EZB: Ex-Direktor und Chefvolkswirt Jürgen Stark fordert Klartext von Notenbankchefin Lagarde.
15.02.2022 | 12:15 Uhr von «Felix Petruschke»
EZB-Chefin Christine Lagarde versucht gerade, die am Markt ins Kraut schießenden Zinsfantasien wieder einzufangen. Welche Ansage würden Sie sich von ihr jetzt wünschen?
Jürgen Stark: Zunächst muss sie erkennen, dass es sich beim Anstieg des Verbraucherpreisniveaus nicht um ein temporäres Phänomen handelt. Je länger sie mit dem Gegensteuern zögert, desto größer das Risiko, dass sich die Inflationsrate verfestigt. Umso aggressiver müsste die EZB dann handeln. Die EZB muss auf je den Fall in ihrer Kommunikation umsteuern und die Festlegung korrigieren, die Zinsen weiterhin im negativen Bereich zu belassen. Ein negativer Einlagenzins war sowieso eine dumme Entscheidung.
Wie viel Einfluss hat eine Notenbank überhaupt, um die Inflation zu lenken?
Sie hat mittelfristig Einfluss auf die Inflation, denn die geldpolitischen Maßnahmen wirken mit erheblicher Zeitverzögerung. Gegen kurzfristige Ausschläge kann und sollte eine Zentralbank nichts unter nehmen. Das sendet falsche Signale.
Die hohen Inflationsraten bleiben also?
Weltweit hatten wir eine lange Phase niedriger Inflation. Demografische Faktoren und Globalisierung wirkten disinflationär. Jetzt werden sich diese Kräfte umkehren und zusammen mit der Klimaschutzpolitik als Inflationstreiber zu höherer Inflation führen. Das Leben wird teurer.
Sie haben immer wieder das EZB-Inflationsziel von knapp zwei Prozent kritisiert, das inzwischen nach oben geöffnet wurde. Wie sinnvoll ist ein solches Ziel?
Es ist illusorisch, so etwas durch geldpolitische Feinsteuerung erreichen zu wollen. Die EZB hat jahrelang die Inflation für zu niedrig erklärt und eine „höhere Inflation“ als erstrebenswert kommuniziert. Jetzt haben wir eine hohe Inflation, die die EZB unterschätzt oder ignoriert.
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