichst gewinnbringend anlegen. Meine Kunden sind zu Recht sehr kritisch. Das bedeutet, dass ich sie mit guten Argumenten überzeugen muss, sie dann aber auch voll hinter dem stehen, was sie schließlich entscheiden. Das fühlt sich auf beiden Seiten des Tisches gut an. Man blickt eben optimistischer in die Zukunft, wenn man von dem überzeugt ist, was man tut.
Was wünschen sie sich persönlich für die Zukunft?
Tilman Rüthers: Zunächst einmal natürlich Gesundheit, gerade in diesen Zeiten. Geschäftlich wünsche ich mir einen jüngeren Geschäftspartner, dem ich meine Erfahrung weitergeben kann und der langfristig irgendwann mein Geschäft übernimmt.
Haben Sie sich schon offensiv danach umgesehen?
Tilman Rüthers: Schon. Aber das ist gar nicht so einfach, wie man sich das am Anfang vorstellt. Gerade viele Jüngere fragen erstaunlicherweise vor allem danach, wie man schnell Geld verdienen und dabei möglichst viel Freizeit haben kann. Als Honorarberater geht es mir aber in erster Linie darum, für meine Kunden die besten Lösungen zu finden. Aus deren Zufriedenheit speist sich mein Gewinn, nicht aus meinem Verkaufstalent. Ich bin kein Produktverkäufer. Deshalb ist mein Job zwar erfüllend, aber manchmal auch anstrengender als ein reiner Vermittlerjob. Das macht die Suche nach einem Geschäftspartner nicht einfacher.
Das klingt fast resignierend.
Tilman Rüthers: Dann haben Sie mich falsch verstanden. Aufzugeben ist nicht meine Art. Ich bleibe Optimist. Wäre es nicht so, hätte ich den falschen Beruf ergriffen.
Herr Rüthers, vielen Dank für dieses Gespräch.
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