Im TiAM-Interview spricht apano-Geschäftsführer Markus Sievers über die geopolitischen Spannungen, die Geldpolitik der Fed und die Portfolios des Dortmunder Wertpapierhauses
21.06.2023 | 12:05 Uhr von «Peter Gewalt»
TiAM: Die geopolitischen Spannungen nehmen zu, siehe Ukraine-Krieg und das aggressivere Auftreten Chinas. Welche Folgen hat dies Ihrer Meinung nach in wirtschaftlicher Hinsicht?
Markus Sievers: Das hat Auswirkungen auf Unternehmen, insbesondere auf solche, die international operieren. In den letzten Jahren war ein wichtiges Kriterium für die Wahl eines Produktionsstandorts die Frage, ob man dort billig produzieren kann. Das heißt, der Faktor Arbeitskosten stand im Vordergrund. Heute kommt verstärkt die politische Zuverlässigkeit hinzu. Dieses Umdenken setzte ein, nachdem wegen Covid teils massive Lieferengpässe entstanden sind. Der Krieg in der Ukraine hat diesen Gedanken der Repatriierung, also den Wunsch nach verstärkter Fertigung vor Ort, weiter befeuert.
TiAM: Das gilt für Russland. Gilt das auch für China?
Sievers: Noch liegen nicht alle Zahlen auf dem Tisch, sodass ich die Frage nicht mit Bestimmtheit beantworten kann, aber man kann beobachten, dass sich zumindest institutionelle Investoren teilweise aus China zurückziehen.
TiAM: Vor allem die Covid-Politik der chinesischen Regierung hat international für viel Unverständnis gesorgt.
Sievers: Auf jeden Fall. Aber jetzt nimmt die wirtschaftliche Entwicklung wieder zu, und so gesehen müssten die Aktienmärkte sehr viel stärker steigen, als sie das im Moment tun. Daher das Bauchgefühl, dass von dort netto Gelder abgezogen werden. Grund ist zum einen das Sanktions- und Zollthema zwischen China und den USA, zum anderen der Taiwan-Konflikt. Ich glaube zwar nicht, dass der kurzfristig heiß wird, aber man weiß ja, dass sich China Taiwan einverleiben will. Und das führt zu den schon erwähnten politischen Sicherheitsfragen.
TiAM: Sie haben gesagt, dass Investoren China verlassen. Gilt das auch für Sie?
Sievers: Alles in allem haben wir Asien inklusive China mit neun Prozent in unseren Portfolios gewichtet. Weil wir von der Entwicklung in China enttäuscht sind, haben wir den Anteil des Landes reduziert. Insofern gehören wir auch dazu. Größte asiatische Position ist im Moment Japan. Insgesamt bleibt Asien aber interessant, weil es eine Wachstumsregion ist, wo die Inflation noch nicht die Notenbanken auf den Plan gerufen hat. Ganz im Gegenteil. Nicht nur dass die Zinsen nicht erhöht wurden, hier sind die Zentralbanken sogar noch unterstützend unterwegs. In Europa und Amerika ziehen sie in großem Umfang Geld aus dem Markt – sowohl durch Zinsanhebungen als auch durch das Straffen der Bilanzen.
TiAM: Welche Auswirkungen wird das haben?
Sievers: Einige meinen, dass eine inverse Zinsstrukturkurve wie in der Vergangenheit eine Rezession auslösen wird. Andere denken, dass es nicht zwangsläufig so kommen muss. Vielleicht gibt es keine richtige Rezession, sondern nur eine technische oder eine Gewinnrezession. Erstaunlicherweise kann man sehen, dass etwa in den USA die Margen der Unternehmen trotz allem erfreulich stabil bleiben. Einige haben sogar die Preise deutlich erhöht, ohne dass es negative Konsequenzen für sie hatte.
TiAM: In den USA sind es meist die Big-Tech-Unternehmen, die zum Beispiel einen Index treiben.
Sievers: Laut jüngsten Berechnungen der Société Générale wäre der S & P 500 ohne die drei großen Technologieunternehmen Nvidia, Microsoft und Alphabet für 2023 aktuell nicht bei plus sieben Prozent, sondern bei minus zwei Prozent. Hinter dieser Sonderbewegung steht der Hype um das Thema künstliche Intelligenz. Andererseits können die anderen Branchen ja noch nachlegen, die aggressive Zinspolitik der US-Notenbank muss nicht zwingend in einer großen Rezession enden. Ich glaube nicht, dass der US-Aktienmarkt abstürzen wird. Zudem haben viele Hedgefonds große Short-Positionen aufgebaut. Sobald der Markt etwas korrigiert, werden sie die Seitenlinie verlassen, auf der sie gerade sitzen, und im Markt mitspielen.
TiAM: Wie schätzen Sie das weitere Vorgehen der Fed ein?
Sievers: Ich denke, wir werden noch eine – eher kleine – Zinsanhebung sehen, dann beginnen auch schon bald die Spekulationen darüber, wann die Zinssenkungen einsetzen.
TiAM: Kommt beim Thema Zinsen und US-Banken noch etwas hinterher?
Sievers: Da sehe ich definitiv ein Problem, weil US-Banken aus der zweiten Reihe, wie eben die Silicon Valley Bank, sogenannte Hold-to-Maturity-Portfolios mit zehnjährigen Staatsanleihen haben, die sie nicht nach dem Niederstwertprinzip bilanzieren müssen. Das heißt, dass es da eine ziemlich große Summe gibt, die potenziell abgewertet werden muss. Zudem haben wir gelernt, dass der Bank Run des Jahres 2023 nicht so aussieht, dass die Leute zum Geldautomaten gehen, sondern dass sie ihre Sparguthaben in einen Geldmarktfonds tauschen. Das ist eine schlaue Idee, wenn die Banken die bereits höheren Zinsen nicht weitergeben. Es bedeutet aber nicht, dass nach den drei bisher pleitegegangenen Banken jetzt die nächstgrößere dran ist.
TiAM: Was bedeutet das alles für Ihre Portfolios?
Sievers: Die USA betreiben unter den großen Regionen die aggressivste Zinspolitik – mit bereits spürbaren Auswirkungen auf die Konjunktur. Da einerseits die US-Zinsen eine echte Alternative für US-Investoren sind und andererseits die Bewertungen der US-Unternehmen nicht sonderlich attraktiv, haben wir die Region untergewichtet. Sie macht etwa 45 Prozent unseres aktuellen Portfolios aus. Ebenso groß ist der Anteil in Europa. Den Rest belegt Asien/Pazifik, wo wir uns insbesondere auf Japan konzentrieren. In China hingegen sind wir direkt kaum vertreten – indirekt natürlich schon, beispielsweise wegen der Verknüpfungen zu den europäischen Luxusgüterherstellern, die eine hohe Gewichtung in Europas Indizes haben. Verglichen mit dem Weltaktienindex MSCI ACWI sind wir in Europa momentan übergewichtet. Darüber hinaus sind wir in den Sektoren breit aufgestellt – der Fonds vermeidet explizite Branchenwetten, wenngleich er das Thema Momentum (Relative Stärke) zu einem gewissen Grad berücksichtigt. Aber grundsätzlich gilt: Wir halten sowohl defensive als auch zyklische Branchen.
TiAM: Sind die Bewertungen europäischer Aktien der Grund für die Übergewichtung?
Sievers: Vor allem sind die Signale in Europa besser. Der DAX etwa ist technisch sehr stark und toll gelaufen. Andererseits enthält er die zyklischsten Unternehmen, die wir in Deutschland haben, zum Beispiel die Automobilhersteller, die sich seit Jahresbeginn gut entwickelt haben. Und das sind auch die, die den DAX hoch halten. Auch der Euro Stoxx ist sehr stabil, weil Europa am stärksten davon profitiert, dass sich in Asien die Wirtschaft wieder belebt und der positive Effekt der kollabierenden Energiepreise in Europa besonders stark ausgeprägt ist. Die 2023er-Gewinnerwartungen waren für Europa besonders niedrig, da hatte sich Aufholpotenzial aufgestaut. Zudem bleiben die Zinsen im Euroraum deutlich unterhalb der US-Pendants. Einschränkend muss aber gesagt sein, dass Europas Aktien inzwischen auch nicht mehr billig sind.
TiAM: Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung der Inflation ein?
Sievers: Die Inflation wird wieder etwas zurückgehen, wenn auch nicht auf das Niveau, dass wir vor Corona hatten, wo sogar Deflationsangst herrschte. Entsprechend war die Politik der Notenbanken ausgelegt, um genau das zu vermeiden. Umso leichter fällt jetzt einigen Ländern die Entschuldung – denken Sie an Italien oder Griechenland. Die Kehrseite ist die Enteignung des Sparers. Das unterstreicht das Risiko für denjenigen, der außer Sparbuch oder Festgeld nichts macht.
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