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Euro

„Der Euro ist auf dem Weg zur italienischen Lira“

Jede Woche veröffentlichen führende Vermögensverwalter und Fondsgesellschaften weltweit zahlreiche fundierte Einschätzungen zu den Finanz- und Kapitalmarktmärkten. Um einen Überblick zu erhalten, stellt TiAM FundResearch regelmäßig die wichtigsten Aussagen für Sie kompakt zusammen.

15.07.2022 | 12:15 Uhr von «Peter Gewalt»

Die unterschiedlichen Ansätze der Notenbanken bei der Inflationsbekämpfung sowie der Wertverluste der europäischen Einheitswährung standen diese Woche im Mittelpunkt der Analysen.

So beurteilt Ulrike Kastens, Volkswirtin Europa DWS, die erste Zinserhöhung der EZB seit Jahren: „Die Erwartungen an die Sitzung der Europäischen Zentralbank am 21. Juli 2022 sind hoch. Erstmals seit neun Jahren traut sich die EZB und dürfte alle Leitzinsen um 25 Basispunkte anheben. Angesichts der extrem hohen Inflationsraten ist dies allerdings eine zögerliche Reaktion. Wir gehen daher davon aus, dass die EZB die geldpolitische Normalisierung – also weitere Zinsschritte im Jahresverlauf - in ihre Verlautbarung aufnehmen wird. Die Straffung könnte umso stärker ausfallen, je schlagkräftiger das angekündigte Programm zur Bekämpfung der sogenannten Fragmentierung in der Eurozone ausfällt. Ob die Fragmentierung, das heißt eine „fundamental ungerechtfertigte Ausweitung der Renditedifferenzen“ tatsächlich vorliegt, darüber kann vortrefflich gestritten werden. Die EZB hält ein solches Instrument jedoch für nötig, um eine Krisensituation wie in den Jahren 2011 und 2012 zu vermeiden.

Damit hat sie hohe Erwartungen der Marktteilnehmer geschürt, die es nun zu erfüllen gilt. Wir rechnen nicht mit einem zeitlich begrenzten Programm. Mögliche Anleihekäufe dürften zudem sterilisiert werden, um eine erneute Ausweitung der EZB-Bilanz zu vermeiden. Doch wie beim SMP (Security Markets Programme) und beim OMT (Outright Monetary Transactions) dürften Geld- und Fiskalpolitik vermischt werden. Die EZB dürfte nur dann Anleihen von einzelnen Staaten kaufen, wenn diese gewisse fiskalische Bedingungen erfüllen. Strenge Auflagen und Regeln wie beim OMT sind aber nicht zu erwarten, vielmehr könnten sich die Währungshüter mit Absichtserklärungen zufriedengeben. Dies kann das neue Programm mittelfristig juristisch anfechtbar machen. Unklar ist zudem, ob das Instrument tatsächlich zum Einsatz kommt oder ob der Ankündigungseffekt ausreicht, um für eine Einengung des Renditeaufschlags (Spread) zu sorgen.

Garrett Melson, Stratege bei Natixis Investment Managers, sieht kein Ende des Auftriebs für den US-Dollar, solange strukturelle Treiber wie die Zins- und Wachstumsdifferenz zwischen Europa und den USA intakt sind: „Im Moment profitiert der Dollar von zwei Kapitalströmen – denjenigen, die auf der Suche nach sicheren Häfen sind und denen, die vom stärkeren Wirtschaftswachstum profitieren wollen. Das kann – ähnlich wie in 2010 – zu einem sich selbst verstärkenden Kreislauf werden: Das relativ robuste US-Wachstum führt zu einem stärkeren Dollar, der aber das globale Wachstum unter Druck setzt, was wiederum die relativen Wachstumsdifferenzen weiter zugunsten der Dollarnachfrage verstärkt und die Anleger in den Risk-Off Modus treibt. Und so weiter…

Auch wenn der Dollar auf den Charts überkauft aussieht, gibt es also keinen wirklichen Grund zu glauben, dass sich der Trend umkehrt – solange wir nicht sehen, dass sich die US-Inflation deutlicher abschwächt und infolgedessen die Zinsdifferenz, namentlich zum Euro, reduzieren kann.

Hinzu kommt, dass der theoretische Vorteil eines billigeren Euro – nämlich die relative Attraktivität von Exporten aus Europa –durch die Tatsache, dass der Industriesektor aufgrund der Energiekosten unter Margendruck gerät und möglicherweise durch Rationierungen eingeschränkt wird, zunichte gemacht wird.

Dies ist ein perfekter Sturm, der durch die europäische Energiekrise ausgelöst wurde, die zu einer Neubewertung des EUR in einer Wirtschaft führt, die keinen massiven Leistungsbilanzüberschuss mehr hat und nun aufgrund des Energiebedarfs ein Handelsdefizit aufweist. Und je stärker der Dollar wird, desto mehr verlangsamen sich die weltweite Produktion und der Handel, was die Rohstoffe unter Druck setzt und die rohstoffbezogenen Devisen ebenfalls nach unten zieht.

Die EZB riskiert mit ihrem zögerlichen Kurs, den Euro langfristig als Weichwährung zu diskreditieren, meint BANTLEON Chefvolkswirt Dr. Daniel Hartmann in seinem Beitrag „Der Euro ist auf dem Weg zur italienischen Lira“:
«Um Reputation in der Inflationsbekämpfung aufzubauen, muss eine Notenbank auch unangenehme Entscheidungen treffen. Im Zweifel hat Preisstabilität Vorrang vor der konjunkturellen Entwicklung. Genau diese Linie verfolgt derzeit die Federal Reserve. Notenbankpräsident Jerome Powell räumte ein, dass die geldpolitischen Straffungen mit »Schmerzen« in der Realwirtschaft verbunden sein werden. Auch ein Abgleiten in die Rezession schließt er nicht aus. Langfristig sei es aber für die Wirtschaft besser, jetzt zu handeln und kleinere konjunkturelle Rückschläge hinzunehmen, als später den großen Knall zu riskieren. Die jüngste Leitzinsanhebung der Schweizer Nationalbank ist ebenfalls in diesem Sinne zu verstehen. Auch bei den Schweizer Währungshütern lautete das Motto: Lieber jetzt überschaubare Schmerzen in der Exportwirtschaft riskieren, als später die Zinskeule auspacken.

Die EZB hat dagegen die Chance verpasst, Reputation in der Inflationsbekämpfung aufzubauen. Sie nahm stattdessen Rücksicht auf die südeuropäischen Länder, deren Notenbankpräsidenten sich geschlossen für ein vorsichtiges und »graduelles« Vorgehen aussprechen. Zu stark ist die Furcht, dass erneut die Konjunktur abgewürgt wird und die Risikoaufschläge italienischer, spanischer oder griechischer Anleihen aus dem Ruder laufen. Wie deutlich hier auch nach wie vor die Präferenzen in der Bevölkerung auseinanderdriften, zeigt eine aktuelle Umfrage, wonach Inflation derzeit in Deutschland als Problem Nummer eins angesehen wird, in Italien dagegen nur an vierter Stelle steht.

Mit ihrem zögerlichen Kurs riskiert die EZB jedoch, den Euro langfristig als Weichwährung zu diskreditieren. Die aktuell bereits bestehende Unterbewertung gegenüber dem US-Dollar wird sich dann strukturell verfestigen. Dies mögen manche begrüßen, da es kurzfristig die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft stützt. Die Vergangenheit hat aber gezeigt, dass solche Abwertungsstrategien nicht von Erfolg gekrönt sind. Vielmehr haben sie zu Wohlfahrtsverlusten geführt. Die Schweiz ist das Paradebeispiel für den umgekehrten Weg. Die strukturelle Aufwertung wirkt hier als Produktivitätspeitsche für die Wirtschaft und führt auf Dauer zu Wohlstandsgewinnen.

Eine strukturelle Euro-Schwäche würde überdies die Finanzmärkte der Währungsunion dauerhaft belasten. Weder für Inländer noch Ausländer ist es attraktiv, Geld in einer Region anzulegen, deren Währung permanent unter Druck steht.»

Fabiana Fedeli, Chief Investment Officer Aktien und Multi Asset bei M&G beantwortet die Schlüsselfragen, was bereits von den Märkten eingepreist ist und wie sich Anleger positionieren sollten: „Nach einer Phase der Verleugnung stellen sich die Marktteilnehmer endlich den makroökonomischen und geopolitischen Risiken: schwächelnder Konsum, der mit einer steigenden Inflation konfrontiert ist, anhaltende, wenn auch etwas verringerte Versorgungsengpässe, Auswirkungen der Null-COVID-Politik in China, der mögliche weitere Druck auf die Rohstoffpreise durch den Ukraine-Krieg sowie die Konsequenzen all dieser Faktoren auf die Unternehmensgewinne. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass die Zentralbanken den Spagat zwischen Inflation und Wachstum überstrapazieren. Je nach Region gilt eine Rezession unterschiedlichen Ausmaßes inzwischen als sehr wahrscheinlich.

Eine ausgeprägte Rezession, die vielleicht von Europa ausgeht und durch Erdgasembargos verursacht wird, würde weitere Abwärtsbewegungen mit sich bringen – insbesondere bei Aktien. Eine Depression oder ein Zusammenbruch der Kreditmärkte wie 2008 stellt aber nicht unser Basisszenario dar. Obwohl wir starke Rückgänge gesehen haben, kann man kaum von einer Überreaktion der Anleger ausgehen. Vielmehr spiegeln die Bewegungen aus unserer Sicht in angemessener Weise die vor uns liegenden Risiken wider, zumal der Rückgang von Bewertungsniveaus ausging, die in vielen Fällen von Beginn an nicht überzeugend aussahen.

Beim Vergleich von Aktien und Anleihen wird die Entwicklung der Korrelation zwischen den Anlageklassen davon abhängen, ob Wachstum oder Inflation im Vordergrund des Interesses der Anleiheinvestoren stehen. Unter dem Gesichtspunkt der relativen Bewertung, d. h. beim Vergleich der Renditen, sind Aktien im Vergleich zu Anleihen nach wie vor auf den ersten Blick günstig. Vieles hängt jedoch von den Ertragsaussichten ab. In Zukunft werden wir wahrscheinlich mehr Enttäuschungen bei den Unternehmensergebnissen erleben.

Philipp Hildebrand, Vice Chairman von BlackRock, und das BlackRock Investment Institut (BII) sehen in ihrem Ausblick für die zweite Jahreshälfte 2022 die als ‚Great Moderation‘ bezeichnete Phase stetigen Wachstums und niedriger Inflation, die Investoren von Mitte der 1980er Jahre bis 2019 begleitet hat, als beendet an: „Anleger müssen sich auf eine neue Welt mit erhöhten Makro-Risiken mit höheren Risikoprämien für Aktien und Anleihen einstellen, die in etwa mit den frühen 80er Jahren vergleichbar ist.“ Die Zentralbanken werden sich mittelfristig mit einer erhöhten Inflation abfinden, nachdem sie das Wachstum abgewürgt haben“, schreiben die Experten des BII. Sie rechnen in der Folge mit einer dauerhaft erhöhten Inflation und starken kurzfristigen Auf- und Ab-Bewegungen der Wirtschaft. Strategisch hält das BII an einem Übergewicht bei Aktien fest, kurzfristig sei man taktisch untergewichtet. Eine Ausnahme bilde die neutrale Positionierung bei japanischen Aktien.

In dem neuen Umfeld sorge die erhöhte Volatilität für Preisverzerrungen an den Märkten. Die aktuellen Bewertungen bei Aktien und Anleihen spiegelten den Regimewechsel noch nicht wider. Investoren müssen dem BII zufolge schneller als bisher auf sich verändernde Marktbedingungen reagieren und ihre taktische Allokation häufiger verändern.

„Anleger werden sich daran gewöhnen müssen, mit Inflation zu leben“, schreiben die Experten vom BlackRock Investment Institute. Langfristig gewichten sie daher Staatsanleihen unter, wohingegen Aktien strategisch übergewichtet werden. Auf kurze Sicht hält das BII Unternehmensanleihen für attraktiv und stuft die Anlageklassen auf „übergewichten“ hoch. Ebenso sind inflationsindexierte Anleihen, und nun insbesondere aus dem Euroraum sowie Großbritannien, übergewichtet.

Zum neuen Regime gehört BlackRock zufolge auch der holprige Übergang zu einer dekarbonisierten Wirtschaft. Anleger sollten sich entsprechend in ihren Portfolios für die Transformation in Richtung „Netto Null-Emissionen“-Wirtschaft positionieren. Im aktuellen Umfeld hätten sowohl fossile Energien als auch nachhaltige Anlagen ihren Reiz. Rohstoffe werden eine zentrale Rolle bei der Transformation spielen.

Die Allokation in Privatmarktanlegen dürfte weiter steigen, obwohl sich Privatmärkte sich nicht gänzlich von der höheren Volatilität entkoppeln dürften. Die sorgfältige Auswahl werde also wichtiger. Interessant ist Private Credit in diesem Umfeld, da mittelständische Privatkredite häufig an die Inflationsentwicklung gekoppelt sind.

Salman Siddiqui, Investment Manager, Global Emerging Market Equities bei Jupiter Asset Management wirft einen Blick auf das konjunkturelle Umfeld für Schwellenländer: „In der Vergangenheit ist man immer davon ausgegangen, dass ein schwieriges weltwirtschaftliches Umfeld auch ein schwieriges Umfeld für die Schwellenländer bedeuten würde. Zu verschiedenen Zeitpunkten in der Vergangenheit wäre dies eine zutreffende Einschätzung gewesen. Heutzutage wäre eine solche Annahme unseres Erachtens ziemlich veraltet, denn die Schwellenländer sind als Anlageklasse gereift. Insbesondere China könnte in der zweiten Jahreshälfte eine Trendwende erleben.

In den letzten zehn Jahren hat sich in den Schwellenländern viel verändert. Denkt man beispielsweise an die Zeit des "Taper Tantrum" im Jahr 2013 zurück, hatten die Schwellenländer in der Tat zu kämpfen. Insbesondere an den Devisenmärkten, da Länder mit hohen Leistungsbilanzdefiziten unter Druck gerieten. In dieser Zeit wurden Indien, Indonesien, Brasilien, Südafrika und die Türkei als die "Fragilen 5" bekannt. Wenn wir uns diese Volkswirtschaften heute ansehen, können wir jedoch feststellen, dass die ersten vier von ihnen ihre Leistungsbilanzdefizite deutlich gesenkt oder sogar Überschüsse erzielt haben.

Diese grundlegende Verbesserung spiegelt die Schwellenländer als Ganzes wider, da die Länder Strukturreformen durchgeführt haben und im Allgemeinen eine verantwortungsvollere Geldpolitik betreiben – ironischerweise mehr als einige Industrieländer. Das Ergebnis ist: Viele Schwellenländerwährungen haben sich in diesem Jahr auf den Devisenmärkten gegenüber dem Dollar recht gut gehalten. Besser als der Euro oder sogar das Pfund. In vielen Fällen waren sie auch der Inflation voraus, da sie im vergangenen Jahr eine straffere Geldpolitik betrieben haben, während die meisten Zentralbanken der Industrieländer ihre Geldpolitik weiter gelockert haben. Bemerkenswerterweise gibt es zum ersten Mal seit 20 Jahren weniger Schwellenländer mit einer Inflation von über 5 Prozent als Industrieländer. Vielleicht ist es also an der Zeit, dass sich die altmodische Sichtweise auf die Schwellenländer ändert.“

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