Die laufende Gesamtverzinsung der Lebensversicherer beträgt im Schnitt nur noch 3,2 Prozent. Händeringend wird nach lukrativen Anlagen gesucht. Die europäische Versicherungsaufsicht hat sogar Anreize geschaffen, damit Versicherer mehr von den umstrittenen Kreditverbriefungen kaufen – ein Skandal.
06.03.2015 | 09:01 Uhr
Die Meldung Ende November mutete wie ein verfrühter Aprilscherz an: Die Versicherungsaufsicht erleichtert den Versicherern Investitionen in die umstrittenen Kreditverbriefungen. Solche Asset Backed Securities (ABS) waren ein Auslöser der Finanzkrise. „Schrottpapiere für die Altersvorsorge“, titelte daraufhin die Frankfurter Allgemeine. Klar ist: Mit ihren Regeln können die Aufsichtsbehörden Geldströme in eine politisch gewünschte Richtung steuern. Dabei kam es zuletzt zu skurrilen Entscheidungen. Zunächst signalisierte die Europäische Zentralbank (EZB), dass sie bereit ist, ABS-Papiere vom Markt zu nehmen, genauer: aufzukaufen. Dahinter steckt wohl der Wille, Banken von ihren Lasten zu befreien, die Wertverluste bei Kreditverbriefungen nun einmal bedeuten. „Aber nicht nur die EZB soll diese Papiere kaufen, sondern auch die Versicherer“, kritisiert der Investmentfachmann und Versicherungsökonom Dr. Carsten Zielke, Gründer der Zielke Research Consult, der früher als Analyst für die West-LB arbeitete und die Anlagepolitik der Versicherer beobachtete.
Für diese These spricht eine bislang kaum beachtete Entscheidung der europäischen Versicherungsaufsichtsbehörde Eiopa. Sie hat in ihren Leitlinien („delegated acts“) zu den neuen Solvenzregelungen für Versicherer – Solvency II – die für jede Kapitalanlage von Versicherern erforderliche Unterlegung mit Eigenmitteln gerade für ABS-Papiere reduziert. Damit ist für die Versicherer ein Anreiz gesetzt worden, solche als toxisch verschrienen Kreditverbriefungen für die Altersvorsorge zu kaufen. Das ist ein handfester Skandal, denn die Behörde soll eigentlich darüber wachen, dass Lebensversicherer die Leistungen für ihre Kunden jederzeit sicher bezahlen können. Nun ermuntert Eiopa die Versicherer praktisch zum Gegenteil. Zielke kritisiert, dass „für verbriefte Kredite von schlechterer Bonität als ‚A‘ maximal 3,0 Prozent Risikokapital pro Laufzeitjahr hinterlegt werden muss – also auch für Schrottpapiere“. Für BBB-Anteile waren laut Zielke im letzten Frühjahr noch 8,5 Prozent Risikounterlegung nötig. Während bei Emerging-Markets-Aktien und Infrastrukturinvestments nach wie vor 49 Prozent Risikokapital vorgehalten werden müssen, um Verluste ausgleichen zu können, werden Kredit- und Zinsrisiken inzwischen untertrieben dargestellt.
Bankrisiken auf Langfristsparer abgewälzt
Da die Bankenregulierung (Basel III) schon festgezurrt ist, Solvency II aber noch nicht ganz, „möchte man jetzt die größte Kapitalsammelstelle Europas – oder auch das Ersparte – mobilisieren, um die Kreditvergabe gerade in Südeuropa wiederzubeleben“, mutmaßt Zielke. Solvency II sollte eigentlich ein Rechenwerk werden, das die Risiken jedes Versicherers realistisch abbildet. Aber je weiter die Zinsen nach unten gingen, desto mehr wurden künstliche Annahmen in die Modellrechnung eingebaut, um noch akzeptable Solvenzquoten zu erreichen, weiß Zielke. So wird noch immer ein langfristiger risikoloser Zins von 4,2 Prozent unterstellt, obwohl es für zehnjährige Bundesanleihen derzeit nur 0,3 Prozent Zins gibt (Stand: 5. Februar 2015). „Ich sehe die Gefahr, dass hier Bankrisiken auf die Versicherer und damit auf die langfristigen Sparer abgewälzt werden“, warnt Carsten Zielke und schlussfolgert: „Damit wird die deutsche Altersvorsorge – begleitet vom Niedrigzinsniveau – zunehmend zum Unsicherheitsfaktor.“
Die oberste deutsche Finanzwächterin Elke König, noch bis Mai Präsidentin der Finanzaufsicht Bafin, glaubt an eine lang anhaltende Phase niedriger Zinsen. Auch für die Lebensversicherten gibt sie keine Entwarnung: „Die Kunden müssen sich sicherlich 2015 auf gleichbleibende oder sinkende Renditen einstellen.“ Das überrascht nicht wirklich. Die meisten Gesellschaften haben ihre laufende Gesamtverzinsung für 2015 gekürzt. Der Durchschnittswert liegt nach einer Erhebung der Assekurata Rating-Agentur, die ungefähr die Hälfte des Marktes abdeckt, mit rund 3,2 Prozent etwa 0,2 Prozentpunkte niedriger als 2014. Die Suche nach renditestarken Kapitalanlagen nimmt also weiter zu, soll das Geschäftsmodell Lebensversicherung nicht sterben. Gleichzeitig kommen ab 1. Januar 2016 verschärfte Eigenkapitalanforderungen auf die Lebensversicherer zu.
Eine Erhebung der Bafin hat kürzlich alle 87 deutschen Lebensversicherer zur voraussichtlichen Eigenmittelsituation unter Solvency-II-Bedingungen getestet. Dabei kam den Gesellschaften eine lange Übergangszeit von 16 Jahren und Übergangsmaßnahmen zugute, die das neue Regelwerk vorsieht. Ergebnis: Wenige Unternehmen mit einem Marktanteil von zusammen weniger als 1,0 Prozent konnten keine ausreichenden Eigenmittel nachweisen und müssen nachbessern. Ohne Anwendung der Übergangsmaßnahmen lägen die Eigenmittel zum 31. Dezember 2013 bei etwa 25 Prozent der Lebensversicherer, die zusammen auf einen Marktanteil von rund zehn Prozent kommen, unter den Anforderungen. Diese Zahl dürfte mittlerweile aufgrund des Zinsrückgangs 2014 weiter angestiegen sein. Die Bafin schätzt, dass für die deutschen Lebensversicherer unter aktuellen Kapitalmarktbedingungen ohne Anwendung der Übergangsmaßnahmen eine Eigenmittellücke von etwa 15 Milliarden Euro bestünde.
Zusätzliche Reserven für Garantieleistungen nötig
Die Versicherer bieten traditionell Verträge mit langjährigen Zinsgarantien. Unter der marktkonsistenten Bewertung von Solvency II werden die Risiken sichtbar, welche diese Garantien mit sich bringen. Zentrale Bedeutung haben die Übergangsmaßnahmen, die Solvency II vorsieht. Ergänzend steht den Lebensversicherern als permanentes Instrument die sogenannte Volatilitätsanpassung zur Verfügung. Hierbei handelt es sich um einen Aufschlag auf die Zinskurve, um übermäßige Schwankungen in den Ergebnissen aufgrund von Marktübertreibungen zu vermeiden. Die Höhe des Zuschlages legt Eiopa fest. Die deutschen Lebensversicherer müssen sich die Anwendung dieser Maßnahmen von der Bafin genehmigen lassen.
Die Bafin hatte die Lebensversicherer schon 2011 aufgefordert, eine Zinszusatzreserve aufzubauen, damit jedem Kunden auch die früher üblichen Garantien von 4,0 und 3,5 Prozent jederzeit gutgeschrieben werden können. 2014 sank durch den Zinsverfall der Referenzzins für die mehrjährige risikofreie Anlage in europäische Anleihen bester Bonität auf unter 3,25 Prozent. Deshalb müssen die Versicherer nun auch Verträge nachreservieren, die zwischen 2001 und 2003 mit 3,25 Prozent Garantiezins angeboten wurden. Inzwischen hat die Zinszusatzreserve ein Volumen von rund 20 Milliarden Euro erreicht. Das Geld fließt in die Deckungsrückstellungen und ist für Investitionen in riskantere Kapitalanlagen blockiert. Daher haben erste Anbieter, insbesondere Allianz und Ergo, den Absatz von Policen mit weniger harten Garantien begonnen. Andere Anbieter, wie die Debeka, wünschen sich einen langsameren Aufbau der Zinszusatzreserve, um eine Überforderung in den nächsten Jahren im Zusammenhang mit dem Start von Solvency II zu vermeiden. Das Geld fehlt, um die Eigenmittel zu stärken, ist auch von der Generali Lebensversicherung zu hören. „Ich halte die Berechnungsformel für fehlerhaft“, stimmt Volkswohl-Bund-Chef Joachim Maas in die Kritik ein. Der Referenzzins sollte stärker auf die echte Kapitalanlage abgestimmt und die Zusatzreserve selbst als Teil der Eigenmittel anerkannt werden.
Für Kunden hat dieser technisch anmutende Schlagabtausch handfeste Folgen: Die Erträge gehen vor allem wegen der Niedrigzinspolitik weiter zurück. Die EZB-Politik des billigen Geldes hat deutsche Privathaushalte seit 2010 etwa 23 Milliarden Euro gekostet, zeigt der Weltvermögensbericht 2014 der Allianz. Laut Hans-Werner Sinn, Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, sind den Deutschen seit 2008 etwa 300 Milliarden Euro entgangen – im Vergleich zu den Zinsen, die vor Ausbruch der Finanzkrise erzielt wurden. Da kommen Jahr für Jahr 60 bis 70 Milliarden Euro zusammen, Tendenz gleichbleibend.
Die Lebensversicherer haben ihren Kunden langfristig über alle Vertragsgenerationen 3,1 Prozent Garantiezins zugesagt. Das ist mit traditionell sicheren Anlagen kaum mehr zu erzielen. Demnach könnte die Aktie ein Comeback erleben. Seit die Versicherer im Jahr 2000 von den fallenden Kursen überrascht wurden, ging die Aktienquote auf heute durchschnittlich drei Prozent zurück. „Die Versicherer müssen in Aktien investieren, wenn sie ihre Garantieverzinsung erreichen wollen, denn mit Anleihen allein wird das nicht funktionieren“, argumentiert Analyst Carsten Zielke. Doch viele beschäftigten kaum noch Aktienspezialisten. Ein weiterer Hinderungsgrund steht im Handelsgesetzbuch (HGB): Im Falle von Kursverlusten geben die HGB-Regeln dem Versicherer nur 18 Monate Zeit, bis Abschreibungen vorgenommen werden müssen. „Wenn sich die Kurse nicht innerhalb von 18 Monaten erholen, fallen Abschreibungen an, die zur Reduzierung der Überschüsse führen“, erklärt Zielke. Das schrecke viele Versicherer ab. Doch selbst bei einer illusorischen Aktienquote von 25 oder 30 Prozent ließe sich die aktuelle Zinsentwicklung nicht kompensieren. Wenn es aber bei den sehr niedrigen Zinsen bleibt, wird es zu Leistungskürzungen kommen. Zielke schätzt, dass es die ersten Fälle in ein bis zwei Jahren geben könnte.
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