TiAM FundResearch blickt auf die vergangene Woche zurück und gibt einen Ausblick auf die kommenden Tage. Diesmal im Fokus: Wie der Euro-Stabilitätspakt weiter ausgehöhlt wird und EZB-Chefin Christine Lagarde die Märkte treibt.
30.05.2022 | 07:30 Uhr von «Peter Gewalt»
„Verträge sind nicht einzuhalten“ wäre das passende Leitmotiv für den 1997 geschlossenen Stabilitätspaktes, der bei der Einführung des Euro gerne als starkes Sicherheitssystem gegen übermäßige Verschuldung, Währungskrisen und Inflation angepriesen wurde. Denn schon vor der Coronapandemie haben die wenigsten Euro-Staaten die selbst auferlegten Ziele erreicht, das jährliche Haushaltsdefizit auf drei Prozent der Wirtschaftsleistung zu begrenzen sowie eine Zielmarke für die Gesamtverschuldung des Staats von 60 Prozent des BIPs anzustreben. So werden 2023 elf der 19 Euro-Länder die 60-Prozent-Verschuldungsgrenze übertreffen, sieben Staaten toppen die Drei-Prozent-Marke. Vergangene Woche gabs dann den nächste Rückschlag. Denn da empfahl die EU-Kommission, vor allem auf Druck der hochverschuldeten Staaten, den sogenannten Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht wie geplant 2023 sondern erst 2024 wieder vollständig in Kraft zu setzen. Und das obwohl aktuell von einer Rezession in der Eurozone keine Rede sein kann. Als Grund wurde daher die unsichere Wirtschaftslage in Folge des Ukraine-Krieges genannt. Nun heißt es also weiter munter Schulden machen. Immerhin: Die paradiesischen Zustände, als die neue Verbindlichkeiten so gut wie nichts kosteten, sind erst einmal vorbei.
Dafür sorgt ausgerechnet EZB-Chefin Christine Lagarde, die nicht gerade zu den geldpolitischen Falken gezählt werden kann. In einem Blogbeitrag auf der Seite der EZB kündigte sie an, dass die Währungshüter am 21. Juli die Zinsen erhöhen werden. „Ich erwarte, dass die Nettokäufe im Rahmen des Asset Purchase Programme sehr früh im dritten Quartal enden", so die EZB-Präsidentin darin. „Dies würde uns bei unserer Sitzung im Juli eine Zinserhöhung ermöglichen, die unseren Leitlinien entspricht. Basierend auf dem aktuellen Ausblick dürften wir in der Lage sein, bis zum Ende des dritten Quartals aus den Negativzinsen auszusteigen." Experten rechnen nun damit, dass es zwei Anhebungen im Juli und im September von je 0,25 Basispunkten geben wird.
Der politische Druck auf die EZB war angesichts der hohe Inflationsraten letztlich doch so groß, dass die Notenbanker in Frankfurt geldpolitisch nun etwas aggressiver als zuletzt gedacht vorgehen müssen. Zudem zeigten die jüngsten Daten (insbesondere die PMI-Erhebungen), dass sich der wirtschaftliche Aufschwung in den letzten Monaten trotz des Schocks durch den Ukraine-Krieg fortgesetzt hat. Das Resultat der Bloggerei von Frau Lagarde. Der Euro gewann gegenüber dem US-Dollar nach langer Zeit wieder kräftig hinzu und Inhaber von Bankaktien durften sich wieder mal freuen. So zogen etwa die Kurse der Deutschen Bank und Commerzbank um über zehn Prozent an, da Lagarde den Geschäftsbanken einen Einlagenzins von Null oder leicht darüber in Aussicht stellte. Soll heißen: Die Finanzinstitute müssen künftig keine Strafzinsen mehr zahlen, wenn sie ihre überschüssigen Milliarden bei der EZB parken. Davon dürften auch die Bankkunden profitieren - auch wenn unterm Strich die weiterhin hohe Inflation weiter ihr Vermögen vernichtet.
Am Montag veröffentlicht das Statistische Bundesamt eine erste Schätzung für die Inflationsrate in Mai. Das Ergebnis dürfte auch Frau Lagarde brennend interessieren. Immerhin lag die Quote im April mit 7,4 Prozent Plus auf dem höchsten Stand seit 1981. Und sie dürfte laut Experten im Mai auf bis zu acht Prozent steigen.
Am Montag beginnt in Hannover die größte Industrieausstellung der Welt. Diese wurde aufgrund der Corona-Infektionslage auf Ende Mai/Anfang Juni verschoben. Themen sind unter anderem Digitalisierung, mehr Energieeffizienz in der Produktion sowie Logistik und neue Mobilitätskonzepte. Außerdem dürften angesichts des Krieges in der Ukraine aktuelle Fragen der Energieversorgung und Energiesicherheit im Mittelpunkt stehen.
Am Dienstag veröffentlicht Eurostat eine Schätzung zu Inflationsrate für den Euroraum. Auch dieser Termin wird Madame Lagardes aufmerksam verfolgen. Denn die jährliche Inflationsrate im Euroraum betrug im April 2022 bei 7,4 Prozent, ein Jahr zuvor lag sie noch 1,6 Prozent. Auch hier könnte am Ende ein Plus von acht Prozent für den Mai stehen.
Am Freitag überprüft die Deutsche Börse turnusgemäß die Zusammensetzung der DAX-Indices. Im DAX dürfte Kosmetikkonzern Beiersdorfer den Essenslieferdienst Delivery Hero ersetzen. Im MDAX gelten Wind-und Solarparkbetreiber Encavis und die Aareal Bank als Aufstiegsfavoriten, der Fintech Hypoport und der Gabelstaplerhersteller Jungheinreich als Abstiegskandidaten.
Diesen Beitrag teilen: