Rückblick auf die vergangene Woche
Die Deutsche Börse AG hat bekanntgegeben, dass sie einen Börsengang ihrer Tochter Institutional Shareholder Services (kurz: ISS Stoxx) erwägt. ISS Stoxx ist weltweiter Marktführer im Bereich Unternehmensdaten-Analyse, Stimmrechtsberatung und ESG-Rating. Der Gang an die Börse könnte eine Erfolgsgeschichte werden. In normalen Zeiten. Aber die Zeiten sind nicht normal. Das wurde am vergangenen Mittwoch deutlich, als ISS Stoxx bekanntgab, dass bei ESG-Ratings das Thema Diversität mit Blick auf Geschlecht und ethnischer Herkunft ab dem 25. Februar nicht mehr berücksichtigt wird, wenn es um Empfehlungen für die Wahl oder Wiederwahl von Vorständen in US-Konzernen geht. ISS begründete dies mit dem Trump-Dekret und den Diskussionen über die sogenannten DEI-Richtlinien in den USA.
Die Meldung des Unternehmens vom Mittwoch ist keine kleine Randnotiz. Denn sie zeigt nun unübersehbar die offene Flanke von ISS Stoxx. Zum Hintergrund: Der Börsengang wird vor allem von General Atlantic vorangetrieben. Der US-Finanzinvestor hält eine Minderheitsbeteiligung von 20 Prozent an ISS Stoxx. Das New Yorker Unternehmen will seine Anteile möglichst schnell loswerden. Und das hat zum Teil auch mit den DEI-Richtlinien zu tun. General Atlantic sieht offensichtlich ein Risiko in seiner Beteiligung.
Warum ist das so? Nun, der wiedergewählte US-Präsident Donald Trump hat allem, was nach Woke, Nachhaltigkeit oder Öko klingt, den Kampf angesagt. Einer seiner ersten Amtshandlungen war es, alle staatlichen Behörden per Dekret anzuweisen, die sogenannten DEI-Richtlinien (Diversity, Equity, Inclusion) bei Einstellungen oder Geldvergabe nicht mehr zu berücksichtigen. ISS Stoxx hat dieses Präsidenten-Dekret offensichtlich so interpretiert, dass das Thema Diversität nicht nur für den Staat, sondern auch auf Unternehmensebene nun nicht mehr relevant sei. Der Schwerpunkt der Stimmrechtsberatung zu ESG-Themen liegt in den USA. Die Streichung des Themas aus den Unternehmensanalysen lässt sich deshalb durchaus als opportunistisch bezeichnen. Doch es ist viel mehr. Es ist der sichtbare Beginn des Rückzugs der USA aus dem Thema ESG. Man muss kein Prophet sein, um vorauszusehen, dass Nachhaltigkeit in der Berichterstattung von US-Unternehmen bald keine Rolle mehr spielen wird. Entweder, weil es die Trump-Administration bald nicht mehr von den Unternehmen verlangt. Oder weil die US-Regierung es den Unternehmen vielleicht sogar bald verbietet, Nachhaltigkeitsberichte zu erstellen. Einfach aus ideologischen Gründen.
Für ISS Stoxx ist das ein Problem. Zum Hintergrund: ISS Stoxx ist ein Stimmrechtsberater, auch Proxy Advisor genannt. Das Unternehmen berät institutionelle Investoren bei der Formulierung der Kriterienkataloge für ihr Abstimmungsverhalten auf Hauptversammlungen. Insbesondere Fondsgesellschaften lassen sich von sogenannten Proxy Advisors beraten. Denn nur so haben sie eine Chance, bei den vielen verschiedenen Versammlungen, bei denen Stimmrechte der Anleger gefordert sind, den Überblick zu behalten. Und noch mehr: Proxy Advisor helfen den Fondsgesellschaften nicht nur dabei, eine Meinung dazu zu finden, wie diese ihre Stimmen einsetzen sollten, sondern sie treten, falls es von den Fondsgesellschaften gewünscht wird, auf Hauptversammlungen auf und nehmen die Stimmrechte in deren Auftrag wahr. Sie haben also auch eine große Macht.
ISS Stoxx ist in diesem Markt nicht irgendwer, sondern mit einem geschätzten Marktanteil von über 50 Prozent der weltweit führende Stimmrechtsberater – gerade auch beim Thema ESG. ISS Stoxx hat in den vergangenen zehn Jahren unter dem Eindruck zunehmender Regulierung in den Bereichen Umwelt (Environment), Soziales (Social) und gute Unternehmensführung (Governance) viel Geld und Zeit in die Analyse von ESG-Berichten investiert und auch durch Firmen-Zukäufe seine Position in diesem Bereich gestärkt. Wenn es darum geht, Unternehmen danach zu beurteilen, inwieweit sie nachhaltig arbeiten, ist ISS Stoxx deshalb die erste Adresse. Die ESG-Ratings von ISS Stoxx bilden für sehr viele Fonds, die ein Nachhaltigkeits-Siegel im Namen tragen dürfen, die Basis für ihre Anlageentscheidungen. Bislang war dies ein mächtiges Pfund des Unternehmens. Durch das drohende Wegbrechen des US-Markts ist dieser Schwerpunkt jedoch plötzlich zum Risikofaktor geworden.
Der US-Finanzinvestor General Atlantic sieht das jedenfalls so. Und das sagt eine Menge über die zu erwartende Entwicklung in Sachen ESG aus. China und Indien kümmern sich ohnehin nicht darum. Die beiden großen schmutzigen Industriemächte, die gern ihre Bedeutung für den Weltmarkt betonen, ziehen sich, wenn es um das Thema Nachhaltigkeit geht, gerne auf den Standpunkt zurück, sie seien Entwicklungsstaaten und trügen deshalb keine Verantwortung für diesen Planeten. Nach dem Austritt der USA aus dem Pariser Klimaschutzabkommen und der Rückkehr zu alter „Drill Baby, Drill!“-Politik steht Europa mit seiner halbgaren EU-Taxonomie nun ziemlich allein da. Das, was vor ein paar Jahren noch als ein gemeinsamer, weltweiter Marsch in eine bessere, verantwortungsvolle Zukunft geplant war, ist plötzlich zum europäischen Alleingang geschrumpft.
Noch halten die Umwelt-Kommissare in Brüssel an ihren ehrgeizigen Regulierungsplänen fest. Doch die ersten Risse in der Koalition der ESG-Gläubigen werden bereits sichtbar. Schon ist die Rede davon, die Regeln müssten simplifiziert werden. Entschlackt. Weniger komplex. Gleichzeitig werden die ESG-Regeln weiter aufgeweicht. Seit Dezember können Fonds auch Rüstungstitel in ihre nachhaltigen Finanzprodukte stecken. Darauf haben sich gleich drei Fondsverbände geeinigt. Und auch auf EU-Ebene wird diskutiert, Rüstungsunternehmen als „nachhaltig“ zu klassifizieren, wenn sie gleichzeitig auch andere ESG-Kriterien erfüllen.
Da stellt sich bald die Frage nach dem Sinn des Ganzen. Atomkraft und Gasindustrie sind ja bereits mit einem EU-Öko-Siegel geadelt. Und selbst Ölförderer können sich das Wohlwollen der ESG-Ranking-Unternehmen sichern, wenn sie nur gut und ausführlich genug über ihre guten Taten in Sachen alternative Energien berichten und eventuell bei den Themen Soziales und gute Unternehmensführung glänzen.
Und so bahnt sich langsam, aber sicher ein Gedanke Bahn - nämlich, dass die ESG-Regulierung Unternehmen, die in Europa Geschäfte tätigen, vor allem großen administrativen Aufwand und hohe Kosten für ihre ESG-Berichterstattung verursacht. Von Klimarettung oder Weltverbesserung ist kaum noch die Rede.
Sollten diesen Überlegungen den ESG-Regulierungs-Zug in Brüssel ausbremsen oder gar stoppen, wäre dies auch für ISS Stoxx eine weitere schlechte Nachricht. Schon jetzt haben die Deutsche Börse AG und General Atlantic die Befürchtung, dass sich potenzielle Investoren bei einem Börsengang von ISS Stoxx aufgrund der Unsicherheit über die weitere Entwicklung von Nachhaltigkeits-Themen zurückhalten könnten. Als Alternative zu einem IPO könnte die Deutsche Börse dem Juniorpartner General Atlantic dessen Anteil auch abkaufen, hat Börsenchef CEO Stephan Leithner bereits trotzig gesagt. Immerhin: Der Preis für die Anteile dürfte bereits gesunken sein.
Interessante Termine in den kommenden Tagen
Am Dienstag lädt das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Berlin zum Pressefrühstück ein. Das IW stellt eine aktuelle Studie vor. Das Thema: „Wirtschaft unter Druck: Welche Folgen hätte eine Wirtschaftspolitik von Rechtsaußen“. In der Studie untersuchen die Autoren, was das Erstarken populistischer Parteien für Unternehmen, den Wirtschaftsstandort Deutschland und die globale Positionierung bedeuten. Nach der Amokfahrt in München am vergangenen Donnerstag steht zu befürchten, dass die Warnungen der Autoren der IW-Studie noch ernster genommen werden müssen.
Am Mittwoch folgt in Leipzig der Unternehmergipfel „Demokratie & Weltoffenheit als wirtschaftliches Erfolgsmodell“. Im Rahmen der Veranstaltung soll das Bundesnetzwerk Wirtschaft für ein Weltoffenes Deutschland ins Leben gerufen und ebenfalls die Studie des IW Köln vorgestellt werden. Als Gäste werden unter anderem die Chefs der Parteien Grüne, FDP und SPD erwartet. Hoffentlich streiten sie sich nicht auf offener Bühne. Das wäre definitiv das falsche Signal.
Am Donnerstag startet in Offenburg die „GeoTherm“. Nach Veranstalterangaben ist dies Europas größte Geothermie-Fachmesse. Ob wohl auf dieser Messe auch das Thema ESG eine Rolle spielt?
Am Freitag legt die Federal Reserve (Fed) in den USA ihren Bericht zur „Geldpolitik, den wirtschaftlichen Entwicklungen und den Perspektiven für die Zukunft“ zur Diskussion vor. Dieser Bericht wird auch kurz nur „Bericht zur Geldpolitik“ genannt. Er wird dem US-Senatsausschuss für Banken, Wohnungswesen, städtische Angelegenheiten und Finanzdienstleistungen halbjährlich vorgelegt.
Am Sonntag wird in Deutschland ein neuer Bundestag gewählt. Nicht vergessen! Hingehen! Selbst Kreuze setzen und nicht nur die anderen machen lassen! Denn auf die können Sie sich im Zweifelsfall nicht verlassen.
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