Das Land war über 47 Jahre lang Mitglied in der
Staatengemeinschaft und ihren Vorgängerorganisationen. In einer Übergangsphase
bis zum Ende des Jahres müssen London und Brüssel aber noch ihre künftigen
Beziehungen klären.
Begangen wird der historische Moment in London (23 Uhr
Ortszeit) aus Rücksicht auf die Brexit-Gegner ohne großen Pomp. Big Ben soll
nicht läuten. Der Uhrturm des britischen Parlaments wird derzeit aufwendig
restauriert und müsste dafür extra hergerichtet werden. Am Parliament Square
soll an allen Fahnenmasten der Union Jack wehen. An die Fassade der 10 Downing
Street wird ein Countdown projiziert.
Trotzdem dürfte im Regierungssitz der ein oder andere
Sektkorken knallen. Pressefotografen hatten dort bereits vergangene Woche größere
Lieferungen englischen Schaumweins erspäht - Champagner aus dem EU-Land
Frankreich verbietet sich bei dem Anlass selbstredend.
In einer Rede, die am Abend übertragen werden soll, betont
Premierminister Boris Johnson laut vorab verbreiteten Auszügen, der Brexit sei
kein Ende, sondern ein Anfang. "Es ist ein Moment der echten nationalen Erneuerung
und des Wandels", so der Premier. Seine Aufgabe sei es nun, das Land zu
einen und voranzubringen. Die Lebenschancen der Menschen sollten nicht davon
abhängen, in welchem Teil des Landes man aufwachse. Das werde nicht mehr
akzeptiert.
Ausgelassener als Johnson will der Chef der Brexit-Partei,
Nigel Farage, mit seinen Mitstreitern den EU-Austritt feiern. Die Initiative
"Leave means Leave" hat für Freitagabend eine Party vor dem Parlament
geplant. Auch in anderen Teilen des Landes wird gefeiert. Ein Feuerwerk wurde
Farage allerdings untersagt.
Auch wenn Johnson den Brexit am liebsten nun
beiseiteschieben will, wird das Thema auch in diesem Jahr weiter die
Schlagzeilen in Großbritannien bestimmen. Bis zum 31. Dezember bleibt das Land
noch in einer Übergangsphase, in der sich so gut wie nichts ändert, außer dass
Großbritannien nicht mehr repräsentiert sein wird in Brüssel. Währenddessen müssen
sich beide Seiten über ein Anschlussabkommen einig werden, sonst drohen schwere
Konsequenzen für den Handel und weitere Bereiche. Doch die Zeit gilt dafür als äußert
knapp und die Vorstellungen auf beiden Seiten klaffen weit auseinander.
Seine Verhandlungsziele für die künftigen Beziehungen will
Johnson britischen Medien zufolge nächste Woche vorstellen. Souveränität sei
wichtiger als reibungsloser Handel, will er nach einem Bericht des
"Telegraph" in einer Rede als Leitlinie ausgeben. Der Bruch zwischen
London und Brüssel soll viel klarer ausfallen als unter Johnsons Vorgängerin
Theresa May geplant. Er will sein Land von der Anbindung an EU-Regeln frei
machen und die Verbindungen weitgehend kappen.
Die EU-Kommission fordert indes eine möglichst enge
Anbindung an EU-Standards. Unfaire Subventionen sowie Sozial- oder Umweltdumping
dürfe es nicht geben, forderte auch Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) im
Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Davon soll abhängen, wie weit
Großbritannien Zugang zum Binnenmarkt bekommt.
Die Kommission will nächsten Montag ihrerseits die
Verhandlungslinie vorschlagen, die dann noch von den 27 bleibenden Staaten
gebilligt werden muss. Ende Februar oder Anfang März geht es dann wirklich an
den Verhandlungstisch.
Irlands Premierminister Leo Varadkar zeigte sich
hoffnungsvoll. Für den bereits beschlossenen Vertrag seien alle über ihren
Schatten gesprungen, schrieb er in einem Gastbeitrag für die "Welt"
(Freitag). Das sei "ein gutes Omen" für die nächste Phase der
Verhandlungen. "Was auch immer geschieht, ich hoffe, dass die Tür immer
offen steht, sollte das Vereinigte Königreich jemals entscheiden, zurückkehren
zu wollen."
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble geht nicht davon aus,
dass nun auch andere Staaten die EU verlassen. "Die Gefahr sehe ich
gebannt, der Ablauf des Brexit hat solche Überlegungen in anderen EU-Ländern
eher geschwächt", sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Gleichzeitig bedauerte er die Entscheidung der Briten. "Der Brexit ist ein
trauriges Ereignis."
Quelle: dpa-AFX
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