Nur zwei Drittel der Offenen Immobilienfonds investieren so ESG-konform, dass sie gemäß MiFID II an Anleger verkauft werden dürfen, die Wert auf Nachhaltigkeit legen. Eine Gesetzesinitiative soll dafür sorgen, dass die Fonds mehr grüne Investitionsmöglichkeiten bekommen.
16.09.2022 | 07:30 Uhr
Für die Immobilienbranche ist Nachhaltigkeit ein riesiges Thema. Nicht nur wegen der schon länger schwelenden Klimadebatte. Der Gaslieferstopp Russlands und die zuletzt dramatisch stark gestiegenen Gas-, Strom- und Ölpreise führen aktuell vor Augen, dass es sich auch wirtschaftlich lohnt, in energiesparende Gebäude und energetische Sanierungen zu investieren. Dazu kommt, dass Mieter in den vergangenen Jahren in Bezug auf das Thema Nachhaltigkeit sehr viel sensibler geworden sind. Gut neu vermietbar werden in Zukunft nur noch Gebäude sein, deren Nutzerqualität exzellent ist und deren Lage inklusive einer günstigen Anbindung überzeugt. Dieser Trend zeichnet sich deutlich ab.
Aus Sicht der Offenen Immobilienpublikumsfonds kommt ein weiterer wichtiger Aspekt hinzu, mehr auf Nachhaltigkeit zu achten: Die Finanzmarktrichtlinie MiFID II, die seit dem 2. August 2022 gilt, schreibt vor, dass Offene Immobilienfonds einen hohen ESG-Standard erfüllen müssen, um an Anleger verkauft werden zu dürfen, die ein nachhaltiges Investment wünschen.
Zwar sind fast alle Offenen Immobilienfonds als Artikel-8-Fonds gemäß EU-Offenlegungsverordnung klassifiziert. Doch diese Klassifizierung allein reicht nicht aus, um alle weiteren regulatorisch geforderten Kriterien erfüllen. Da die Gesetzeslage etwas unübersichtlich und die Datenlage ein Problem ist, haben die Verbände der Finanzbranche in Deutschland ein Konzept für den Beratungsprozess entwickelt, um für eine Standardisierung zu sorgen: Es unterteilt die Fonds in fünf ESG-Kategorien. Nur Produkte aus drei Kategorien dürfen an Anleger vertrieben werden, die Nachhaltigkeitspräferenzen haben. Sie werden als Artikel-8-Plus-Fonds oder Artikel-9-Fonds bezeichnet. Die gute Nachricht: Laut einer Studie der Ratingagentur Scope erfüllen 20 von 28 untersuchten Offenen Immobilienpublikumsfonds die strengeren Voraussetzungen für den Vertrieb an nachhaltigkeitsorientierte Anleger, also rund zwei von drei Fonds. Die schlechten Nachrichten: Kein einziger Offener Immobilienfonds ist nach Artikel 9 klassifiziert. Und die drei Fonds, die nicht einmal eine Artikel-8-Klassifizierung vorweisen können und die übrigen ESG-konformen, aber nicht zum Vertrieb an nachhaltig interessierte Kunden zugelassenen Immobilienfonds haben noch Arbeit vor sich.
Um die betreffenden Kriterien der Finanzmarktrichtlinie MiFID II zu erfüllen, nutzen Offene Immobilienfonds bei ihren Investitionsobjekten bereits Dachflächen, um Solaranlagen nachzurüsten oder prüfen solche Optionen. Die Bundesregierung will an dieser Stelle nachlegen und die Handlungsoptionen für die Fonds erweitern. Eine aktuelle Gesetzesinitiative zielt darauf ab, dass Offene Immobilienfonds künftig auch in Erneuerbare-Energien-Anlagen investieren dürfen. Den Plänen zufolge könnten die Fonds dann etwa Freiflächen erwerben und in andere Erneuerbare-Energien-Anlagen investieren. Sie wären nicht mehr darauf beschränkt, Photovoltaik- oder andere energieerzeugende Anlagen an bestehenden Gebäuden zu installieren. Für die Klassifizierung der Fonds in Bezug auf ihre Nachhaltigkeit würden sich so neue Perspektiven auftun.
Nachhaltigkeit ist mittlerweile bei fast allen Anbietern Teil ihrer Unternehmensstrategie. Das zeigt eine Studie der Ratingagentur Scope, die im ersten Halbjahr 30 Asset Manager mit einem Immobilienvermögen von rund 300 Milliarden Euro zum Thema ESG befragt hat. Bei einigen Fragen seien die Asset Manager allerdings gespalten. Rund 60 Prozent erstellten laut Studie detaillierte ESG-Berichte, die auch den Anlegern zur Verfügung gestellt würden. Maßgeschneiderte Berichte auf Kundenwunsch böten dagegen nur acht Gesellschaften an. Etwas mehr als die Hälfte der befragten Asset Manager sei der Auffassung, dass ihre Anleger bereit seien, für bessere ESG-Faktoren auf Rendite zu verzichten.
Einig sind sich die Anbieter der Umfrage zufolge bei der Einschätzung der Auswirkungen von ESG auf die künftige Anlageperformance: Die meisten Anbieter bewerten die Entwicklung positiv. Die höheren anfänglichen Kosten böten langfristig Schutz gegen Wertverluste. Als größte Herausforderungen werden die Datenverfügbarkeit auf Mieterebene und regulatorische Anforderungen genannt. Hier hat nicht nur der Gesetzgeber noch nachzuarbeiten, sondern auch alle Beteiligten: Für die ESG-Offenlegung ist eine lückenlose Datenerfassung und -überwachung Pflicht. Die Daten müssen zudem so aufbereitet werden, dass sie auf allen Ebenen vergleichbar sind. Die Bewertung der Daten in Hinblick auf die ESG-Kriterien ist der abschließende nächste Schritt. Einheitliche Standards und volle Daten-Transparenz sind für das Alles Voraussetzung. Hier müssen der Gesetzgeber, die Immobilienbranche und die Fondsgesellschaften noch praktikable Wege zur Umsetzung finden.
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