Die EU-Kommission plant, Nachhaltigkeitskriterien in konkrete Finanzmarktregulierung zu implementieren. Die Initiative stößt in Deutschland auf großen Widerstand. In China ist man schon wieder einen Schritt voraus.
21.02.2019 | 10:30 Uhr
Die Europäische Union will die Finanzindustrie grüner machen. EU-Kommission und Europäisches Parlament arbeiten deshalb an verschiedenen Gesetzgebungsinitiativen. Eine davon ist der „Action Plan: Financing Sustainable Growth“. Ziel des Aktionsplans ist es, mit zehn Maßnahmen Kapital in „nachhaltige und integrative“ Investitionen zu lenken, ökologische und soziale Risiken besser in das Risikomanagement der Finanzmarktteilnehmer einzubetten sowie die Finanz- und Wirtschaftstätigkeit „transparenter und langfristiger“ auszurichten. Die Finanzindustrie in Deutschland ist von dem Vorgehen nicht sonderlich begeistert. Verschiedene Verbände und Lobbygruppen haben sich bereits kritisch zu Wort gemeldet und vor einer unnötigen und unangemessenen Bevormundung durch die EU gewarnt.
Die Diskussion zum europäischen Aktionsplan wird in Deutschland leider auf ähnlichem Niveau geführt wie die Meinungsbeiträge zum Thema Tempolimit auf Autobahnen. Am Kern der Sache gehen die Argumente, die vorgetragen werden, leider meistens vorbei. Geht es um die Art und die Freiheit des Meinungsaustausches, mag China hier sicherlich kein Vorbild sein. In der Konsequenz der Umsetzung des Nachhaltigkeitsgedankens allerdings schon: Das Reich der Mitte hat klassische Kreditratingagenturen (Credit Rating Agencies, CRAs) aktiv eingebunden, den Finanzmarkt mit den erforderlichen Informationen zu versorgen, um eine qualitative Auswahl der Anlagegelegenheiten in Hinblick auf die Nachhaltigkeit von Investments treffen zu können. Sie sollen neben klassischen Kreditratings auch neue Angebote erstellen, nämlich ESG- und Green-Bond-Ratings.
Hintergrund: Die chinesische Regierung hat bereits vor Jahren die Umweltherausforderungen des Landes erkannt und konsequent ihre Prioritäten in Richtung nachhaltiger Entwicklung verlagert. Der 13. Fünfjahresplan für 2016 bis 2020 nennt einen enormen Investitionsbedarf, um die Umwelt- und Klimaprobleme in China zu bewältigen. Der Markt für Green Bonds gilt der Regierung als wirksames Instrument zur Erreichung dieser Ziele. China will die lokalen Green-Bond-Vorgaben deshalb mit internationalen Standards harmonisieren. Je nach Art des chinesischen Inlandsemittenten gelten unterschiedliche Richtlinien für die Begebung von Green Bonds, die wiederum bestimmen werden, welche Projekte für die Finanzierung über den heimischen Green-Bond-Markt infrage kommen.
Konkret wird der Plan so umgesetzt: Sämtliche führende Ratingagenturen in China sind im Rahmen des „Kreises zuverlässiger Prüfer“ an der Erstellung von Zweitmeinungsberichten für grüne Anleihen beteiligt. Neben der beeindruckenden Entwicklung des Green-Bond-Marktes ist China auch Initiator einer offenen und unabhängigen internationalen Kooperationsplattform: der Belt-and-Road-Initiative. Kreditrating-Agenturen können daran arbeiten, Investoren mit transparenten und verlässlichen Informationen zum B&R-Projekt zu versorgen, die in den meisten Ländern der Initiative auch für regulatorische Zwecke verwendet werden könnten.
Während Daten zur Kreditwürdigkeit für viele dieser Projekte verfügbar sind, fehlt es häufig an Informationen zu ESG-Faktoren. Dies macht es für Investoren schwierig, zu erkennen, ob interessante Anlagegelegenheiten auch die erwarteten ESG-Standards erfüllen. Im Dezember 2018 wurde deshalb in Peking ein Kooperationsmemorandum von vier Ratingagenturen unterzeichnet: die größte chinesische Ratingagentur China Chengxin International Credit Rating, RAEX-Europe, JCR-VIS Credit Rating aus Pakistan und die bahrainische Islamic International Rating Agency. Ziel ist die Zusammenarbeit bei der Entwicklung von Produkten, die ESG-Faktoren für B&R-Projekte bewerten. An dem Beispiel wird deutlich, wie konsequent China seine langfristigen Ziele vorantreibt: Einerseits positioniert sich das Land als Vorreiter einer Entwicklung, die in den USA zurzeit komplett verschlafen wird und die in Europa nur langsam vorankommt.
Andererseits lässt die nationale Zusammensetzung der Partner für das Kooperationsmemorandum tief blicken: Die vier Ratingagenturen repräsentieren nicht zufällig die Seidenstraßen-Länder. China benötigt für sein ehrgeiziges Multimilliarden-Projekt langfristig solide Finanzierungsressourcen. Wer beim Thema ESG die Standards setzt, hat Einfluss darauf, wohin zukünftig, wenn das Thema Nachhaltigkeit für Investoren immer wichtiger wird, die Geldströme weltweit fließen. Wer die Financing Sustainable Growth-Initiative der EU-Kommission und des Europäischen Parlament kritisiert oder sogar zu Fall bringen will, sollte das im Hinterkopf haben.
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