TiAM: Die geopolitischen Spannungen nehmen zu, siehe
Ukraine-Krieg und das aggressivere Auftreten Chinas. Welche Folgen hat dies
Ihrer Meinung nach in wirtschaftlicher Hinsicht?
Markus Sievers: Das hat
Auswirkungen auf Unternehmen, insbesondere auf solche, die international
operieren. In den letzten Jahren war ein wichtiges Kriterium für die Wahl eines
Produktionsstandorts die Frage, ob man dort billig produzieren kann. Das heißt,
der Faktor Arbeitskosten stand im Vordergrund. Heute kommt verstärkt die
politische Zuverlässigkeit hinzu. Dieses Umdenken setzte ein, nachdem wegen
Covid teils massive Lieferengpässe entstanden sind. Der Krieg in der Ukraine
hat diesen Gedanken der Repatriierung, also den Wunsch nach verstärkter
Fertigung vor Ort, weiter befeuert.
TiAM: Das gilt für Russland. Gilt das auch für China?
Sievers: Noch liegen
nicht alle Zahlen auf dem Tisch, sodass ich die Frage nicht mit Bestimmtheit
beantworten kann, aber man kann beobachten, dass sich zumindest institutionelle
Investoren teilweise aus China zurückziehen.
TiAM: Vor allem die Covid-Politik der chinesischen
Regierung hat international für viel Unverständnis gesorgt.
Sievers: Auf jeden Fall.
Aber jetzt nimmt die wirtschaftliche Entwicklung wieder zu, und so gesehen
müssten die Aktienmärkte sehr viel stärker steigen, als sie das im Moment tun.
Daher das Bauchgefühl, dass von dort netto Gelder abgezogen werden. Grund ist
zum einen das Sanktions- und Zollthema zwischen China und den USA, zum anderen
der Taiwan-Konflikt. Ich glaube zwar nicht, dass der kurzfristig heiß wird,
aber man weiß ja, dass sich China Taiwan einverleiben will. Und das führt zu
den schon erwähnten politischen Sicherheitsfragen.
TiAM: Sie haben gesagt, dass Investoren China
verlassen. Gilt das auch für Sie?
Sievers: Alles in allem haben
wir Asien inklusive China mit neun Prozent in unseren Portfolios gewichtet.
Weil wir von der Entwicklung in China enttäuscht sind, haben wir den Anteil des
Landes reduziert. Insofern gehören wir auch dazu. Größte asiatische Position
ist im Moment Japan. Insgesamt bleibt Asien aber interessant, weil es eine
Wachstumsregion ist, wo die Inflation noch nicht die Notenbanken auf den Plan
gerufen hat. Ganz im Gegenteil. Nicht nur dass die Zinsen nicht erhöht wurden,
hier sind die Zentralbanken sogar noch unterstützend unterwegs. In Europa und
Amerika ziehen sie in großem Umfang Geld aus dem Markt – sowohl durch
Zinsanhebungen als auch durch das Straffen der Bilanzen.
TiAM: Welche Auswirkungen wird das haben?
Sievers: Einige meinen,
dass eine inverse Zinsstrukturkurve wie in der Vergangenheit eine Rezession
auslösen wird. Andere denken, dass es nicht zwangsläufig so kommen muss.
Vielleicht gibt es keine richtige Rezession, sondern nur eine technische oder
eine Gewinnrezession. Erstaunlicherweise kann man sehen, dass etwa in den USA
die Margen der Unternehmen trotz allem erfreulich stabil bleiben. Einige haben
sogar die Preise deutlich erhöht, ohne dass es negative Konsequenzen für sie
hatte.
TiAM: In den USA sind es meist die Big-Tech-Unternehmen, die zum Beispiel einen Index treiben.
Sievers: Laut jüngsten
Berechnungen der Société Générale wäre der S & P 500 ohne die drei
großen Technologieunternehmen Nvidia, Microsoft und Alphabet für 2023 aktuell
nicht bei plus sieben Prozent, sondern bei minus zwei Prozent. Hinter dieser
Sonderbewegung steht der Hype um das Thema künstliche Intelligenz. Andererseits
können die anderen Branchen ja noch nachlegen, die aggressive Zinspolitik der
US-Notenbank muss nicht zwingend in einer großen Rezession enden. Ich glaube
nicht, dass der US-Aktienmarkt abstürzen wird. Zudem haben viele Hedgefonds
große Short-Positionen aufgebaut. Sobald der Markt etwas korrigiert, werden sie
die Seitenlinie verlassen, auf der sie gerade sitzen, und im Markt mitspielen.
TiAM: Wie schätzen Sie das weitere Vorgehen der Fed ein?
Sievers: Ich denke, wir
werden noch eine – eher kleine – Zinsanhebung sehen, dann beginnen
auch schon bald die Spekulationen darüber, wann die Zinssenkungen einsetzen.
TiAM: Kommt beim Thema Zinsen und US-Banken noch etwas
hinterher?
Sievers: Da sehe ich
definitiv ein Problem, weil US-Banken aus der zweiten Reihe, wie eben die
Silicon Valley Bank, sogenannte Hold-to-Maturity-Portfolios mit zehnjährigen
Staatsanleihen haben, die sie nicht nach dem Niederstwertprinzip bilanzieren
müssen. Das heißt, dass es da eine ziemlich große Summe gibt, die potenziell
abgewertet werden muss. Zudem haben wir gelernt, dass der Bank Run des Jahres
2023 nicht so aussieht, dass die Leute zum Geldautomaten gehen, sondern dass
sie ihre Sparguthaben in einen Geldmarktfonds tauschen. Das ist eine schlaue
Idee, wenn die Banken die bereits höheren Zinsen nicht weitergeben. Es bedeutet
aber nicht, dass nach den drei bisher pleitegegangenen Banken jetzt die
nächstgrößere dran ist.
TiAM: Was bedeutet das alles für Ihre Portfolios?
Sievers: Die USA
betreiben unter den großen Regionen die aggressivste Zinspolitik – mit
bereits spürbaren Auswirkungen auf die Konjunktur. Da einerseits die US-Zinsen
eine echte Alternative für US-Investoren sind und andererseits die Bewertungen
der US-Unternehmen nicht sonderlich attraktiv, haben wir die Region
untergewichtet. Sie macht etwa 45 Prozent unseres aktuellen Portfolios
aus. Ebenso groß ist der Anteil in Europa. Den Rest belegt Asien/Pazifik, wo
wir uns insbesondere auf Japan konzentrieren. In China hingegen sind wir direkt
kaum vertreten – indirekt natürlich schon, beispielsweise wegen der
Verknüpfungen zu den europäischen Luxusgüterherstellern, die eine hohe
Gewichtung in Europas Indizes haben. Verglichen mit dem Weltaktienindex MSCI
ACWI sind wir in Europa momentan übergewichtet. Darüber hinaus sind wir in den
Sektoren breit aufgestellt – der Fonds vermeidet explizite Branchenwetten,
wenngleich er das Thema Momentum (Relative Stärke) zu einem gewissen Grad berücksichtigt.
Aber grundsätzlich gilt: Wir halten sowohl defensive als auch zyklische
Branchen.
TiAM: Sind die Bewertungen europäischer Aktien der
Grund für die Übergewichtung?
Sievers: Vor allem sind
die Signale in Europa besser. Der DAX etwa ist technisch sehr stark und toll
gelaufen. Andererseits enthält er die zyklischsten Unternehmen, die wir in
Deutschland haben, zum Beispiel die Automobilhersteller, die sich seit
Jahresbeginn gut entwickelt haben. Und das sind auch die, die den DAX hoch
halten. Auch der Euro Stoxx ist sehr stabil, weil Europa am stärksten davon
profitiert, dass sich in Asien die Wirtschaft wieder belebt und der positive
Effekt der kollabierenden Energiepreise in Europa besonders stark ausgeprägt
ist. Die 2023er-Gewinnerwartungen waren für Europa besonders niedrig, da hatte
sich Aufholpotenzial aufgestaut. Zudem bleiben die Zinsen im Euroraum deutlich
unterhalb der US-Pendants. Einschränkend muss aber gesagt sein, dass Europas
Aktien inzwischen auch nicht mehr billig sind.
TiAM: Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung der Inflation ein?
Sievers: Die Inflation
wird wieder etwas zurückgehen, wenn auch nicht auf das Niveau, dass wir vor
Corona hatten, wo sogar Deflationsangst herrschte. Entsprechend war die Politik
der Notenbanken ausgelegt, um genau das zu vermeiden. Umso leichter fällt jetzt
einigen Ländern die Entschuldung – denken Sie an Italien oder
Griechenland. Die Kehrseite ist die Enteignung des Sparers. Das unterstreicht
das Risiko für denjenigen, der außer Sparbuch oder Festgeld nichts macht.
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